Bayerischer Wald/Büchlberg. Das Auto konnte nicht mehr ausweichen, die Kollision war unvermeidlich. Das Opfer hat jedoch Glück im Unglück, erleidet „nur“ einen Beinbruch. Die Ersthelfer reagieren schnell und vorbildlich: Sie bringen den Verunfallten sofort in die Notaufnahme. Diese befindet sich allerdings nicht in einem regionalen Krankenhaus, sondern bei Sabine Kutschick in Büchlberg. Dort wird das Eichhörnchen umgehend versorgt und bleibt solange „stationär“ vor Ort, bis seine Verletzung ausgeheilt ist und er resozialisiert werden kann. Die Wildtierhilfe Passauer Land e.V. kümmert sich, wie der Name bereits vermuten lässt, um Wildtiere, die krank, verletzt oder – im Falle von allein gelassenen Jungtieren – nicht überlebensfähig sind.
Ein Faible für Tiere aller Art hat Sabine Kutschick schon von Kindesbeinen an – genauso wie für den Bayerischen Wald, seine Flora und Fauna. Der Zufall spielte eine große Rolle, als diese beiden Leidenschaften vor gut 15 Jahren zusammenfanden. „Weil’s hier so schön ist“, verließ die 53-Jährige ihre Geburtsstadt München und siedelte in den Landkreis Passau, genauer gesagt nach Büchlberg, um. In ihrer neuen, ländlichen Heimat häufte sich sogleich der Kontakt zu Wildtieren – zu gesunden, aber auch zu verletzten oder kranken.
Im Rahmen der Pflege eines Kernbeißers, der sich den Schnabel gebrochen hatte, lernte die ehemalige Geschäftsführerin Tierärztin Dr. Katharina Heuberger aus Aldersbach kennen. Von diesem Moment an teilten die beiden Frauen ihr Engagement für in der freien Wildbahn lebende Tiere – 2017 gründeten sie die Wildtierhilfe Passauer Land e.V.
„Wir sind kein Zoo oder Museum“
Seit jenem Schlüsselerlebnis und der folgenden Vereinsgründung hat sich einiges getan. Rund um das Wohnhaus von Sabine Kutschick ist eine großflächige Auffangstation entstanden – mit verschiedenen Käfig- und Volierarten für verletzte und kranke Wildtiere aller Art. Den genauen Ort dieser Notaufnahme will Sabine Kutschick genauso wenig veröffentlicht wissen wie entsprechendes Bildmaterial. „Wir sind kein Zoo oder kein Museum. Besucher sind hier Fehl am Platz. Einerseits sollen sich die Tiere ja erholen, andererseits erschwert jeder Menschenkontakt die Resozialisierung.“ Notrufe gehen deshalb ausschließlich per Telefon ein. Erst dann gibt die 53-Jährige die weitere Vorgehensweise vor.
Eine 24/7-Tätigkeit
Mehr als 200 Belegungen hatte die Wildtierstation im vergangenen Jahr – u.a. Eichhörnchen, Bussarde, Feldhasen, Uhus, Kuckucks und Mauersegler. Hinzu kommen zahlreiche Beratungen am Telefon nach Anrufen oer WhatsApp-Nachrichten aus ganz Deutschland, der Schweiz und Österreich. „Fallen in den Gärten beispielsweise Vogelküken aus einem Nest, fragen die Leute bei uns nach, was sie machen können.“
Ihr Job als Kindermädchen in einem privaten Haushalt kommt ihr bei ihrer 24/7-Tätigkeit entgegen. So kann sie – mithilfe der Pflegekinder und auch der eigenen Töchter – rund um die Uhr für ihre Lieblinge da sein. Ehrenamtlich, versteht sich. Denn: Die Kosten werden ausschließlich durch Spenden getragen, staatliche Förderungen gibt es nicht. Oftmals springen Sabine Kutschick und Dr. Katharina Heuberger privat in die Bresche.
„Da kommt schon einiges zusammen“, rechnet die Wildtierhilfe-Vorsitzende vor. „Allein das Großziehen eines Eichhörnchen-Babys kostet zwischen 40 und 60 Euro – vorausgesetzt, es ist keine medizinische Betreuung nötig. Aktuell kümmern wir uns um 19 kleine Eichhörnchen.“ Die aktuelle Coronakrise ist in diesem Zusammenhang in doppelter Hinsicht ein Problem: Einerseits ließe die Spendenbereitschaft in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten merklich nach. Andererseits seien viele Leute derzeit Zuhause und würden sich deshalb verstärkt mit Wildtieren – ob gesund, krank oder verletzt – beschäftigen. „Zurzeit haben wir richtig viel Arbeit – sowohl in der Pflege als auch in der Beratung. Aber besser, die Leute wenden sich an uns als dass sie selber aktiv werden.“
Legitimation durch das Veterinäramt
Denn die Fehlerquote im Umgang mit Feldhasen, Eichhörnchen, Bussard & Co. sei sehr hoch. Die falsche Nahrung, nicht ideale Rahmenbedingungen oder zu viel Kontakt bringen die Wildtiere in größte, vielleicht sogar tödliche Gefahr, weiß Kutschik. Zudem ist die Haltung von wildlebenden Individuen per Gesetz verboten. Aus diesem Grund rät die 53-Jährige dringend vor Alleingängen ab – und unterstreicht die Relevanz der Wildtierhilfe Passauer Land: Tierärztin Heuberger und sie hätten zum einen die nötige Erfahrung, auch in medizinischer Hinsicht – und zum anderen die Legitimation für ihr Wirken durch das zuständige Veterinäramt, das regelmäßige Kontrollen durchführt.
Kritik, die Wildtierhilfe würde sich in die Natur einmischen und somit eigentlich natürliche Abläufe im Wege stehen, nimmt Sabine Kutschick wahr – und kontert sie mit folgender Begründung: „Wir entnehmen die Tiere nicht willkürklich aus der Natur, sondern nur, wenn sie Hilfe brauchen. Und auch nur dann, wenn die Opfer krank oder verletzt sind durch den Einfluss des Menschen, was ja alles andere als natürlich ist.“ So wie das eingangs erwähnte Eichhörnchen, der sich nach seinem „Autounfall“ auf dem Wege der Besserung befindet – und hoffentlich schon bald wieder durch die Wälder hoppeln kann…
Helmut Weigerstorfer
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Die ausschließlich ehrenamtlich tätige Wildtierhilfe Passauer Land e.V. ist auf Spenden angewiesen. „Jeder Euro geht eins zu eins an die Tiere weiter“, verspricht Sabine Kutschick.
Die Kontoverbindung:
Wildtierhilfe Passauer Land
Sparkasse Passau
IBAN: DE79 7405 0000 0030 6690 71
BIC: BYLADEM1PAS
Wer mit einer Sachspende helfen will, kann dies u.a. mit Royal Canin Baby Dog Milchpulver, dringend benötigter „Babynahrung“ für Feldhasen und Eichhörnchen tun. Kontakt für etwaige Fragen: 0151/10 60 97 54