Freyung-Grafenau. Wachau, Burgund, Champagne: All diese Regionen vermarkten sich über den Weingenuss. Wenn es nach Bernhard Sitter, Alois Dorfner und deren Mitstreiter geht, kann der heimische Landstrich das Gleiche machen – nicht mit Wein, sondern mit Bier. „Unsere Region muss einen Überbegriff haben, hinter dem die ganze Bevölkerung steht“, fordert Bernhard Sitter. Eine so enge Verbindung zwischen Bier und Kultur gebe es nirgendwo anders. Es gelte eine (Bier-)Marke für die gesamte Region zu bilden – genau das will das Projekt „Bierkulturregion“ erreichen.
Im Sommer 2016 kamen Hotelier Bernhard Sitter und Markenberater Alois Dorfner zusammen. Zuvor hatten beide – unabhängig voneinander – dieselbe Idee: Biergenuss zur Vermarktungsidee für Niederbayern zu machen. „Bisher verbindet man eher Natur und Wandern mit der Region – ein kulinarisches Überthema gibt es dagegen noch nicht“, sagt Dorfner.
Er ist als Markenberater spezialisiert auf Regionalentwicklung und wurde etwa im Rahmen der Landesausstellung „Bier in Bayern“ in Aldersbach damit beauftragt, ein Projekt zum Thema Bier zu konzipieren, das auch nach dem Groß-Event weitergeführt werden kann. Darin involviert waren auch die Tourismusverantwortlichen des Landkreises Passau. Innerhalb dieser Gruppe entstand das Vorhaben mit Biergenuss Werbung für die Region zu machen.
Ähnliche Idee in Oberösterreich
Dann holte man Deutschlands ersten Biersommelier Bernhard Sitter mit ins Boot, womit sich das Unterfangen automatisch auch auf den Landkreis Freyung-Grafenau ausweitete. FRG-Tourismuschef Bernhard Hain zeigte sich ebenfalls begeistert von der Idee – genau wie die Inhaber von insgesamt acht Brauereien. Sitter nutzte dabei seine zahlreichen Kontakte, um Hoteliers und Gastwirte für die Bierkulturregion zu begeistern.
Der Neureichenauer beschäftigt sich als erster diplomierter Biersommelier seit gut zwanzig Jahren mit dem Thema Bier in all seinen Facetten. Er betreibt in Riedelsbach das „1. Bier- und Wohlfühlhotel“, wie er es selbst einst benannt hat. Mehrfach habe er über sein eigenes Hotel hinaus versucht, Bier zum Tourismuskonzept für die gesamte Region auszurufen, sagt Sitter. Vieles sei dabei aber im Sande verlaufen. Schließlich habe ihn ein Kollege aus dem benachbarten Österreich für ein Projekt zu gewinnen versucht, das in dieselbe Kerbe schlug. „Das war mir jedoch zu sehr auf reine Werbung ausgelegt“, sagt der Hotelier und Brauer.
„Ich habe mit anderen Wirten in der Gegend gesprochen und wir waren uns einig: Wir wollen unser eigenes Ding machen“, erinnert er sich. Das Projekt Bierkulturregion solle dabei „von innen heraus“ wachsen und vielmehr über Leistung und Qualität gute Betriebe für den gemeinsamen Tourismusfahrplan gewinnen, anstatt auf viel Marketing und Außenwerbung zu setzen.
Doch kann das funktionieren? Wenn es in Oberösterreich bereits eine Art „Konkurrenzveranstaltung“ gibt? Wenn, wie Sitter selbst berichtet, auch in Tschechien Förderprojekte zum Thema Bier existieren? Wenn außer einem jährlichen Pressegespräch und Werbeflyern in den teilnehmenden Betrieben keine größeren Werbekampagnen gefahren werden?
Was will die Bierkulturregion?
„Wir bauen auf die historischen Wurzeln des Bieres in der Region auf“, erklärt Alois Dorfner. Betont werde dabei, wie eng die hiesige Kulturgeschichte mit dem Gerstensaft verknüpft sei. Beispielsweise war der Erfinder des Pils‘ ein gebürtiger Vilshofener. Auch das Dinkelbier hat seine Wurzeln hierzulande. Einige der ältesten Brauereien überhaupt befinden sich in Niederbayern. „Bier und Barock – diese Verbindung gibt es sonst nirgends auf der Welt“, ist Bernhard Sitter überzeugt.
Zudem wolle man eine neue Genusskultur anstoßen, erklärt Alois Dorfner weiter: „Dafür brauchen wir besondere Biere.“ Man habe den Vertretern der acht beteiligten Brauereien mitgeteilt: „Ihr seid doch Tüftler! Nutzt eure Talente, um ein ganz besonderes Bier zu entwickeln.“ Fünf junge Brauer hätten sich daraufhin zusammengesetzt und etwas „herumgebastelt“, so Dorfner. Dabei heraus kam ein Spezial-Hopfenbier namens „Hopfenklang“ – eine „Komposition feinster Aromen“, mit einer „sensorischen Opulenz“, die einem „orchestralen Meisterwerk“ vergleichbar sei, wie es auf der Internetseite der Bierkulturregion heißt.
Jedes Jahr gibt es eine andere „Partitur“ – also ein neues Bier. Mittlerweile die dritte Variation. Das Erzeugnis verkaufen alle Mitglieder der Bierkulturregion in ihren Restaurants und Hotels. „Hier entsteht die Kultur“, betont Alois Dorfner. Die Dreiviertelliter-Flasche kostet 15 Euro. Der Preis solle zeigen, dass es den Machern in erster Linie um Genuss und Wertschätzung des Kulturgutes Bier geht.
Anfangsphase beendet – wie geht es nun weiter?
„Die Projektphase, in der wir herausgefunden haben, ob wir miteinander können und ob das Thema uns auch wirklich packt, ist abgeschlossen“, informiert Alois Dorfner. Man passe zusammen, alle seien mit Eifer dabei. Deshalb soll die „Bierkulturregion“ nun wachsen. Im vergangenen Jahr haben sich die Brauereien und Hoteliers weitere Partner mit ins Boot geholt: Die Bäckerei Pilger etwa, die speziell auf Biergenuss abgestimmte Brotsorten kreieren soll; oder die Metzgerei Brodinger, die eine zum Bier passende Genusskultur entwickeln soll. Auch spezielle Gläser für den „Hopfenklang“ gebe es bereits.
Das Bier selbst überreiche man zu besonderen Anlässen – beispielsweise als Auszeichnung für ehrenamtliches Engagement oder als Weihnachtsgeschenk der Brauereien. Auch an den Bundespräsidenten habe man bei seinem Besuch im vergangenen Jahr eine Flasche übergeben. „Die Leute sehen es, probieren es – und wollen es haben“, berichtet Alois Dorfner. Im besten Fall stelle sich eine Art Dominoeffekt ein, der das besondere Bier und somit die Bierkulturregion bekannter mache.
„Unser Ziel ist es, dass Bier DAS Genussmittel der Region in den Köpfen der Menschen wird“, sagt Markenberater Dorfner. Dann würde das Projekt, wie gewünscht, von innen heraus wachsen, indem automatisch immer mehr Betriebe daran teilnehmen. „Bereits jetzt kommen Gourmetmagazine auf uns zu“, freut er sich. Vor allem die Typen und Köpfe hinter dem Konzept der Bierkulturregion – allen voran Bernhard Sitter – machten das Ganze lebendig und interessant. „Man muss schon auf gewisse Art und Weise ein besonderer Hund sein, um dabei sein zu können“, verrät Dorfner.
Schön sei vor allem, dass bereits jetzt eine Kameradschaft unter den Brauern entstehe. Jede der acht Brauereien bringe – genauso wie die Wirte und Hoteliers – ihre eigenen Aspekte und Vorstellungen zum Thema Bier mit ein. „Die Bierkulturregion ist die ideale Plattform dafür, dass Betriebe eng und gut zusammenarbeiten – und das landkreisübergreifend“, stimmt auch Bernhard Hain, Tourismuschef des Landkreises Freyung-Grafenau, mit ein. Sein Wunsch ist es, dass der Begriff „Bierkulturregion“ in den nächsten Jahren möglichst an Bekanntheit gewinne und das Projekt organisatorisch wie finanziell auf eigenen Beinen stehe.
Sabine Simon