München. Bis vor ein paar Wochen saß sie noch regelmäßig im Flieger und besuchte Messen in der ganzen Welt. Seit zwei Wochen steht Claudia Becker jedoch auf einem Feld in der Nähe von München und sticht Spargel. Ihr Arbeitgeber hatte ihr gekündigt. Doch die 42-Jährige wollte nicht zu Hause rumsitzen und Däumchen drehen. „Endlich darf ich was tun“, freut sie sich über ihren neuen Job als Spargelstecherin. Eine Arbeit, die anstrengender nicht sein könnte.
Claudia Becker war als Projektmanagerin im Messebau überall dort im Einsatz, wo ihre Kunden einen Messeauftritt geplant hatten: deutschlandweit – aber auch in Paris oder Amerika. Dann erhielt sie von ihrem Arbeitgeber die Kündigung- mitten in der Coronakrise. „Nebenbei habe ich seit 20 Jahren bei einem Partyservice gearbeitet“, erzählt sie. Auch damit war von einem Tag auf den anderen Schluss. Weitere 450 Euro, die ihrem Portemonnaie entgingen. Für sie keine einfache Situation. „Mit 60 Prozent des Gehalts kommt man in München nicht klar“, weiß sie. Kurzfristig würden zwar ihre Ersparnisse reichen, sie sei jedoch nicht der Typ, der in Krisenzeiten die Beine hochlegt. Sie wollte auch deshalb gleich wieder in Lohn und Brot kommen, weil sie als Single alleine wohnt. „Jetzt bin ich froh, wenn ich beim Arbeiten Leute sehe“, sagt sie und lacht.
„Am ersten Abend Schmerztabletten geschluckt“
Als sie mitbekommt, dass Bauern händeringend nach Erntehelfern suchen, meldet sie sich sogleich bei mehreren. „Ich wollte etwas Sinnvolles tun“, sagt Claudia Becker. Sie hatte sich auch bei Biomärkten in der Umgebung beworben, dort aber keinen Job bekommen. Und dann hat sich einer der Spargelbauern gemeldet: „Er hat geschrieben, dass es gleich am nächsten Tag losgeht.“
Der erste Tag auf dem Spargelfeld: ein Abenteuer. „Danach war ich komplett voller Erde“, berichtet sie. Auf dem Feld gehe es sehr schlammig zu, feste Schuhe und gute Handschuhe seien für die Arbeit ein Muss. Einmal habe sie sich für leichtere Turnschuhe entschieden: „Das war die schlechteste Idee überhaupt – am Abend hatte ich Blasen.“
Das Stechen des Spargels ist eine körperlich sehr anstrengende Tätigkeit. Die Münchenerin arbeitet jeweils mit zwei weiteren Personen im Team: Zwei stechen Spargel, der dritte öffnet und schließt die Folien über den Spargel-Erdhügeln und sammelt den Spargel ein. Was sich so einfach anhört, bedeutet hundertfaches Bücken, Beugen, kilometerweites Gehen.
„Abends habe ich zwei Schmerztabletten geschluckt, weil mein Hals verspannt war und mein Rücken so weh getan hat.“ Acht bis neun Stunden kann ein Arbeitstag auf dem Feld dauern – mit dreißig Minuten Mittagspause. Der Spargel wächst pro Tag etwa sieben Zentimeter, das ganze Feld muss täglich abgeerntet werden. Ein harter Job. „Ich habe auf Messen immer mit angepackt“, sagt Claudia Becker. Sie fühle sich fit und habe nicht gedacht, dass die Arbeit körperlich so belastend sei. Etwa die Hälfte ihrer Kollegen auf dem Feld gebe nach wenigen Tagen wieder auf.
Routinierte Saisonarbeiter sind nicht leicht zu ersetzen
Von den 140 Leuten, die Mitglied in der WhatsApp-Gruppe sind, über die der Bauer seine Erntehelfer organisiert, kommen pro Tag nur etwa 30, erzählt sie. Viel zu wenige, um den Ausfall der ausländischen Saisonarbeiter zu kompensieren. Von diesen Hilfskräften fehlen ihm fast 70 Prozent, berichtet der Spargelbauer. Er habe zwar einige Helfer aus Deutschland gefunden, die, wie Claudia, gerne einspringen – doch mit den osteuropäischen Saisonarbeitern, die oft seit 20 Jahren mit dabei sind, könne ein neu angelernter Spargelstecher bei Weitem nicht mithalten. Der Spargel, der heuer nicht geerntet werden könne, weil zu wenige Arbeitskräfte zu langsam voran kommen, wachse einfach aus.
„Die polnischen Kollegen, die bei uns mit dabei sind, schaffen dreimal so viel wie wir“, ist sich Claudia sicher. Nur eine handvoll Polen sei aber auf dem 17 Hektar großen Feld mit dabei, auf dem auch sie beschäftigt ist. Stattdessen befinden sich nun Erlebnispädagogen, Flugbegleiter, Xi-Gong-Lehrer, Studenten und sogar ein selbständiger Bankberater unter ihren Mitstreitern. „Man lernt viele neue Leute kennen.“
Claudia Becker ist stolz darauf, dass sie mittlerweile recht geübt ist – und es mittlerweile schafft, den Spargel in der richtigen Länge zu stechen. Denn die Stangen sollten genau in die dafür vorgesehenen Erntekisten passen. „Ich denke, ihr werdet dieses Jahr mehr kürzere Essen müssen“, schreibt Claudia auf Facebook unter ein Foto ihrer Tagesausbeute. Sie erhält von Freunden und Bekannten viel Lob in dem Sozialen Netzwerk.
„Schade, weil die Leute gebraucht werden“
Der Lohn dagegen fällt nicht gerade üppig aus: Zehn Euro gibt es pro Stunde. Immerhin steuerfrei. Fünf Monate lang darf jeder diese Tätigkeit in diesem Jahr ausführen – bisher waren es nur drei Monate. Für Claudia ist ab Mai aber vorerst Schluss: Dann wird ihre Kündigung wirksam, sie bezieht Arbeitslosengeld. Arbeiten in Vollzeit auf dem Feld kann sie dann nicht mehr. „Schade, weil die Leute gebraucht werden“, bedauert die 42-Jährige.
Abends, wenn sie nach Hause kommt, ist sie meist so kaputt, dass sie nur noch duscht und schon kurz darauf ins Bett fällt. „Die Abendbeschäftigung fehlt mir nicht“, sagt sie. Ein Kinoabend oder Restaurantbesuch wäre derzeit ohnehin nicht möglich. Und Spargel kann sie sich abends auch nicht spontan kochen: „Wir können dem Bauern keinen abkaufen“, erzählt sie. „Er hat so wenig, dass er bisher noch nicht einmal seine eigenen Verkaufshäuschen öffnen kann.“
Sabine Simon