Es dürfte für so manchen Kürbiskopf-Fan der ersten Stunde ein kleiner, sehr feuchter Traum in Erfüllung gegangen sein: Nachdem genug Zeit verstrichen war, diverse Bandmitglieder gekommen und gegangen waren, der allgemeine Zorn aufeinander verraucht war und überhaupt die hanseatischen Gemüter ein wenig auf Betriebstemperatur heruntergekühlt waren – mithin die ganze Belegschaft endlich erwachsen geworden war -, schlug die Nachricht wie eine Bombe ein: Die Speed-Metal-Könige aus Hamburg würden gemeinsam und wiedervereinigt nicht nur auf Tour gehen, sondern dieses Ereignis auch in gebührender Weise via Nuclear Blast unter die Leute bringen.
Heißt im Klartext: Nicht nur die aktuelle Helloween-Besetzung mit Michael Weikath (g), Sascha Gerstner (g), Markus Großkopf (b), Daniel Loebe (dr) und Andi Deris (v) werde da auf der Bühne stehen, sondern auch Ur-Gitarrist und Gamma-Ray-Chef Kai Hansen sowie – surprise! surprise! – Mr. Helloween himself, Goldkehlchen Michael Kiske.
Klar der beste der drei bisherigen Helloween-Sänger
Kiske und Weikath – nicht nur auf einer Bühne, sondern auch in trauter Harmonie? Das war lange Zeit nicht vorstellbar. Und dann das! „United Live In Madrid“ heißt das Dreifachalbum, auf dem 20 der größten Hits aus der langen Helloween-Geschichte präsentiert werden. Und tatsächlich schleicht sich das eine oder andere Tränchen ins Fan-Auge, wenn man sich gleich zu Beginn in die fast 14-minütige Halbwelt des Klassikers „Halloween“ werfen lässt – und Kiske und Deris zweistimmig zu Gesangswerke gehen. Und Gerstner, Weikath und Hansen die Triple-Axe-Attack auffahren, so dass die Dichte des Sounds nur noch vom begeisterten spanischen Publikum übertroffen wird.
Nach „Halloween“ ist ein Schrei zu hören und „Dr. Stein“ geht an sein Bastel-Werk; nach „I’m Alive“ von der zweiten „Keeper…“-Scheibe geht es mit „If I Could Fly“ und „Are You Metal“ erstmals in die Deris-Ära, ehe „Rise And Fall“ wieder zurück in die 80er-Jahre eilt. Dabei ist klar: Wenn man mit den Kiske-Weenies großgeworden ist, wird Deris immer ein Fremdkörper bleiben und die Songs in der zweiten Reihe heraushouten. Klar ist aber auch, dass Kiske, der nach seinem zwischenzeitlichen Esoterik-Trip wieder zum Metal zurückgefunden hat, klar der beste der drei bisherigen Helloween-Sänger ist.
Das wird bei „Kai’s Medley“ deutlich, als der rothaarige Hanseat mit der Flying-V „seine“ Songs „Starlight“, „Ride The Sky“, „Judas“ und „Heavy Metal Is The Law“ zusammengefasst in 13 Minuten präsentiert. Klar, für viele Fans wird Hansen der einzig echte Helloween-Sänger sein und bleiben – technisch bleibt er indes klar hinter den anderen beiden zurück.
Und warum man wirklich die doch eher etwas infantil-peinliche Nummer „Perfect Gentleman“ vom ersten Deris-Album „Master Of The Rings“ von 1994 bringen musste, erschließt sich bei der durchaus vorhandenen Qualität der bislang zehn Deris-Alben nicht so ganz. Auch wenn man mit dieser Meinung weitestgehend alleine dasteht – man hätte sich jedoch durchaus auch den einen oder anderen Song von „Chameleon“ oder „Pink Bubbles Go Ape“ vorstellen können. Das wäre der Vergangenheitsbewältigung aber dann wohl doch tatsächlich ein wenig zu viel gewesen…
Doch insgesamt funktioniert diese rund zweieinhalbstündige Zeitreise sehr gut. „Livin‘ Ain’t No Crime/A Little Time“, das grandiose „How Many Tears“, “Eagle Fly Free” oder die Balladen “Forever And One” und “A Tale That Wasn’t Right” geben sich die Klinke in die Hand und sorgen für wohlige Gänsehautschauer beim Zuhörer.
Es gibt nur einen einzigen, wirklich traurigen Wermutstropfen
Natürlich kann eine solchermaßen wie von „Dr. Stein“ zusammengesetzte Truppe von insgesamt acht Musikern nicht ohne die Klassiker schlechthin von der Bühne: „Keeper Of The Seven Keys“ in einer fulminanten 17-Minuten-Version, „Future World“ und das unkaputtbare „I Want Out“. Auch wenn man kein Fan von Konzert-DVDs sein mag – hier wäre eine Ausnahme durchaus denkbar. Ansonsten darf man gespannt bleiben, ob es von diesen „Helloween United“-Jüngern demnächst auch ein Studiowerk geben wird. Wünschenswert wäre es!
Einziger, wirklich trauriger Wermutstropfen: Ur-Schlagzeuger Ingo Schwichtenberg, der sich am 8. März 1995 umbrachte, fehlt. Doch er wird gewiss auf seiner Wolke im Rock’n’Roll-Himmel zu „Halloween“ oder „Keeper Of The Seven Keys“ mitbangen!
Wolfgang Weitzdörfer
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- VÖ: 4. Oktober 2019
- Label: Nuclear Blast Records
- Songs: 20 (3-CD)
- Spielzeit: 2 Stunden 20 Minuten
- Preis: ca. 19 Euro