Dienstag, 7. April: Yvonne Weigerstorfer kommt gerade vom Einkaufen zurück, als wir sie am Telefon erwischen. „Jetzt, wo ich wieder raus darf, muss ich das natürlich gleich ausnutzen“, sagt sie und schmunzelt. Ihr Gefühl der Erleichterung ist hörbar. Die vergangenen Wochen verbrachte die 30-Jährige notgedrungen zuhause in der Wohnung in Hinterschmiding. Der Grund: Die sportliche Leiterin der II. Bereitschaftspolizeiabteilung in Eichstätt hatte sich bei einem ihrer Lehrgänge mit dem Coronavirus infiziert.
„19 von 21 Teilnehmern haben sich angesteckt“, berichtet die Kommissarin. Sie weiß das deshalb so genau, weil sie nach dem vorzeitigen Abbruch des Lehrgangs mit den Teilnehmern per WhatsApp-Gruppe im ständigen Kontakt war. Yvonne Weigerstorfer ist seit 2009 bei der Polizei. 2018 hat sie – nach erfolgreichem Hochschul-Abschluss – die sportliche Leitung an der Eichstätter Einrichtung, an der rund 1.000 Polizeischüler ausgebildet werden, übernommen. Seitdem unterrichtet sie die künftigen Sportbeauftragten der bayerischen Polizeidienststellen und pendelt dazu wöchentlich zwischen dem Bayerischen Wald und der oberbayerischen Kreisstadt hin und her.
„Bereits am Mittwoch wusste ich, dass ich positiv bin“
Der Lehrgang, der Yvonne Weigerstorfers Leben nachhaltig beeinflussen sollte, begann am 9. März – und hätte eigentlich drei Wochen gedauert. „Wir hatten eine Woche lang von früh morgens bis spät abends intensiven Kontakt miteinander, hatten viel Sport getrieben und viel im Rahmen gemeinsamer Partnerübungen geschwitzt. Daher bin ich aus heutiger Sicht überzeugt davon, dass sich dadurch der Virus derartig schnell von einem zum anderen übertragen konnte.“
Am Sonntag, 15. März, hatten sich zehn Teilnehmer krank gemeldet. „Mit nurmehr der Hälfte an Leuten können wir den Lehrgang nicht weiterführen – da stimmt etwas nicht“, dachte sie noch, als sie sich tags darauf vom Bayerischen Wald aus auf den Weg zur Arbeit machte. Es war genau in der Phase, als erste Überlegungen hinsichtlich etwaiger Geschäftsschließungen und Ausgangsbeschränkungen (in Bayern seit 20. März in Kraft) laut wurden. Sie beriet sich nach ihrer Ankunft mit ihrem Vorgesetzten, der sich für die sofortige Beendigung des Lehrgangs aussprach.
Am Montagabend, 16. März, klingelte das Telefon: Ein Kursteilnehmer, der mitteilte, dass er sich aufgrund eines „komischen Gefühls“ bzgl. einer Corona-Infektion hatte testen lassen. Ergebnis: positiv. Daraufhin informierte Yvonne Weigerstorfer ihren Chef sowie die Abteilungsärztin. Die Befürchtung der 30-Jährigen: Der gesamte Lehrgang könnte sich angesteckt haben.
Tags darauf wurden in ihrer Abteilung bereits erste Tests durchgeführt: „Wir mussten mit unseren Privatautos dorthin fahren, das Fenster herunterlassen – dann hat uns die Ärztin im Schutzanzug einen Abstrich entnommen“, erinnert sich die Waidlerin und ergänzt: „Bereits am Mittwoch, 18. März, wusste ich, dass ich positiv bin.“ Der erste Schock saß tief.
„Offenbar war ich an dem Wochenende nicht infektiös“
Sie hatte sich unmittelbar nach dem Corona-Test in Eichstätt beim Gesundheitsamt des Landkreises Freyung-Grafenau gemeldet, deren Mitarbeiter sie sogleich für die Dauer von zwei Wochen in heimische Quarantäne schickten. „Ich durfte noch nach Hinterschmiding nach Hause fahren, die Frist begann noch am selben Tag.“ Sie sollte eine Liste anfertigen mit denjenigen Personen, mit denen sie am zurückliegenden Wochenende im heimischen Umfeld Kontakt hatte. „Das waren in meinem Fall 17 Leute, weil ich unter anderem mit meinen Freundinnen gemeinsam beim Frühstücken war“, erzählt sie. Darunter eine Zahnarzthelferin sowie Mitarbeiterinnen größerer, regionaler Firmen.
Der Großteil gehörte, wie sich den Kontaktpersonenmanagement-Statuten des Robert-Koch-Instituts zufolge herausstellte, der sog. Kategorie I („enger Kontakt“) an, das heißt: Der Kontakt dauerte mindestens 15 Minuten und verlief „Face-to-Face“, also von Angesicht zu Angesicht. Yvonnes Freunde und Verwandte mussten somit ebenfalls getestet werden – und proforma für 14 Tage in häusliche Quarantäne. Das Überraschende dabei: Alle 17 hatten ein negatives Test-Ergebnis. „Ich hatte keinen infiziert“, berichtet die Polizistin – und die Erleichterung darüber ist ihr nach wie vor anzumerken. „Offenbar war ich an dem Wochenende nicht infektiös.“ Ein Kollege aus dem Lehrgang, der zwei Wochen lang „richtig flach“ gelegen sei, habe hingegen neun weitere Menschen mit dem Coronavirus angesteckt.
Auch ihr Partner, mit dem sie die Wohnung teilt und mit dem sie während der gemeinsamen Quarantäne „ununterbrochen Kontakt“ hatte, infizierte sich nicht. „Er wurde zweimal negativ getestet – das heißt: Ich war nicht ansteckend“, schlussfolgert Yvonne Weigerstorfer. Ob ihr Freund zuvor nicht-wissentlich an Covid-19 erkrankt und deshalb bereits immun dagegen war, darüber haben sie mehrmals nachgedacht. „Er hatte vor einigen Wochen eine Grippe – doch da war die Corona-Situation noch nicht so weit fortgeschritten.“ Ausschließen könnten sie dies allerdings nicht.
Zwei Tage lang habe sie sich in dieser Zeit in einem „richtig schlechten“ Zustand befunden. Los ging es damit bereits am ersten Abend nach dem Corona-Test in Eichstätt: „Ich hatte Fieber, Gliederschmerzen – und vor allem große Nierenschmerzen.“ Einer ihrer Kursteilnehmer bekam aufgrund einer Nierenbeckenentzündung Antibiotika verabreicht. Vom viel zitierten Reizhusten sei sie hingegen verschont geblieben. Als weitere Symptome machten sich ein großes Druckgefühl im Bereich der Brustwirbelsäule sowie ein Komplett-Verlust des Geschmacks- und Geruchssinns bei ihr bemerkbar. „Ich habe in puren Ingwer gebissen – und nichts davon gespürt.“
„Habe zwei Wochen gebraucht, bis das Virus verdaut war“
Körperlich habe sich die Sportlerin den Großteil ihrer Quarantänezeit vor allem „schlapp und kurzatmig“ gefühlt. Wie bei einer Grippe eben. Sie hatte deswegen zeitweise Schmerzmittel zur Linderung eingenommen. Die Frage, sich in einem Krankenhaus behandeln zu lassen, stellte sich ihr jedoch nicht. „So akut war es Gott sei Dank dann doch nicht.“ Seit drei Tagen gehe es ihr nun so gut, dass sie wieder Sport machen kann, sagt sie. Zuvor sei das nahezu unmöglich gewesen. „Ich habe demnach zwei Wochen gebraucht, bis der Virus verdaut war.“
Auf die Frage hin, wer das Coronavirus letztendlich in die Lehrgangsgruppe eingeschleust habe, hat Yvonne Weigerstorfer keine eindeutige Antwort. „Wir glauben, dass es sich um einen Teilnehmer handelt, der eine Woche vor Kursbeginn in Österreich beim Skifahren war.“ Zu jenem Zeitpunkt war jedoch das Nachbarland noch nicht zum Krisengebiet erklärt worden. Erst während der Lehrgangswoche sei dies der Fall gewesen, informiert die 30-Jährige. „Das Interessante dabei: Seine Freundin, die zweimal getestet worden ist und sich mit ihm in Quarantäne befand, ist – genau wie bei mir und meinem Freund – negativ. Deshalb vermuten wir nun, dass man nur in einen bestimmten, relativ kurzen Zeitraum ansteckend ist. Wir wissen’s freilich nicht. Seltsam ist das alles schon.“
Am Dienstag, 31. März, wurde Yvonne Weigerstorfers Qurantäne nach Ablauf der Zweiwochenfrist offiziell vom Gesundheitsamt aufgehoben. Um wieder als Polizisten beruflich aktiv werden zu dürfen, musste sie sich nochmals testen lassen, um ihrem Dienstherrn gegenüber ein negatives Ergebnis vorweisen zu können. Dies erfordere eine Anweisung des Innenministeriums. „Das Gesundheitsamt in Freyung ist mir – trotz hohem Stresslevel – da sehr entgegen gekommen“, ist sie voll des Lobes. „Obwohl mich die Behörde nicht mehr hätte testen müssen, wurde ich von ihr überprüft. Ansonsten hätte ich nach München in die sog. Test-Straße gemusst.“
„Ich konnte zwei Tage nicht mehr schlafen“
Das Test-Ergebnis, das sie am gestrigen Montag mitgeteilt bekam, fiel negativ aus. Das heißt: Sie kann wieder arbeiten gehen bzw. ins Homeoffice, um Trainingspläne für ihre Schüler zu erstellen, damit diese sich in der Coronazeit zuhause fit halten können. „Ich bin jetzt auch Plasma-Spender, weil ich viele Antikörper im Blut habe“, sagt sie. Yvonne Weigerstorfer gehört zu 200 genesenen Covid-19-Patienten, die dem Aufruf des Universitätsklinikum Erlangen zur Blutplasmaspende gefolgt sind. Damit kann nun ein sogenanntes Immunplasma hergestellt werden, das Antikörper enthält und „tödliche Infektionen mit dem neuen Coronavirus verhindert“, wie u.a. der BR mitteilt.
Und wie fällt nun ihr Schlussfazit nach diesem einschneidenden Erlebnis aus? „Die Quarantäne an sich war gar nicht mal so schlimm. Es waren eher die Leute außen herum, von denen viele in Panik geraten sind, als sie mitbekommen hatten, dass ich infiziert bin. Die haben mich, meine Familienangehörigen und meine Bekannten teils wie Aussätzige behandelt.“ Mehr möchte sie dazu nicht sagen. Der Gedanke, dass sie möglicherweise 17 Leute – darunter Nichten und Neffen im Alter von zwei bis sieben Jahren – mit dem Coronavirus angesteckt haben könnte, machte ihr ebenso sehr zu schaffen. „Ich konnte zwei Tage nicht mehr schlafen, so ein schlechtes Gewissen hatte ich.“
Warum sich zwei der Lehrgangsteilnehmer nicht infiziert hatten, ist für Yvonne Weigerstorfer nach wie vor ein Rätsel. „Wir wissen es nicht. Beide wurden negativ getestet, obwohl sie den kompletten Lehrgang mit dabei waren. Symptome hatten sie auch keine.“ Für sie steht nach Quarantäne und Erkrankung jedenfalls fest, dass sie nun die – wenn auch weiterhin beschränkte – wiedergewonnene Freiheit genießen möchte. Und wenn es nur die kurze Fahrt zum nächsten Supermarkt ist, um nötige Lebensmittel zu kaufen…
Stephan Hörhammer