Freyung. „Für derlei extreme Fälle wie Hans Reitner muss ein intensiverer Betreuungsaufwand betrieben werden. Der Betreuungsbedarf ist hier viel höher als der, der zurzeit von Gesetzes wegen oder aus finanziellen Gründen möglich ist.“ – „Betreuung muss über die amtliche Fürsorge, die in erster Linie juristische Angelegenheiten wie Mietvertrag, Strom etc. betrifft, hinausgehen. Es geht ums Kümmern – darum, dass diejenigen, die aufgrund ihrer Situation nicht mehr Herr über sich selbst sein können, etwa eine ordentliche Wohnung haben. Was bringt es, diesen Menschen ein Bett zu kaufen, wenn sie es im Anschluss nicht selbst aufbauen können, um darin zu schlafen?“

Hans Reitner, inzwischen verstorbener Langzeitarbeitsloser mit Mehrfachbelastung. Foto: Hog’n-Archiv.

Diese Aussagen stammen von Paul Rammelmeyr, Geschäftsführer des sozialen Beschäftigungsvereins „Chance für Jeden“. Er hatte im Hog’n-Interview Ende des vergangenen Jahres schwere Vorwürfe gegen das derzeit geltende Betreuungssystem erhoben, dem auch Hans Reitner, inzwischen verstorbener Bewohner des einstigen Freyunger Sozial-Brennpunkts im Rachelweg 3, zugehörig war. Reitner wurde – wie zuvor zwei weitere Langzeitarbeitslose mit Mehrfachbelastung – in seiner Wohnung tot aufgefunden. Rammelmeyr geht von „multiplem Organversagen“ aus.

„Ich verstehe nicht, warum man ihm eine Betreuung zur Seite gestellt hat, die im Endeffekt keine Betreuung darstellt“, prangert der CFJ-Geschäftsführer weiter an. „Ein Betreuer allein kann keine effiziente Betreuung ausüben, wenn er sich um zu viele Klienten gleichzeitig kümmern muss. Er stößt hier an seine Grenzen.“ Hans Reitner ist seiner Meinung nach nicht mehr im Stande gewesen, sein Recht auf Selbstbestimmung auszuüben und für sich selbst und ein Leben in Würde Sorge zu tragen.

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Caritas will sich zu konkretem Fall nicht äußern

Zuständig für Hans Reitner war zuletzt der Betreuungsverein des Kreis-Caritasverbands Freyung-Grafenau. Dieser existiert seit 1987, die erstmalige Fördervereinbarung für den Verein ist 1994 in Kraft getreten. Zum konkreten Fall Hans Reitner wollte sich die Caritas nicht äußern – man unterliege der Schweigepflicht. Daher hat da Hog’n ganz allgemein beim Kreis-Caritasverband sowie bei der Betreuungsstelle am Landratsamt Freyung-Grafenau u.a. nach den Aufgaben, dem Betreuungsschlüssel und der Finanzierung des Vereins nachgefragt.

Die Antworten der Betreuungstelle am Landratsamt

In welcher Beziehung steht die Betreuungsstelle am Landratsamt Freyung-Grafenau zum Caritas-Betreuungsverein?

Die hiesige Betreuungsstelle ist zuständig für die Auszahlung der Fördermittel an den Caritas-Betreuungsverein gemäß der Fördervereinbarung und prüft auch jährlich den jeweiligen Verwendungsnachweis. Darüber hinaus schlägt die Betreuungsstelle die Mitarbeiter des Betreuungsvereins des Caritasverbandes (bzw. auch der Lebenshilfe Grafenau) als Betreuer vor, falls eine Betreuung notwendig ist, keine Vorsorgevollmacht vorhanden ist und ehrenamtliche oder Berufsbetreuer nicht vorhanden sind.

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Welche konkreten Aufgaben erfüllen die Mitarbeiter des Caritas-Betreuungsvereins?

Die Mitarbeiter des Betreuungsvereins übernehmen die Betreuung volljähriger betreuungsbedürftiger Menschen aus dem Gebiet des Landkreises Freyung-Grafenau. Daneben kümmert sich der Betreuungsverein auch um die Gewinnung ehrenamtlicher Betreuer und deren Einführung in ihre Aufgaben, die Koordination hauptberuflicher und ehrenamtlicher Betreuungsarbeit sowie den Erfahrungsaustausch zwischen den Mitarbeitern.

„Selbstbestimmungsrecht des Betreuten steht im Vordergrund“

Wo endet die Betreuungsleistung durch den Betreuungsverein der Caritas?

Die Betreuung endet entweder durch den Tod des Betreuten oder die Aufhebung der Betreuung durch das Betreuungsgericht, falls diese nicht mehr erforderlich ist.

Inwiefern spielt das Selbstbestimmungsrecht bei der Betreuung der Klienten des Caritas-Betreuungsvereins eine Rolle? Nach welchen Kriterien ist dieses Selbstbestimmungsrecht definiert?

Die sog. Betreuungsstelle ist dem Landratsamt Freyung-Grafenau eingegliedert. Foto: Hog’n-Archiv

Der Betreuer gilt als gesetzlicher Vertreter des Betreuten für den jeweiligen Aufgabenbereich. Das Selbstbestimmungsrecht des Betreuten steht grundsätzlich im Vordergrund. Entscheidungen des Betreuers sollen daher dem Wohl und den Wünschen des Betreuten entsprechen. Die Grenzen finden sich dort, wo Wünsche des Betreuten für ihn selbst oder die Allgemeinheit eine erhebliche Gefahr darstellen. Dies ist vor allem der Fall, wenn Rechtsgüter des Betreuten gefährdet werden, die im Rang über den vom Wunsch verfolgten Interessen stehen (z. B. Leben, Gesundheit).

Generell: Warum muss diesen Personen durch den Caritas-Betreuungsverein geholfen werden?

Wenn erwachsene Personen aus gesundheitlichen Gründen (z. B. psychische Erkrankung, Demenz o. ä.) nicht mehr in der Lage sind ihre rechtlichen Angelegenheiten (z. B. Abschluss von Verträgen, Anträge bei Behörden usw.) selbst zu regeln, kann das Betreuungsgericht zur Regelung dieser Angelegenheiten einen Betreuer bestellen, soweit nicht schon vor Eintritt der Erkrankung eine Vorsorgevollmacht für eine andere Person ausgestellt wurde.

Wie finanziert sich die Arbeit des Caritas-Betreuungsvereins?

Bei vermögenden Betreuten erfolgt eine Kostenerstattung aus dem Vermögen der Betreuten, ansonsten aus der Staatskasse. Darüber hinaus erhalten Betreuungsvereine auch noch eine Förderung des Freistaates Bayern. Darüber hinaus trägt die Kommune – hier also der Landkreis FRG – mit einer entsprechenden Förderung dazu bei, dass das Defizit gedeckt werden kann

 

Die Antworten des Kreis-Caritasverbands Freyung-Grafenau

Welche konkreten Aufgaben erfüllen die Mitarbeiter des Caritas-Betreuungsvereins? (Die Caritas verweist an dieser Stelle auf die Webseite des Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales, wo u.a. folgendes geschrieben steht:)

Die Betreuungsvereine

  • unterstützen Sie, wenn Sie selbst vom Gericht zur Betreuerin oder zum Betreuer bestellt worden sind,
  • tragen dazu bei, dass das Ziel der persönlichen Betreuung erreicht werden kann,
  • beraten Sie, wenn für Sie oder eine Angehörige oder einen Angehörigen die Betreuung angeordnet werden soll bzw. schon angeordnet wurde,
  • informieren und beraten zu Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügungen,
  • unterstützen und beraten Bevollmächtigte.

Die hauptamtlichen Mitarbeiter der Betreuungsvereine werden von den Betreuungsgerichten häufig als Betreuer bestellt, wenn die Betreuung nicht Einzelpersonen wie Angehörigen oder sonstigen Vertrauten der Hilfsbedürftigen übertragen werden kann. Wenn es nicht möglich ist, eine Einzelperson zum Betreuer zu bestellen, kann auch dem Betreuungsverein selbst die Betreuung übertragen werden.

Aufgaben der Betreuungsvereine

Betreuungsvereine bemühen sich u. a. darum, ehrenamtliche Betreuer zu gewinnen, sie in ihre Aufgaben einzuführen und fortzubilden sowie Bevollmächtigte bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beraten und zu unterstützen. Sie informieren auch planmäßig über Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügungen.

Inwiefern spielt das Selbstbestimmungsrecht bei der Betreuung der Klienten des Caritas Betreuungsvereins eine Rolle? Nach welchen Kriterien ist dieses Selbstbestimmungsrecht definiert? (Die Caritas verweist an dieser Stelle auf eine Broschüre des Bayerischen Justizministeriums, in der u.a. folgendes geschrieben steht:)

Erforderlichkeit: Die Bestellung eines Betreuers und alle weiteren Eingriffe in die Rechte der Betroffenen sind nur so weit und so lange zulässig“, wie dies erforderlich ist.

„Das Betreuungsrecht zielt darauf, die Selbstbestimmung und die Selbstständigkeit des Betroffenen so weit wie möglich zu erhalten.“ Symbolbild: pixabay.com/ Charly_7777

Kann die Betreuung durch andere private oder öffentliche Hilfen vermieden werden – z.B. durch Verwandte, Nachbarn, kirchliche oder soziale Einrichtungen – darf ein Betreuer nicht bestellt werden. Wenn es beispielsweise nur darum geht, dass jemand rein tatsächliche Angelegenheiten nicht mehr selbstständig besorgen kann – z.B. seine Wohnung aufräumen oder kochen – so rechtfertigt dies in der Regel nicht die Bestellung eines Betreuers. Denn hier genügen praktische Hilfen (Haushaltshilfe, Versorgung mit Essen), für die man keine gesetzliche Vertretung braucht, so lange man sie noch selbst organisieren kann. Auf eine Betreuung kann auch dann verzichtet werden, wenn der Betroffene für den Fall seiner späteren Handlungsunfähigkeit vorgesorgt und eine Vorsorgevollmacht erteilt hat.

Das Betreuungsrecht: Ausprägung des Erforderlichkeitsgrundsatzes ist auch, dass die Betreuung je nach Einzelfall und Bedarf unter schiedlich weit reicht: So wird dem Betreuer nur derjenige Aufgabenkreis zugewiesen, für den der Betroffene Unterstützung benötigt. Die Bestellung der Betreuung für verschiedene Aufgabenkreise (wie Vermögenssorge, ärztliche Behandlung, Personensorge, Unterbringung, Postkontrolle etc.) ermöglicht daher einen passgenauen Zuschnitt der Hilfestellung auf die Bedürfnisse des Betroffenen.

Die Betreuung darf auch nur für die Zeitspanne angeordnet werden, in der voraussichtlich eine Betreuungsnotwendigkeit besteht. Spätestens nach Ablauf von sieben Jahren wird die Betreuerbestellung überprüft. Die Betreuung verlängert sich dann nicht automatisch, vielmehr müssen ihre Voraussetzungen in einem neuen Gerichtsverfahren festgestellt werden.

Selbstbestimmung: Das Betreuungsrecht zielt darauf, die Selbstbestimmung und die Selbstständigkeit des Betroffenen so weit wie möglich zu erhalten. Ein Verminderung der eigenen Kompetenz durch eine „Überbetreuung“ soll vermieden werden. Grundsätzlich bestimmt das Betreuungsgericht daher die Person zum Betreuer, die sich der Betroffene wünscht. Auch der Betreuer hat den Wünschen des Betroffenen zu entsprechen, soweit diese dem Wohl des Betreuten nicht zuwiderlaufen und dem Betreuer zuzu muten sind. Wunsch und Wille der Betroffenen sind da her grundsätzlich die Richtschnur für den Betreuer. So darf der Betreuer dem Betreuten beispielsweise nicht gegen dessen Willen eine knausrige Lebensführung aufzwingen, wenn Geldmittel für den gewohnten Lebensstandard vorhanden sind.

Persönliche Betreuung:  Persönliche Betreuung meint nicht, dass der Betreuer persönlich für die Pflege des Betroffenen zuständig ist oder seinen Haushalt führt, sondern dass der Betreuer den persönlichen Kontakt mit dem Betreuten sucht und das Gespräch mit ihm pflegt. Bei der rechtlichen Betreuung geht es um die Rechtsmacht, die Angelegenheiten eines volljährigen Menschen besorgen zu können. Aufgabe des Betreuers ist es daher nicht, den Haushalt des Betreuten zu führen, ihn zu pflegen und zu bekochen, sondern in rechtlich verbindlicher Weise das Leben des Betreuten zu organisieren, soweit er hierzu nicht mehr imstande ist.

„Zwischen drei und fünf Stunden im Monat für Hausbesuche etc.“

Wie viele Mitarbeiter des Caritas-Betreuungsvereins sind momentan dort beschäftigt?

Drei Sozialpädagogen und eine Verwaltungskraft.

Wie viel Zeit wendet ein Mitarbeiter des Caritas-Betreuungsvereins im Schnitt pro Woche für die Betreuung eines Klienten/zu Betreuenden auf?

Der Web-Auftritt des Betreuungsvereins des Kreiscaritasverbands Freyung-Grafenau. Screenshot: Caritas-Website FRG 

Die Stundenanzahl bestimmt das Gericht und beträgt zwischen drei und fünf Stunden im Monat für Hausbesuche, Berichte, Verwaltungstätigkeiten für den Betreuten, Fahrzeiten..

Für wie viele zu Betreuende ist der Caritas-Betreuungsverein aktuell zuständig?

Die Zahl schwankt zwischen 110 und 130 Betreuungen.

Wie finanziert sich die Arbeit des Caritas-Betreuungsvereins?

Der Betreuungsverein finanziert sich zu 80 Prozent aus den Stundensätzen des Gerichts bzw. von Selbstzahlern. Zu zehn Prozent aus Zuschüssen des Landkreises FRG, zu sechs Prozent aus Eigenmitteln des Verbandes (Kirchensteuermittel) und zu vier Prozent aus Zuschüssen der Regierung.

die Fragen stellte: Stephan Hörhammer


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