Zenting/Linz/München. Es lässt einen immer wieder vor Entsetzen erschaudern, wenn man sich vor Augen führt, welche Gräueltaten die Menschen in den Konzentrationslagern des Zweiten Weltkriegs über sich ergehen lassen mussten. Einer, der jene Gräueltaten ausführte und sie bis zur Perfektion beherrschte, war Karl Chmielewski, Lagerkommandant im KZ Gusen in Oberösterreich.
Robert Grantner und dessen Frau Julia, beide Filmemacher aus den Landkreisen Freyung-Grafenau bzw. Landshut, haben mit ihrer Dokumentation „Getrennt durch Stacheldraht – Jugendjahre im KZ Gusen“ versucht, die Geschichte von Chmielewskis Sohn Walter und dem KZ-Häftling Dušan Stefančič nachzuzeichnen. Präsentiert wird das Ergebnis demnächst im Fernsehen. Da Hog’n vermittelt in drei Teilen einen Eindruck davon, was im Film „Getrennt durch Stacheldraht – Jugendjahre im KZ Gusen“ zu sehen sein wird. Teil 3: Plötzlich vertauschte Rollen.
Geheime unterirdische Fabrik der SS
Dušan ist 17 Jahre alt, als er im April 1945 nach Gusen II verlegt wird. Dieses Lager wird nur wenige Kilometer vom Hauptlager entfernt in aller Eile errichtet. In Deutschland tobt bereits der Bombenkrieg, deshalb sollen die Häftlinge jetzt schnell unterirdische, bombensichere Stollenanlagen bauen, um kriegswichtige Rüstungsanlagen dorthin zu verlagern. In der unterirdischen SS-Fabrik mit dem Decknamen „Bergkristall“ müssen die Häftlinge Düsenjäger für die Firma Messerschmitt aus Regensburg produzieren. Die Zustände sind katastrophal: kaum Betten, keine Wechselkleidung – und auch kein sauberes Trinkwasser.
„Als wir nach Gusen II geschickt wurden – das erste, was ich gesehen habe, war ein Haufen Toter. Die waren aufgestapelt wie Holz. 10, 12, 20. Einer auf dem anderen. Nackt und mit einer Nummer auf der Brust. Und in der Baracke waren noch einige – und so hatten wir jedes Mal, als wir von der Arbeit gekommen sind, auch Tote mitgebracht. Da gab‘s nur einen Weg raus: der Rauchfang. Andere Möglichkeiten aus Gusen II zu kommen, gab es nicht.“
Dušan überlebt, aber mehr als 8.000 seiner Mithäftlinge sterben in nur wenigen Wochen.
Das erste Mal auf der selben Seite des Stacheldrahtzauns
Im Januar 1945 meldet sich Walter Chmielewski, wie fast alle aus seiner Klasse, freiwillig zur Wehrmacht. Er ist 15 Jahre alt, als er in einer ausrangierten Tropen-Uniform Richtung Osten geschickt wird. Der Krieg ist da schon längst verloren. Die Amerikaner befinden sich bereits auf dem Vormarsch in Richtung Oberösterreich. Knapp 40.000 Überlebende befreien die Amis am 5. Mai 1945 aus den Lagern Mauthausen und Gusen.
Zur gleichen Zeit schlägt sich Walter zusammen mit einem Freund in Richtung Heimat durch. Seine Einheit wurde aufgerieben, der 15-jährige will jetzt nur noch zurück zu seiner Mutter. Doch er wird entdeckt und von den Amerikanern verhaftet. Als Kriegsgefangener landet er ausgerechnet im mittlerweile befreiten Lager Gusen, welches sein Vater eins leitete.
Jetzt sind die beiden das erste Mal auf der selben Seite des Stacheldrahtzauns. Nur in vertauschten Rollen. Dušan ist frei, doch er muss noch auf eine Möglichkeit warten nach Hause zu reisen.
„In den ersten drei, vier Tagen war ich mit zwei Freunden unterwegs, Polen. Wir haben Kartoffeln gefunden und Margarine und dann haben wir uns Kartoffeln geröstet, nicht mehr. Mein Gott, die Leute haben so viel gegessen, das war nicht gut. Ich hatte keine Schwierigkeit mit dieser Sache. Die Lebensmittel und Farmen geplündert und dann hat man gekocht und gegessen und dann sind viele umgekommen, weil die haben einfach zu viel gegessen. Das war nicht gut.“
In den ersten Tagen nach der Befreiung sterben in Gusen weitere knapp 2.000 ausgehungerte und geschwächte Häftlinge. Walter und seine Mitgefangenen werden von den Amerikanern dazu eingesetzt die Toten zu begraben.
„Dann haben sie uns raus, eine Gruppe von sechs, sieben Leuten – und dann haben sie uns zu dem Massengrab geführt, dass haben die Amis schon mit einem Bagger ausgebaggert. Da war das Krematorium und die Wand, wo die Leute erschossen worden sind – und rechts daneben ist das Massengrab angelegt worden. Und davor war dieser riesen Haufen mit hunderten von nackten Leichen, nur Haut und Knochen. Und dann haben sie gesagt: bitte, schön reinlegen, nebeneinander. Wir haben noch versucht uns irgendwie zu schützen, weil die waren mit Kot verschmiert. Nein, nix gibt’s, haben die gesagt, so wie ihr seid, müsst ihr die nehmen.“
Nach dem Krieg
Dort, wo Walter Chmielewski damals als Jugendlicher hunderte, wenn nicht tausende Leichen begraben musste, stehen heute Einfamilienhäuser, zum Teil auf den Fundamenten der Häftlingsbaracken gebaut.
Wo einst Menschen unter unwürdigsten Bedingungen arbeiten und leben mussten, wo sich später Leichenberge stapelten, sieht man heute schön bepflanzte Vorgärten, stehen Schaukeln und Sandkästen. Wo sich heute Garten- und Blumenstraße kreuzen, ist im wortwörtlichen Sinn Gras über das Grauen gewachsen – obwohl hier mehr als 35.000 Menschen ermordet wurden. Dušan kehrt nach Ljubljana zurück und geht nur zwei Wochen später wieder zur Schule.
„Ich habe aus dieser ganzen Sache nie eine Tragödie gemacht, ich habe mich nie als wahnsinniges Opfer gefühlt, ich war ein Opfer, aber ich habe mich nicht so gefühlt – so auch heute. Ich habe es überlebt, aber ich werde aus dem nicht ein Drama machen. Weil was kann ich denn machen 70 Jahre danach? Es ist vorbei! Ich kann nicht jetzt so viele Jahre weinen!“
Walter zieht mit seiner Mutter nach München, wo er bis heute lebt. Walters Vater taucht nach dem Krieg unter. Lange Zeit lebt er unerkannt in Bayern. Erst Mitte der 50er Jahre wird er entdeckt und verhaftet. Das Landgericht Ansbach verurteilt ihn zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe, die er in der JVA Straubing antritt. 1979 wird er von Franz Josef Strauß begnadigt. Begründung: „gesundheitliche Probleme“. Karl Chmielewski lebt noch zwölf Jahre in einem Haus in Bernau am Chiemsee, wo er 1991 stirbt. Walter trifft den Vater nur noch ein einziges Mal. Von all den Grausamkeiten, die sein Vater in Gusen verbrochen hat, erfährt Walter erst nach und nach im Laufe der Jahrzehnte.
„Zu entschuldigen gibt es da nichts. Sowas kann man nicht entschuldigen. Ich schäme mich für meinen Vater, für das, was er eben den Häftlingen angetan hat. Die haben das Kriegsende fast alle nicht erlebt – und dafür schäme ich mich.“
da Hog’n