Der Korb ist fast gefüllt. Für die Suppe müssen neun Kräuter in der Natur gesammelt werden – darunter Brennnessel, Knoblauch, Löwenzahn oder Scharbockskraut. Die Neun-Kräuter-Suppe soll den Körper von vermeintlichen „Giften“ reinigen: Ein Ritual, das perfekt zum Frühjahresbeginn und zum Jahreskreisfest Ostara passt.
Auf den Spuren längst vergessener Rituale nehmen wir die ursprünglich keltischen Jahreskreisfeste, bei denen es vor allem um die Verbundenheit zur Natur geht, genauer unter die Lupe: vier große Sonnenfeste, zwischen denen vier Mondfeste liegen. Diesmal geht es um das Sonnenfest Ostara, auch Frühlings-Tag-und-Nachtgleiche genannt, welches traditionell am 21. März gefeiert wird.
Die Bedeutung des Gleichgewichts
Der Winter ist die Zeit der Innenorientierung, erklärt unter anderem das Online-Magazin Viversum. Die kalte Jahreszeit ist zum Nachdenken sowie zur inneren Einkehr gedacht. Der Frühling dagegen steht für Außenorientierung: Die germanische Frühlingsgöttin Ostara, die die Menschen früher angebetet haben, versinnbildlicht die Überwindung des Dunklen und das Schaffen von Fülle, weshalb Ostara die beste Zeit ist, um seine Wünsche zu erfüllen – und sich von Altem zu lösen.
Bei Ostara geht es unter anderem um das Finden des inneren Gleichgewichts. Am 20. März ist der Tag genauso lang wie die Nacht, erklärt dazu die Regensburger Unternehmensberaterin Maria Käser-Aunkofer, die die Jahreskreisfeste stets mit Gleichgesinnten begeht. Die Energie an Ostara sollte man ihr zufolge nutzen, um das Sprießen des Lebens zu feiern – etwa mit dem Entzünden eines Feuers oder mit einer meditativen Reise zu seinem Inneren. Man solle sich selbst fragen: „Was befeuert meine Lebenskraft? Was gibt mir Wärme? Was bedeutet für mich, im Gleichgewicht zu sein oder ins Gleichgewicht zu kommen?“
Es geht um Gleichgewicht und Wachstum, bestätigt auch Heilpraktikerin Catherine Weitzdörfer, die in Regensburg eine Praxis für klassische Homöopathie und Gesprächstherapie führt. Ihrer Erfahrung nach lautet die zentrale Frage an Ostara: „Was will ich in meinem Leben wachsen sehen?“
Ostarabuschen schützen Feld und Heim
Auch das Binden eines Ostarabuschens stellt eine Möglichkeit dar, die wiedererwachende Natur zu begrüßen, wie Weitzdörfer weiß: Der kleine Ostarabuschen wird mit Hasel, Weidenkätzchen, Birkenzweigen sowie immergrünen Zweigen gebunden. Anschließend kann man ihn noch mit bunten Bändern dekorieren. Früher hat man laut Weitzdörfer derlei Buschen auf das Feld gesteckt – zum Schutz der Ernte. Heute kann man ihn im Garten oder in einer Zimmerecke aufstellen – symbolisch zum Schutz des eigenen Heims.
In vielen Haushalten steht an Ostern ein ganz ähnlicher Buschen auf dem Tisch, denn die Kirche hat jene Ostara-Tradition für ihr eigenes Osterfest abgekupfert: der Palmbuschen aus Palmkätzchen, der mit bunten Ostereiern geschmückt wird.
Ostara kämpft gegen Frost und Kälte
Gegenwärtig feiern nur noch wenige Menschen das ursprüngliche Ostara-Fest. Doch in manchen Gegenden Deutschlands pflegen die Bauern noch die Tradition der Feldweihe, die früher von großer Bedeutung für die alten Volksstämme war. Dabei bestreuen die Landwirte die Ecken des Feldes mit Schlüsselblumen, Pfefferminze, Kräutern sowie Weidenbaumästen und stecken eine Kerze in die Mitte des Feldes, um für eine gute Ernte zu beten, wie etwa das Online-Magazin „Questico“ erklärt.
Dereinst waren die Menschen noch extrem auf die warme Jahreszeit angewiesen. Damals gab es keine Zentralheizung, helle Lampen oder Supermärkte mit Regalen voller Lebensmittel. Die Leute waren von gutem Wetter und einer ertragreichen Erntezeit abhängig, um nicht zu verhungern.
Heutzutage sind in den meisten Gegegenden entweder die alten Traditionen des Ostara-Festes aus dem Bewusstsein der Menschen verschwunden – oder andere Religionen haben die alten Bräuche ersetzt oder annektiert. So hat auch das Christentum die Gebräuche des Jahreskreisfestes in abgewandelter Form für die eigene Religion übernommen. Die Kirche machte Ostara zu ihrem eigenen Osterfest, das regulär auf den ersten Vollmond nach Ostara fällt. Die Tradition des Osterhasen stammt ursprünglich von den alten Ostara-Bräuchen. Das heidnische Volk betete damals die germanische Göttin Ostara an, die den Kampf gegen den Frost des Winters gewinnt und somit den Frühling zu den Menschen bringt.
Der heilige Mondhase wird zum Osterhasen
Der Name „Ostara“ stammt „Questico“ zufolge vom lateinischen Wort „Aurora“, was „Morgenröte“ bedeutet. Die Göttin der Morgenröte steht sinnbildlich für das Wiedererwachen der Natur und den Beginn neuen Lebens. Die Göttin der Fruchtbarkeit und des Ackerbaus bringt Licht, Wärme und Energie in die Welt. Es heißt, der heilige „Mondhase“ ist das Tier der Frühlingsgöttin Ostara. Bei Vollmond ist der Mondhase im Sternenbild zu sehen.
Der Hase war für die Menschen früher ein Sinnbild dafür, dass die Göttin der Morgenröte sich bereits auf dem Weg befindet, um den frostigen Winter endlich zu vertreiben. Um Ostara anzukündigen, haben damals die Hasen Eier im Wald vergraben.
Aus dem Ei schlüpfte die Welt
Der keltischen Legende nach hat Ostara zu Anbeginn der Zeit ein Ei gelegt, das sie viele Jahrtausende lang zwischen ihren Brüsten trug, um es zu wärmen und im Anschluss der Dunkelheit zu übergeben. Als das reife Ei schließlich aufbrach, ist aus ihm die ganze Welt geschlüpft: Pflanzen, Gewässer, Menschen und Tiere. Währenddessen ist der Eidotter zur Sonne geworden, die Licht in die Dunkelheit brachte. Die Gabe der Eier – als Sinnbild der Erdenmutter Ostara – stellt demnach ein Ritual dar, das der Geburt der Erde gedenkt.
Übrigens stammen laut „Questico“ die rot gefärbten Eier ursprünglich von der alten Tradition junger Mädchen, die zu Frühlingsbeginn mit ihrer ersten Menstruation das Aufkommen der Fruchtbarkeit feierten.
Das Christentum nahm also die Idee des Mondhasen und der gefärbten Eier auf – und machte daraus den Osterhasen, der seine bunt bemalten Eier versteckt und diese dann suchen lässt. Während beim kirchlichen Osterfest die Wiederauferstehung Jesu im Mittelpunkt steht, feiert das Jahreskreisfest Ostara das Wiedererwachen der Natur nach denWintermonaten.
Ostaras „Comeback“
Die erste schriftliche Erwähnung der „Göttin Eostrae“ stammt aus dem Werk des englischen Kirchenhistorikers Beda Venerabilis, einem Mönch des achten Jahrhunderts. Demnach ist der Name des Ostermonats auf jene Göttin zurückzuführen. Damals hatte die Kirche mit aller Macht versucht, heidnische Bräuche aus Europa zu vertreiben, so dass man sich oftmals nur auf Überlieferungen christlicher Gelehrter stützen kann. Doch der Historiker Beda gilt bis heute als zuverlässige Quelle, weshalb eine Erfindung der Göttin Eostrae auszuschließen ist. Jacob Grimm hatte sich in seinem Buch „Deutsche Mythologie“, erschienen 1835, auf Beda bezogen und die moderne Schreibweise des Namens geprägt: Ostara.
Beispiel für eine Ostara-Meditation, um den Frühling in Empfang zu nehmen:
Neuere religiöse sowie philosophische Strömungen haben begonnen, das Fest der Göttin Ostara zu feiern. Mit neu-philosophischen Bewegungen wie dem Neuheidentum oder dem Wicca erlebt die Frühlingsgöttin ihr „Comeback“: Neuheiden zelebrieren die Frühlings-Tag-und-Nachtgleiche als das Ostara-Fest, ebenso die Wiccan. Hierbei löst sich das Licht in die Dunkelheit ab und die Göttin Ostara erwacht aus ihrem langen Schlaf, um Fruchtbarkeit über die Erde zu bringen.
Ob man nun das kirchliche Osterfest oder das Jahreskreisfest Ostara feiert: Es ist Zeit, die wiederbelebte Natur zu würdigen. Die dunklen Wintermonate sind nun vorbei, die Tage werden wieder länger – und der Frühling zieht endlich ins Land.
Lexa Wessel