Mittwoch, 25. März: Das Coronavirus ist angekommen in Deutschland. Im Bayerischen Wald. Im Landkreis Freyung-Grafenau. In meiner Heimatgemeinde – das ist inzwischen keine Mutmaßung mehr, sondern ein Fakt, der durch entsprechendes Zahlenwerk untermauert wird. Und dennoch schlug diese Nachricht am vergangenen Mittwoch im Kreise meiner Familie ein wie die sprichwörtliche Bombe: Ein nächster Verwandter, mit dem ich täglich Kontakt habe, steht unter Corona-Verdacht. Die unmittelbare Folge: Hausliche Quarantäne für den Betroffenen – und womöglich eine Ansteckung des größten Teils meiner Familie, darunter ein Kleinkind sowie vier Senioren um die 90 Jahre. Risikogruppe.

Zunächst wirkte diese Mitteilung ausgesprochen irreal (ein Wort, das derzeit oft verwendet wird, weil es einfach passt). Doch spätestens nach dem Anruf einer Mitarbeiterin des Landratsamts, die am Mittwochnachmittag Hintergründe der möglichen Infektion erfragte und an das Gesundheitsamt weiterleitete, das in einem weiteren Telefonat einen für den Folgetag bestimmten Corona-Test ankündigte, nahm das Kopfkino so richtig Fahrt auf. Eine leichte Erkältung mit Halsschmerzen, Husten und Schnupfen hatte ich in diesen Tagen ohnehin. Doch plötzlich verschlimmerten sich diese Symptome in meiner Wahrnehmung zunehmends. Psychosomatisch. Gleichzeitig überprüfte ich – beinahe manisch – in immer kürzer werdenden Abständen meine eigene Körpertemperatur mit einem Griff an die Stirn – Fieber sei ja ein deutliches Anzeichen für eine Corona-Erkrankung…
Am Donnerstagmittag rückte das „Test-Team“ des Gesundheitsamtes dann an. Ein auf den ersten Blick schlichter Rettungswagen. Doch als die Hintertür geöffnet wurde, eine Person in voller Isolationsmontur ausstieg und sich daran machte, die Speichelprobe (nur von der direkt unter Verdacht stehenden Person) zu entnehmen, brach mir der Angst-Schweiß aus, wie ich mit etwas Abstand zugebe. Immer wieder schwirrten Fragen wie „Was passiert nun mit meinem Verwandten?“, „Bin ich womöglich auch infiziert?“ oder „Wie haben sich meine Symptome entwickelt?“ durch meinen Kopf. Hinzu kam eine gewisse (freilich irrationale) Sorge davor, in meinem Heimatdorf, in dem jeder jeden kennt, als eine Art Aussätziger und somit Außenseiter zu gelten – gebrandmarkt für alle Ewigkeit…
Erst Angst, dann eine „ignorante Gefühlslage“
Wie sich im Nachhinein herausstellte, hatte ich genügend Zeit mir über all diese Dinge ausführlich Gedanken zu machen – ehe endlich das langersehnte Testergebnis meines nächsten Verwandten mitgeteilt wurde. In den kommenden Tagen zogen sich Familienangehörige immer weiter zurück, keiner durfte mehr zur Arbeit, Kontakt bestand ausschließlich noch über Anrufe oder WhatsApp-Nachrichten. Und das trübe, spätwinterliche Wetter trug nicht unbedingt dazu bei, dass die generelle Stimmung den Frostbereich verließ. Weitere Bekannte aus unserem Umkreis, die ebenfalls in Folge des Kontaktes mit der positiv getesteten Person unter Verdacht standen, wurden nach und nach darüber informiert, dass sie „negativ“ seien. Nur wir nicht. Ich spreche bewusst in der Wir-Form. Denn aus der individuellen Corona-Gefahr wurde in der Wahrnehmung mehr und mehr eine kollektive, innerfamiliäre Bedrohung.
Mit fortschreitender Zeit – am Ende sollten knapp 120 Stunden zwischen dem Test und dem Ergebnis liegen – stellte sich bei mir eine gewisse „ignorante Gefühlslage“ ein: Meine kleine Erkältung verschwand zusehends. Ich dachte mir sogar (ziemlich einfach, gebe ich zu): „Es wäre doch super, wenn ich positiv wäre. Denn dann hätte ich alles bereits überstanden…“ Trotz dieser gewissen Gleichgültigkeit fiel mir aber dann doch ein Stein vom Herzen, als uns am Dienstagnachmittag mitgeteilt wurde, dass „wir“ negativ sind. Glück gehabt – zumindest vorerst…
Helmut Weigerstorfer
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Im Rahmen des Hog’n-Corona-Tagebuches beschreiben die Hog’n-Redakteure Sabine Simon, Helmut Weigerstorfer und Stephan Hörhammer abwechselnd die Auswirkungen der sog. Corona-Krise auf ihr Privatleben, auf ihr Umfeld und die generelle Situation im Bayerischen Wald.
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