Freyung. „Ich bin sprachlos und ‚bedanke“ mich im Namen aller Glasschaffenden der Region für diesen Affront.“ Benedikt Freiherr Poschinger von Frauenau scheint offenbar „not amused“ zu sein über die Gestaltung der Herren-Toilette in der Volksmusikakademie (VMA), wie dem jüngsten Instagram-Foto des Frauenauer Glasproduzenten zu entnehmen ist. Darauf zu sehen sind vier weiße Porzellan-Urinale, montiert an einer Wand, auf der eine Szene aus längst vergangenen Bayerwald-Tagen dargestellt ist: Handwerker, die in der dampfenden Atmosphäre einer Glashütte ihrem Beruf nachgehen. Die VMA-Verantwortlichen empfinden die Reaktion des Freiherrn „völlig überzogen“.

„Das edle und traditionelle Glashandwerk als Hintergrundmotiv für Pissbecken in der Volksmusikakademie in Bayern in Freyung.“ Seinem Unmut über die Gestaltung der Herren-Toilette verschaffte sich Benedikt Freiherr Poschinger von Frauenau jüngst via Instagram Luft. Screenshot: Instagram/Poschinger/ da Hog’n 

„Schade, dass das Kulturgut des Bayerischen Waldes so wenig Ansehen und Respekt bei den Planern der ppp-planungsgruppe und der Stadt Freyung als Auftraggeber genießt“, zeigt sich der Frauenauer Glashersteller auf seinem Instagram-Kanal erbost – und fügt mit ironischem Unterton hinzu: „Das edle und traditionelle Glashandwerk als Hintergrundmotiv für Pissbecken in der Volksmusikakademie in Bayern in Freyung. Eine echte Meisterleistung! Und sich selbst auch noch dafür loben…“

„Ohne Hirn und Verstand! Schade!“

Offiziell eröffnet wurde die in Freyung geschaffene „Volksmusikakademie in Bayern“ am 11. Mai 2019. Seitdem präsentiert sich die Glasmacher-Szenerie in der Herren-Toilette all denjenigen, die dort ihre Notdurft verrichten. Am 24. Januar dieses Jahres, also vor wenigen Tagen erst, hat die Waldkirchener Firma „Glas Dersch“ auf ihrer Facebook-Seite verkündet, dass sie dafür „das bedruckte Glas liefern und montieren durfte“ – und sich bei der Stadt Freyung und der ppp-planungsgruppe für den Auftrag bedankt.

Werbung
       
„Das edle Glashandwerk als Motiv für die Toilette! Schade, dass ein Kulturgut des Bayerischen Waldes so wenig Ansehen und Respekt bei Planern und Auftraggebern genießt“, findet Benedikt Freiherr Poschinger von Frauenau. Foto: Hog’n-Archiv

Weitere Kommentatoren zeigen für jene Installation ebensowenig Verständnis wie der Frauenauer Freiherr: „Schlimm, traurig wie ein solch wertvolles Handwerk präsentiert wird!“, ist da etwa in den sog. Sozialen Medien zu lesen. Oder: „Feingefühl und Gespür… da wird kurzerhand viel ruiniert ohne Hirn und Verstand! Schade!“ Und ein anderer findet gar: „In der Musikakademie wird das traditionelle Handwerk mit Urin bespritzt und derweil geht draußen auf den Dörfern die Tradition flöten und Toskanavillen verschandeln die Ortsränder. Eine unfreiwillige Bestandsaufnahme wie im Bayerischen Wald mit Tradition und den eigenen kulturellen Wurzeln umgegangen wird…“

Auch der Account der „Stadt Freyung“ äußert sich auf der Facebook-Seite von Glas-Dersch und schreibt: „Die Stadt Freyung hat den Auftrag gerne erteilt! Nach einer Ausschreibung des von uns beauftragten Architekten…“. Die Betreiber der FB-Seite „Volksmusikakademie in Bayern“ sind der Meinung: „Ist wunderbar geworden.“

„Von Affront kann absolut keine Rede sein“

„Gsuacht und gfundn! – Irgendwann musste wohl der Moment kommen, in dem jemand ein Haar in der Suppe findet“, teilen Roland Pongratz, musikalischer Leiter Volksmusikakademie, und Verwaltungschefin Monika Seibold auf Hog’n-Nachfrage durchaus überrascht mit. Dass die großformatigen historischen Fotos in den Toiletten in die Kritik geraten würden, hatten sie so nicht erwartet. „Schade, dass Freiherr von Poschinger lieber die PR-Maschinerie anwirft, um Stimmung gegen die Volksmusikakademie in Bayern, ihre Planer, Auftraggeber und ausführende Firmen zu machen, statt mit uns auf direktem Weg den Austausch zu suchen. Kurz und knapp: Wir finden die Reaktion völlig überzogen, von den verschiedenen, zum Teil sinnfreien, social-media-liken Kommentaren ganz zu schweigen.“

Werbung
       
„Wer aus der Platzierung eine Verhöhnung des Glasmacherhandwerks konstruiert, ist auf jeden Fall auf dem Holzweg“, findet Roland Pongratz, musikalischer Leiter der VMA. Foto: Hog’n-Archiv

Die Einschätzung Poschingers ist den beiden VMA-Verantwortlichen zufolge nicht nachvollziehbar. „Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass wir die Installation der historischen Fotos auch real kennen, während Freiherr von Poschinger die Situation nur von Bildern aus dem Internet bekannt ist.“ Natürlich, so Pongratz weiter, habe man vor Ort nicht den optischen Eindruck, als ob man in einer Glashütte uriniere. „Wer aus der Platzierung eine Verhöhnung des Glasmacherhandwerks konstruiert, ist auf jeden Fall auf dem Holzweg. Das war weder beabsichtigt, noch wird vor Ort der Eindruck bewusst erweckt.“ Von einem „Affront gegenüber allen Glasschaffenden der Region“ könne aus Sicht der VMA-Leitung daher „absolut keine Rede sein“.

Pongratz und Seibold sei im Übrigen kein Fall bekannt, bei dem sich Komponisten oder Musiker – „und auch sie sind kreative Handwerker“ – darüber beschwert hätten, dass mit ihrer Musik unterschiedlichster Genres die Toiletten von Gasthäusern, Geschäften, öffentlichen Einrichtungen etc. beschallt werden. „Niemand käme wohl auf die Idee dies als Herabwürdigung einzuordnen.“

„Bisher hat sich niemand an der Platzierung gestört“

Beim Bau der „Volksmusikakademie in Bayern“ habe man besonders viel Aufwand für den Erhalt historischer Baukultur betrieben – und das ohne von der Denkmalpflege dazu gezwungen worden zu sein, informiert Monika Seibold. Man habe bewusst auf die regionalen Baustoffe Granit, Holz und Glas gesetzt. „Und man wollte nicht nur für die Pflege der regionalen Musikkultur ein Forum schaffen, sondern die Gäste aus Nah und Fern auch auf andere waldlerische Berufstraditionen wie Glasmacher, Holzfäller, Steinhauer etc. hinweisen – eben weil alle Beteiligten den jetzt abgesprochenen Respekt vor dem überlieferten Kulturgut in all seinen Facetten haben.“

Blick in der Garderoben der Volksmusikakademie: Auch hier sind historische Handwerksmotive an den Wänden zu finden. Foto: Hog’n-Archiv

Die Großfotos würden eine gestalterische Verbindung zwischen den Garderoben, Sanitärräumen und Toiletten darstellen. „Wie wir aus vielen Rückmeldungen unserer mehreren tausend Besucher wissen, kommen die historischen Fotos bestens an. Bisher hat sich niemand an der Platzierung gestört, nicht einmal die zahlreichen Glasmacher, die als Hobbysänger und -musikanten sowie Besucher schon bei uns in der Volksmusikakademie zu Gast waren. Ganz im Gegenteil, gerne hat man die Bilder betrachtet, sie sich gegenseitig gezeigt und darüber ausgetauscht“, teilt Roland Pongratz weiter mit.

„Und wie aus vielen Berichten und Aufzeichnungen bekannt ist, ging und geht es an den Arbeitsstellen der Glashütten – wie in vielen anderen Handwerksberufen auch – keineswegs so edel zu, wie Freiherr von Poschinger in seinem Post versucht Glauben zu machen. Es menschelt halt auch dort. Wir laden Freiherr von Poschinger und alle anderen Kommentatoren gerne ein, sich bei einer unserer nächsten öffentlichen Veranstaltungen in der Volksmusikakademie in Bayern selbst ein Bild von den Fotoinstallationen zu machen.“

Stephan Hörhammer

 


Dir hat dieser Artikel gefallen und du möchtest gerne Deine Wertschätzung für unsere journalistische Arbeit in Form einer kleinen Spende ausdrücken? Du möchtest generell unser journalistisches Schaffen sowie die journalistische Unabhängigkeit und Vielfalt unterstützen? Dann dürft ihr das gerne hier machen (einfach auf den Paypal-Button klicken).


0 Kommentare “Urinal-Gate an der Volksmusikakademie: „Eine echte Meisterleistung!“

  1. Ich glaube nicht, dass sich diejenigen, die eine solche Geschmacklosigkeit planten, etwas Abfälliges dabei gedacht haben. Aber das ist eben das Problem, dass zu wenig nachgedacht wird. Jede Effekthascherei, die sich zur Ware machen lässt, ist „cool“, Respekt und Einfühlungsvermögen sind da Fremdwörter. Aber sollte die Volksmusikakademie nicht gerade ein Gegenstück für die marktschreierischen Geschmacklosigkeiten sein, die heute so als bayrische Kultur vermarktet werden? Ich hoffe sehr, dass die Clotapete nicht zum Programm für die neue Akademie wird. Kürzlich wurde die „Oma-Sau“ durchs Land getrieben, ausgerechnet von Leuten, die sich ansonsten bei „Political Correctness“ fast überschlagen. Glasmacher und Holzhauer, also die Fundamente unser waldlerischen Existenz, als Tapete für den Abort, gehören wohl in dieselbe Schublade.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert