Passau. Bier aus regionalen Brauereien, Fußball und bayerische Gerichte: Diese Themen sind für viele Bayern Teil der eigenen Kultur und des damit verbundenen Heimatgefühls. Die Verbundenheit zur eigenen Herkunft ist etwas, dass die meisten Menschen vereint. Dabei ist es egal, wie lange man an einem anderen Ort lebt – die eigenen Wurzeln bleiben Teil der Identität.
So geht es auch Maurice Cremers: Seit mittlerweile 14 Jahren lebt er in Passau. 2006 zog er mit seiner heutigen Frau aus dem Ruhrgebiet in die Dreiflüssestadt. Der Philosophie- und Germanistik-Student war damals vor allem mit der Studienorganisation in seiner Heimatstadt Bochum unzufrieden. Als er ein Jobangebot in Passau erhielt, entschied er sich für einen Neuanfang in Niederbayern.
„Ich hatte Angst, ein Stück Heimat zu verlieren“
„Die Idee, hierher zu gehen, kam von meiner damaligen Freundin Yvonne“, erinnert sich Maurice. „Sie war als Kind mit ihren Eltern oft in Bayern im Urlaub. Und sie verband eine Menge positiver Erinnerungen mit der bayrischen Landschaft und der Kultur.“ Doch gerade letztere machte es Maurice anfangs schwer, sich in diesem Landstrich einzuleben: „Ich hatte Angst, ein Stück Heimat zu verlieren“, sagt er im Rückblick.
Dann entdeckte der damals 30-Jährige die „Zeche 14„, eine Bochumer Musikkneipe in der Passauer Innstadt. Er hatte einen Ort gefunden, an dem er sich wieder mehr an seine Herkunft erinnert fühlte. Dazu trug vor allem „der Typ, der hinterm Tresen stand“, bei, sagt Maurice Cremers: „Der damalige Wirt, Severin, und ich waren sofort auf einer Wellenlänge. Wir waren halt irgendwie die einzigen Passauer Bochumer.“
Das Ambiente der Gaststätte, der Name, die Musik und die Einrichtung machten die Zeche 14 zu einem „save Place“ für Maurice: „Ich glaube, es war das Gesamtpaket: In der Zeche fühlte sich alles ein bisschen vertrauter an. Natürlich hab‘ ich mich auch über das Bochumer Bier und die VfL-Bilder an den Wänden gefreut“, erinnert sich der heute 44-Jährige. „Aber es war nicht so, dass ich nur deshalb regelmäßig herkam – vielmehr war es die Stimmung, die es so in keiner anderen Passauer Kneipe gab.“
Übernahme statt Kneipen-Aus
Kein Wunder also, dass es den zugezogenen Ruhrpott-Mann hart traf, als die Zeche 14 zwei Jahre später geschlossen werden sollte. Wirt Severin, der ein gutes Verhältnis zu den umliegenden Innstädter Lokalen pflegte, wollte das Geschäft abgeben. Gemeinsam mit dem damaligen Besitzer des „WahnsInns“, einer weiteren Wirtschaft in der Innstadt, hatte er eine neue Kneipe eröffnet. „Natürlich war das eine kleine Schocknachricht für mich“, sagt Maurice Cremers. „Ich hatte Angst, dieses Heimatgefühl zu verlieren, das ich aus der Zeche kannte.“
Die Idee, die Gaststätte selbst zu übernehmen und somit vor der Schließung zu bewahren, sei ihm jedoch nicht selbst gekommen: Vorbesitzer Severin war es, der Maurice anbot, die Kneipe zu übernehmen. Eine Entscheidung, die er bis heute nicht bereut hat. Seit zwölf Jahren steht er nun fast jeden Abend hinterm Tresen, um seine Gäste zu bewirten und frische Getränke zu zapfen. Seine elementare Aufgabe sieht der 44-Jährige darin, „den Leuten einen Ort der Begegnung zu schenken“. Cremers: „Ich hab in den letzten Jahren so viele Menschen zueinander finden gesehen, habe erlebt, wie Freundschaften entstehen oder Gäste sich ineinander verlieben.“ Eines der Pärchen, die sich in der Zeche kennengelernt haben, sei mittlerweile sogar verheiratet.
Mitten in Passau – und doch nicht in Bayern
Bei derart viel zwischenmenschlichem Kontakt bleiben freilich Reibereien nicht aus. Doch für den Zechen-Inhaber steht im Vordergrund, sich selbst treu zu bleiben: „Ich sag‘ halt, was ich denke – und verstell‘ mich nicht.“ Auch dann nicht, wenn es um bayerische Umgangsformen geht. Gerade während der jährlich stattfindenden Passauer Kneipentour gebe es immer wieder Gäste, die Maurice belehren wollten: „Einige sind der Meinung, ich solle anstatt Hallo lieber Servus sagen. Aber das fühlt sich für mich nicht richtig an – und ich will niemanden schlecht imitieren. Wenn jemand anfängt mit Wir in Bayern…, dann lautet meine Antwort meist: Du bist hier nicht in Bayern!“
Und ja: Bayerisch ist die Zeche 14 wirklich nicht. An der Wand hängen Bochumer und Essener Autokennzeichen, allesamt von ehemaligen Fahrzeugen des Besitzers und seiner Frau. Das aus einer Bochumer Privatbrauerei stammende Fiege-Bier habe mittlerweile auch bayerische Gäste überzeugt. Ebenso die Dönninghaus-Currywurst, die deutschlandweit als Kult-Erzeugnis gilt. Für Maurice besteht kein Zweifel: „Passaus beste Currywurst kriegt man definitiv bei mir!“
Damit für jeden Geschmack etwas dabei ist, probiert er gerne Neues aus. Das meiste Wissen habe er sich durch „Learning by Doing“ angeeignet. Außerdem achtet er auf die Qualität der Zutaten: „Ich nutze nur hochwertige Spirituosen“, sagt er. Leute, die zum ersten Mal in die Wirtschaft kommen, seien dementsprechend oft überrascht von der Vielfalt des Angebots. „Viele erwarten einfach nur eine einfache Bierkneipe ohne große Auswahl.“
Da er seit 2013 nicht mehr Brauerei-gebunden sei, könne er seitdem auch beim Bier selbst darüber entscheiden, ob er die jeweilige Sorte in sein Sortiment aufnimmt. Bei den Getränken ist es Maurice ebenso wichtig authentisch zu bleiben: „Ich bin immer offen für neue Ideen, auch von Seiten meiner Gäste. Aber wenn ich das Gefühl habe, etwas passt gar nicht in die Zeche, dann biete ich es auch nicht an.“ Den für das Ruhrgebiet als klassisch geltenden Korn nahm der Bochumer nach einer Testphase wieder aus dem Standardsortiment. „Der lief wirklich gar nicht.“
Die Treue zum Fußballverein bleibt
Nach 14 Jahren in Passau fühlt sich Cremers immer noch mit seiner Heimat verbunden. „Das wird sich auch nicht ändern“, ist sich der Familienvater sicher. Und so genießt er die regelmäßigen Fahrten nach Bochum, etwa, wenn er wieder Nachschub an Bier benötigt. „Die Fiege-Brauerei ist immer noch eine Privatbrauerei, die haben keine Logistik. Deshalb fahre ich etwa alle zwei Monate hoch, wenn das Bier wieder leer ist.“
Mittlerweile nimmt der 44-Jährige gerne seinen Sohn mit in den Pott. Schließlich lebt ein Teil der Familie, unter anderem die Großeltern des Jungen, nach wie vor im Ruhrgebiet. Und auch die Fußballspiele „seiner“ Fußball-Mannschaft lässt Maurice sich nicht entgehen: „Im bayerischen Raum nehm‘ ich eigentlich alles an Spielen mit. Doch der VfL ist und bleibt mein Verein.“ Diskussionen über Fußball führt der Wirt gerne. Dabei kann es schon mal hitzig zugehen. Aber: „Selbst, wenn man einmal nicht einer Meinung ist, bedeutet das nicht, dass man sich prinzipiell nicht mag. Schließlich hat der Verein ja nichts mit der Persönlichkeit des Gegenübers zu tun, das kann ich ganz gut trennen.“
Ein Ort der Begegnung – für alle Gäste
Sein Publikum ist bunt gemischt, er mixt Cocktails und führt Gespräche mit jedermann. Er sieht sich nicht als „Dienstleister oder Barkeeper“, sondern genießt die Begegnungen in seiner Zeche. „Bei einigen Gästen habe ich das Gefühl, ihnen beim groß werden zuzusehen. Wenn die Quietschies (so der Name der Erstsemester-Studenten – Anm. d. Red.) bei der Kneipentour zum ersten Mal zu mir kommen und dann zu Stammkunden werden, bekomme ich deren Entwicklung mit.“
Auch unter den Besuchern handelt es sich bei der Zeche 14 längst nicht mehr nur um eine gewöhnliche Gaststätte. Das wurde insbesondere deutlich, als Maurice Anfang 2019 die Räumlichkeiten renovierte: „Da waren so viele Gäste unter den Helfern – einfach, weil die sich mit dem Laden identifizieren“. Und nachdem Unbekannte während der Kneipentour Glas-Strohhalme, ein Buch, Spielwürfel und sogar ein Blechschild von der Wand geklaut hatten, taten sich einige der Stammgäste zusammen und kauften dem Wirt die Gegenstände aus eigener Tasche wieder.
Viele Freundschaften haben sich mittlerweile gebildet. Und auch die Wirte der umliegenden Kneipen sind für ihn keine Konkurrenten – häufig kooperieren sie sogar miteinander, beispielsweise bei Veranstaltungen und Festen. Schließlich sei es viel schöner, miteinander zu arbeiten, als gegeneinander. Vielleicht ist genau das das Geheimnis der Bochumer Kneipe mitten in Niederbayern. Fest steht: Für Maurice ist die Zeche 14 pure Leidenschaft – und das spüren auch seine Gäste…
Malin Schmidt-Ott
Ah,das ist aber sehr sympathisch. Sollte ich tatsächlich einmal aus Bochum nach Passau kommen, werde ich die „VfL Kneipe“ einmal besuchen. Liest sich auf jeden Fall gut…in diesem Sinne.:
https://youtu.be/AFRQQCZglwI