Freyung. „Přemysl Pitter – Europäischer Humanist“. So lautet der Titel der Ausstellung, die vom 9. bis 29. November in den Räumen der Sparkasse Freyung zu sehen ist. Sie beschäftigt sich mit dem Leben und Wirken jener großen Gestalt des deutsch-tschechischen Verhältnisses im 20. Jahrhundert, die sich als Verteidiger der Menschenrechte in einer Phase des blutigen und aufgeheizten Nationalismus hervorgetan hat. Wir haben uns im Vorfeld mit Matthias Dörr, dem Bundesgeschäftsführer der Ackermann-Gemeinde, über Přemysl Pitter und die Ausstellung unterhalten.
Herr Dörr: Sie sind Bundesgeschäftsführer der Ackermann-Gemeinde. Erklären Sie uns bitte kurz die Ziele und Intentionen des Verbands?
Die Ackermann-Gemeinde bringt sich aktiv in die deutsch-tschechische Nachbarschaft ein und engagiert sich für Europa. Dieser Einsatz ergibt sich aus der Geschichte des Verbandes: Er wurde 1946 von Katholiken aus Böhmen, Mähren und Schlesien gegründet, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Heimat verlassen mussten.
„Er stand immer auf der Seite der Kinder“
Von Beginn an setzte sich die Ackermann-Gemeinde für Integration sowie für Dialog und Versöhnung zwischen Deutschen und Tschechen ein. Heute gibt es zahlreiche Kontakte ins Nachbarland und jährlich eine Vielzahl von Begegnungen sowie von grenzüberschreitenden gemeinsamen Projekten. Der wichtigste Partner ist dabei die Sdružení Ackermann-Gemeinde, die 1999 in Prag als tschechische Schwesterorganisation gegründet wurde.
Die Ausstellung in Freyung widmet sich dem europäischen Humanisten Přemysl Pitter. Welche Rolle spielt er im deutsch-tschechischen Kontext?
Mit Přemysl Pitter stellen wir eine bedeutende tschechische Persönlichkeit vor, in dessen Leben sich die tragische Geschichte Mitteleuropas im 20. Jahrhundert widerspiegelt. Er stand immer auf der Seite der Kinder – unabhängig davon ob sie tschechisch oder deutsch, jüdisch oder christlich waren. So unterstützte er jüdische Kinder in der Zeit der NS-Besatzung und schuf nach Kriegsende für Kinder, die die Schrecken der Konzentrationslager überlebt hatten, Erholungsheime. Im Sommer 1945 erlebte er dann die Situation in den tschechischen Internierungslagern für Deutsche. Daraufhin rettete er deutsche Kinder aus diesen Lagern und nahm sie in seinen Heimen auf. Dies erforderte ebenso großen Mut und stieß in dieser Zeit des aufgeheizten Nationalismus natürlich auf großes Missfallen.
Was gibt es in der Ausstellung alles zu sehen?
Die Ausstellung zeichnet zum einen Pitters Lebensweg und sein Wirken nach. Bemerkenswert sind neben dem bereits beschriebenen Einsatz für bedrohte Kinder auch seine Pionierarbeit als Pädagoge. In der Zwischenkriegszeit kümmerte er sich im Prager Stadtteil Žížkov um Kinder und Jugendlichen aus sozial schwachen Familien. Es geht aber auch um sein Wirken im westeuropäischen Exil. Bei allen, die mit Pitter zu tun hatten, hat er einen tiefen Eindruck hinterlassen. Jehuda Bacon, jüdischer Künstler, Auschwitz-Überlebender und 1945 selbst ein „Pitter-Kind“, sagte in einem Interview: „Pitter hat mir wieder den Glauben in die Menschen zurückgegeben.“ Zum anderen werden in der Ausstellung seine Gedanken zu grundlegenden Fragen vorgestellt. Diese sind wirklich faszinierend und zeugen von einem starken Glauben. Mit seinen Gedanken war Pitter seiner Zeit voraus.
„Wir müssen immer wieder neue Menschen gewinnen“
Was würde Přemysl Pitter heute unter dem Begriff „gute Nachbarschaft“ verstehen?
Zunächst denke ich, dass sich Pitter über den heutigen Zustand Mitteleuropas freuen würde. Die kommunistischen Regime sind gefallen, Deutsche und Tschechen sind gemeinsam in der Europäischen Union – und die Grenzen haben an Bedeutung verloren. Pitter wünschte sich genau das: dass die Ländergrenzen nicht mehr trennen und unbedeutend werden. Zugleich wäre er aber mit dem Ist-Zustand nicht zufrieden. Für ihn gehört zum Beispiel ein offener, tabuloser Umgang mit der Geschichte und das Bekennen der eigenen Schuld auch zu einer guten Nachbarschaft. Hier ist zwar viel passiert – und dies haben wir als Ackermann-Gemeinde auch unterstützt und gewürdigt -, aber es braucht noch einige Schritte, damit wir von einer gemeinsamen Erinnerungskultur sprechen und uns ohne Vorurteile begegnen können. Auch wenn trennende historische Ereignisse schon Jahrzehnte zurückliegen, wirken sie bis heute nach.
Wie betrachten Sie selbst das aktuelle Verhältnis zwischen Bayern und Tschechen?
Die Nachbarschaft hat sich seit 1989 sehr gut entwickelt. Zunächst gingen engagierte Menschen dies- und jenseits des Böhmerwaldes voran. Sie schufen nach Jahrzehnten der Trennung durch den Eisernen Vorhang ein neues Fundament unserer Nachbarschaft. Viele Schritte der Versöhnung wurden gegangen. Partnerschaften auf kommunaler und kirchlicher Ebene sowie zwischen zivilgesellschaftlichen Gruppen sind entstanden. Der Streit um die Deutsch-Tschechische Deklaration in den 1990er Jahren war anstrengend, hat uns aber vorangebracht. Es ist erfreulich, dass seit Horst Seehofer auch die bayerische Politik Tschechien nun das Gewicht und die Aufmerksamkeit einräumt, die es als direkter Nachbar verdient.
Was muss geschehen, damit sich das Verhältnis der beiden Nationen künftig weiter verbessert?
Nachbarschaft muss gepflegt werden. Es braucht Begegnungen, Austausch, gegenseitige Besuche, Partnerschaften, gemeinsame Aktivitäten und Projekte. Unsere Beziehungen stehen nicht mehr in der großen Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit – und auch nicht der Politik. Diese „Normalisierung“ birgt die Gefahr in sich, dass das Interesse aneinander abnimmt. Wir müssen immer wieder neue Menschen gewinnen, sich für ein Miteinander von Deutschen und Tschechen zu engagieren. Deutsche und Tschechen, Bayern und Böhmen sind historisch, kulturell und nun auch wieder wirtschaftlich so eng miteinander verbunden, dass das Verhältnis immer ein besonderes bleiben wird, welches wir auch pflegen müssen.
Vielen Dank für Ihre Zeit und Mühen. Alles Gute weiterhin.
die Fragen stellte: Stephan Hörhammer