Donnerstag, 23. April: Zur unnormalen Normalität, über die ich jüngst im Rahmen unseres Corona-Tagebuchs berichtet hatte, gehört es inzwischen auch, gewisse Mahlzeiten (vor allem sonntags) „von auswärts“ einzunehmen. Wir nutzen dabei verstärkt die Liefer- und Abholangebote der regionalen Gastronomie. Einerseits, weil es für die Familie ab und an ganz angenehm ist, wenn die eigene Küche kalt bleibt. Andererseits, weil wir die hiesigen Wirte zumindest etwas unterstützen möchten. Hannelore Hopfer vom Kapellenhof bei Ringelai, Familie Wurm vom Landgasthof zur Neuen Post in Herzogsreut und Ben Roth vom Restaurant zur alten Schule in Mitterfirmiansreut sind für uns nicht irgendwelche Gastronomen, sondern geschätzte Gesichter, die gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten unsere Unterstützung brauchen – und so ganz uneigennützig ist diese Hilfe ja auch wieder nicht…
Die Coronakrise und der damit verbundene „Shutdown“ hat dramatische Auswirkungen auf die Gastronomie der Region. Seit Mitte März, dem Inkrafttreten der Ausgangsbeschränkung, sind die Wirtshäuser, Bars und Restaurants geschlossen. Während andere Bereiche der Wirtschaft in diesen Tagen zumindest noch einen Bruchteil ihrer Umsätze generieren können, muss die Gastronomie seit mehr als einem Monat eine Quasi-Nullnummer verkraften – und das in einer eigentlich besucherstarken Phase rund um Ostern. Kommunionen, Taufen, Geburtstagsfeiern sowie erste Hochzeitspartys bleiben aus. Kleine Geschäfte können – unter Auflagen – demnächst wieder öffnen. Wann die Wirte wieder ihrer Tätigkeit nachgehen dürfen, ist hingegen noch offen. Es drohen Insolvenzen und damit einhergehende Schließungen. Traditionshäuser und langjährige Familienbetriebe stehen vor dem Aus.
Mitarbeiter feiern Überstunden ab oder sind in Kurzarbeit
Bis Pfingsten etwa (Ende Mai) könne das Restaurant zur alten Schule in Mitterfirmiansreut das drohende Ende noch abwenden, berichtet Juniorchef Ben Roth.
Die zehn festangestellten Mitarbeiter feiern derzeit entweder noch ihre Überstunden ab oder befinden sich in Kurzarbeit. Die laufenden Betriebskosten (Strom, Wasser und Versicherungen) werden durch staatliche Hilfen und durch eigene Rücklagen bezahlt. Kredittilgungen sollen gestundet werden. „Was echt schnell und unkompliziert gelaufen ist: die Soforthilfe. Da muss man unsere Regierung auch mal loben“, berichtet Roth, der auf baldige Lockerungen der aktuellen Regelungen dies- und jenseits der Grenze hofft. Denn einige seiner Mitarbeiter kommen aus dem benachbarten Tschechien, das einen kompletten Ausreisestopp verhängt hat.
Mehrwertsteuersenkung: ein richtiger Schritt
Auf einen Abhol- und Lieferservice verzichtet der Familienbetrieb aus der Gemeinde Philippsreut. Der einfache Grund: „Mitterfirmiansreut ist ein kleines Dorf mit nur wenigen Einwohnern. Und da Geschäftsreisende, Urlauber und Tagestouristen aktuell wegfallen, ist eine Komplettschließung für uns schlichtweg wirtschaftlicher.“ Keine einfachen Zeiten für den jungen Geschäftsmann, der in die Fußstapfen seiner Mutter und Großmutter treten will – und das Restaurant zur alten Schule sowie das dazugehörige Landhotel Sportalm in die Zukunft führen möchte. „Die Lage ist sehr ernst.“ Als große Erleichterung die aktuelle Krise zu meistern, bezeichnet der 31-Jährige die Tatsache, dass der Mehrwertsteuersatz für die Gastronomie am heutigen Donnerstag für die Dauer eines Jahres auf 7 Prozent gesenkt worden ist.
Diesen Schritt begrüßt auch Hansi Wurm, Inhaber und Betreiber des Landgasthofes zur Neuen Post. Im Gegensatz zu seinem Kollegen aus der Nachbargemeinde hat sich der Herzogsreuter Gastronom dazu entschlossen, zumindest an Sonntagen einen Abholservice anzubieten – und er könne sich dabei auf die Solidarität der Dorfbewohner verlassen. „Natürlich ist dieser eine Tag mit Einnahmen im Vergleich zum normalen Betrieb nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, verdeutlicht Wurm. „Dass uns jedoch die gesamte Nachbarschaft, die Stammkunden und Dorfleute in dieser schwierigen Situation nicht hängen lassen, verdient großen Respekt.“
„Abhol- und Lieferservice ist eine Kalkulationsfalle“
Nichtsdestotrotz sind auch die Mitarbeiter der neuen Post in Kurzarbeit, Zahlungen und Investitionen sind erst einmal zurückgestellt, die Soforthilfe lindert etwas den größten, wirtschaftlichen Schmerz. „Wir waren im April, Mai und Juni ausgebucht. Wir müssen in dieser Zeit nun auf zirka 140.000 Euro verzichten“, rechnet der Gastronom und Koch vor. „Jammern bringt jedoch nichts. Wir müssen mit der Situation leben. Eine Insolvenz ist zunächst keine Alternative, wir kämpfen bis zum Schluss.“
Ähnliches berichtet Hannelore Hopfer vom Kapellenhof. Die Geschäftsfrau rechnet mit Umsatzeinbußen von mehreren zehntausend Euro. Mit Kurzarbeit und Rücklagen sei diese Phase aber zu überstehen, betont sie: „Nachhaltiges Wirtschaften zahlt sich nun aus. Dann ist es auch kein Problem, jetzt Schulden zu machen und diese Kredite später zurück zu zahlen.“ Die Reduktion der Mehrwertsteuer auf sieben Prozent sei aus diesem Grunde sehr wichtig für die Wirtshäuser – insbesondere im Falle des Kapellenhofs, der genauso wie das Restaurant von Ben Roth aus geographischen Gründen auf einen Abhol- oder Lieferservice verzichtet. „Fährt man unser Essen 15 Minuten durch die Gegend, ist es kalt und schmeckt nicht mehr. Deshalb verzichten wir auf diese Möglichkeit, zumal dieser Service für mich eine Kalkulationsfalle darstellt. Die Menge an Bestellungen muss schon sehr groß sein, dass sich dieses Geschäft rentiert.“
Den ernsten gesundheitlichen sowie wirtschaftlichen Hintergrund einmal außen vor gelassen, sieht Hannelore Hopfer in der aktuellen Situation vielleicht sogar einen absehbaren Vorteil für die regionale Gastronomie: „Langfristig wird sich unser Weg mit regionalen Angeboten und möglichst viel bio bewähren. Zudem werden Ausflüge aufs Land und der Urlaub im Bayerischen Wald an Wert gewinnen.“
Helmut Weigerstorfer
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Eine Mittelung auf Hog’n-Anfrage von DEHOGA-Pressesprecher Frank-Ulrich John dazu:
„Die Betriebe kämpfen ums nackte Überleben. Unsere Mitglieder sind Unternehmer mit Herz und Leidenschaft, die derzeit nichts unternehmen dürfen und die ihre zum Teil über Generationen aufgebaute Existenz vor dem Aus sehen. Ganz schlimm ist für viele, dass sie Ihre Mitarbeiter, mit denen sie zum Teil seit langen Jahren ganz eng zusammenarbeiten, und die fast wie ein Teil der Familie sind, in die Kurzarbeit schicken mussten. So etwas kannte unsere Branche nicht. Zugleich gibt es ganz viele Probleme zu lösen: Herstellung von Liquidität, Überbrückungskredite, Stundungen, Herunterfahren der Betriebe etc – alles extrem belastende und zugleich unbekannte Herausforderungen in unserer Branche.
Mir ist eines wichtig: Unsere Betriebe sind nicht durch individuelle Fehler in diese Krise geraten, sondern die Betriebe mussten schließen, damit die Bevölkerung gesund bleiben kann. Zudem gehört unsere Branche zu den Hauptbetroffenen: Wir sind als erstes geschlossen worden und werden als letztes wieder öffnen dürfen. Zudem kann es auch kein Nachholgeschäft geben. Vor diesem Hintergrund ist es erklärlich, dass unsere Betriebe dringend auf staatliche Unterstützung angewiesen sind.
Für den Staat wiederum ist die Coronakrise auch kein 08/15-Szenario, sondern ebenfalls absolutes Neuland. Die Zusammenarbeit mit ihm funktioniert zwar sehr gut, Probleme gibt es jedoch aufgrund der immensen Summe an Antragssteller bei der Auszahlung der Soforthilfen – dabei sind unsere Mitglieder dringend auf schnelle Auszahlungen angewiesen, da ihre Kosten ja weiterlaufen, bei Null Einnahmen. Das gleiche gilt für das Kurzarbeitergeld, dies muss unbedingt viel, viel schneller kommen, sonst ist es zu spät für viele Betriebe. Zudem benötigt unsere Branche einen staatlichen Hilfsfonds, der für alle Betriebe zugänglich ist.“