Donnerstag, 19. März: Surreal. Wie in einem Roman. So beschreiben viele die momentane Situation. Dass es die Realität ist, wird aber jeden Tag greifbarer. Corona rückt näher – auch hier bei uns im Bayerischen Wald. „Nur“ acht bestätigte Fälle sind es bisher im Landkreis Freyung-Grafenau. Und dennoch: Über zwei Ecken kann zumindest ich bereits Verbindungen zu einem Infizierten herstellen.

Auch wenn die Fallzahlen im Landkreis Freyung-Grafenau nach wie vor gering erscheinen: Das Virus ist bereits da – und verbreitet sich. Screenshot: lgl.bayern.de

Vor zwei Wochen war es Vilshofen. Sechzig Kilometer entfernt. Ein anderer Landkreis. Weit weg. Dann kam Passau: Zwei Ärzte am Klinikum. Hier sind auch viele Patienten aus dem Landkreis-Freyung-Grafenau in Behandlung. Hier kommen auch Menschen aus meinem unmittelbaren Umfeld potenziell mit dem Virus in Kontakt und können es weiter tragen. Näher an uns heran.

Ich kenne jemanden, der einen Infizierten kennt…

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Und es passierte tatsächlich: Eine Kontaktperson trägt das Corona-Virus in meine Nachbargemeinde. Ich kenne den Betroffenen nicht. Ist die Krankheit noch immer weit entfernt? Bin ich nach wie vor „sicher“? Sind all die Maßnahmen der Bundesregierung, sind die Einschränkungen für unser aller Alltag übertrieben?

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Wir verschanzen uns in der eigenen (Playmobil-)Burg: Nicht nur, um selbst gesund zu bleiben, sondern vor allem, um andere zu schützen.

Nein! Denn ich kenne den Infizierten zwar nicht, aber er lässt sich über nur zwei Ecken mit unserer Familie in Verbindung bringen.

Bei Facebook heißt es: Jeder ist über 3,5 Ecken mit jedem anderen beliebigen Facebook-Nutzer „verbandelt“. Aber auch in der Realität sind unsere sozialen Kontakte weit verzweigt, unser Bewegungsradius im Alltag (vor der Corona-Krise) ist riesig: Kindergarten, Job, Freunde, Besorgungen, Feste… Auch hier bei uns, im hintersten Eck des Landkreises sozusagen, ist das so. Und deshalb ist das sichere Gefühl bei mir längst verschwunden. Das Virus erreicht uns auch in Haidmühle, auch wenn es hier weit weniger Leute gibt als in München, die täglich in den Flieger steigen und die ganze Welt bereisen.

Auswirkungen werden spürbarer – und heftiger

Aber es sind nicht nur die Infizierten in meiner Nähe, die das Virus ganz greifbar in die Nähe rücken. Da sind die Eltern meiner besten Freundin, die nun im kleinen Städtchen Mitterteich in der Oberpfalz eine Ausgangssperre einhalten müssen.

Ein Appell der Krankenschwestern (v.l. Kerstin Stadler, Anita Strobl und Nadine Krieger) von der Intensivstation am Krankenhaus Freyung, der sich derzeit auf Facebook verbreitet. Die Botschaft: Bleibt zu Hause! Foto: Kerstin Stadler/ facebook.com

Da ist ein Verwandter im Pflegeheim, dem es so schwer fällt, dass ihn seit Tagen niemand – nicht einmal seine Frau – besuchen kommen darf. Da sind berufliche Termine, die momentan nicht stattfinden, auf den Sommer verschoben werden. Und so weiter…

Und die bange Frage: Wann kann ich guten Gewissens das nächste Mal zu meiner Mama fahren? Sie ist Altenpflegerin und gehört damit zu denjenigen, die die Stellung halten. Und die – wenn irgendwie möglich – nicht in Kontakt mit einer Krankheit kommen sollen, die im Seniorenheim für viele den Tod bedeuten könnte.

„Wir bleiben für euch hier. Bleibt ihr bitte für uns zu Hause

Ein Foto, das sich in sozialen Netzwerken gerade eifrig verbreitet, zeigt Krankenschwestern der Intensivstation am Freyunger Krankenhaus mit Mundschutz: Sie halten ein Plakat hoch mit der Aufschrift „Wir bleiben für euch hier. Bitte bleibt ihr für uns zu Hause!“ Auch wenn es so manchem nach wie vor derart surreal wie in einem Science-Fiction-Krimi vorkommt: Es ist wirklich besser so.

Sabine Simon

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Im Rahmen des Hog’n-Corona-Tagebuches beschreiben die Hog’n-Redakteure Sabine Simon, Helmut Weigerstorfer und Stephan Hörhammer abwechselnd die Auswirkungen der sog. Corona-Krise auf ihr Privatleben, auf ihr Umfeld und die generelle Situation im Bayerischen Wald.


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