Hinterschmiding. Aus dem anfänglichen Naturphänomen ist mittlerweile eine Naturkatastrophe geworden. Vor einigen Wochen noch staunten viele Waidler über riesige Käferlarven-Schwärme in den heimischen Böden. Die verheerenden Folgen jener drastischen Überpopulation waren damals der breiten Öffentlichkeit nicht bewusst – nur den Landwirten schwante bereits Böses. Inzwischen sind die Auswirkungen der Engerling-Plage deutlich sichtbar: Zahlreiche Bayerwald-Wiesen sind bereits gelb-braun eingefärbt, anstatt – wie für diese Jahreszeit üblich – satt-grün zu leuchten. Die Käferlarven („Engerlinge“) haben sich in Windeseile verbreitet und ernähren sich fast ausschließlich von Graswurzeln – zahlreiche Wiesen werden so regelrecht dahingerafft.
Die weitere Gras- bzw. Heuernte der Bauern fällt heuer deshalb aus. Nach dem wegen der langanhaltenden Trockenheit ohnehin überschaubaren Ertrag im bisherigen Jahresverlauf, können zahlreiche Landwirte bereits jetzt nicht mehr ihr Vieh mit ausreichend Futter versorgen – ganz abgesehen vom strengen Bayerwald-Winter, währenddem die Tiere von den Sommervorräten leben sollten. Viele Bauern stehen deshalb vor dem Aus. Zu jenen Leidtragenden gehört auch Familie Blöchl, die in vierter Generation eine Landwirtschaft am Rande von Hinterschmiding im Nebenerwerb betreibt.
Die Sanierung eines Hektars Wiese kostet zirka 1.000 Euro
Bisher sei es kein Problem gewesen, berichtet Juniorchef Sandro Blöchl gegenüber dem Hog’n, die zehn Milchkühe mit ausreichend Gras, Silo und Heu zu versorgen. Die zirka sieben Hektar Wiese rund um den Hof gehören seit jeher zum Anwesen dazu – und reichten bislang vollkommen aus, um ohne Probleme selbst längere Winter zu überbrücken. Doch anstatt – wie für den Sommer üblich – die Felder mit Mähwerk und Ladewagen zu bestellen, bearbeiteten die Blöchls ihre Flächen zuletzt mit einer Fräse. „Das ist die einzige Möglichkeit, um die Engerlinge bei uns zu bekämpfen“, erklärt der 26-jährige Lagerist. Denn: „Gelangen die kleinen Tierchen an die Oberfläche, sterben sie ab.“
Gleichbedeutend mit diesem Schritt ist jedoch, dass – bis auf eine Menge Unkraut – in nächster Zeit nichts auf diesen landwirtschaftlichen Nutzflächen wachsen wird. Eine Sanierung, die einen angemessenen Ertrag garantieren würde, kostet pro Hektar jedoch rund 1.000 Euro, wie Sandro Blöchl vorrechnet. Eine zu große Investition für einen Nebenerwerbsbetrieb, der überdies viel Geld in den vergangenen Jahren für neue Gerätschaften ausgegeben hat. Auch der Zukauf von Heuballen rentiert sich nicht – zumal in Folge der Engerling-Plage der Markt leer gefegt scheint. „Die hohe Nachfrage hat bewirkt, dass ein Ballen rund 100 Euro kostet. Um über den Winter zu kommen, bräuchten wir zirka 30 bis 40. Bei lediglich 500 Euro Milchgeld im Monat brauch‘ ich da gar nicht erst weiterrechnen.“
„Spätestens im Dezember sind unsere Vorräte aufgebraucht“
Für die Blöchls steht deshalb fest: „Spätestens im Dezember sind unsere Vorräte aufgebraucht. Dann werden wir unsere Kühe verkaufen und die Landwirtschaft aufgeben.“ Worte, die Sandro Blöchl bereits ohne größere Emotionen ausspricht. Man hat sich offenbar abgefunden mit dem Schicksal – auch wenn es dem Hinterschmidinger weiterhin schwer fällt, das Kapitel, das einst seine Urgroßeltern aufgeschlagen hatten, endgültig zu schließen. Irgendwie scheint der 26-Jährige aber auch froh zu sein, eine Entscheidung getroffen zu haben. Froh, dass der Schrecken bald ein Ende hat und er sich keine Sorgen mehr darüber machen muss, wie er seine Milchkühe über die Runden bringt. Die Wiesen werden sich über die Jahre hinweg selbstständig regenerieren.
Familie Blöchl ist längst kein Einzelfall mehr: Von mehreren befreundeten Landwirten habe sie erfahren, dass es ihnen ähnlich ergeht. Doppelt bitter für die Hinterschmidinger: Ihre Flächen liegen ausschließlich an einem Südhang – eigentlich ein unschätzbarer Vorteil, wenn das Gras zu Silo oder Heu werden soll. Die dortige Trockenheit und die hohen Temperaturen während der Sommermonate sind jedoch auch das Paradies für Engerlinge, die sich bei diesen Verhältnissen massenhaft vermehren.
Blöchl wünscht sich Aufhebung des Pilzgerste-Verbotes
Gegenmaßnahmen hinsichtlich dieser Entwicklung gebe es nicht – zumindest keine in Deutschland erlaubten. Genau an diesem Punkt fühlt sich Sandro Blöchl von der Gesetzgebung im Stich gelassen. Das einzige Mittel, das die Vermehrung der Käferlarven in Zaum halten könnte, wäre die sogenannte Pilzgerste. Dieses biologische Bekämpfungsmittel ist u.a. in Österreich erlaubt, diesseits der Grenze jedoch nicht. „Es wäre doch sinnvoll, wenn man diese Regelung abschaffen oder zumindest kurzzeitig aussetzen würde“, schlägt Sandro Blöchl vor. „Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen.“
Der 26-Jährige kritisiert weiter, dass die Engerling-Plage aufgrund ihrer lokalen Begrenzung an höherer Stelle nur wenig Aufmerksamkeit bekomme. Auch überregionale Medien würden nur spärlich über die Vielzahl an Käferlarven berichten – etwa im Gegensatz zur Borkenkäfer-Flut. Als Nebenerwerbs-Landwirt werde man darüber hinaus ohnehin nur belächelt. „Dieselbeihilfe, Hilfen beim Futterzukauf – bei all diesen Angelegenheiten wird man nur ab einer Menge unterstützt, die wir als kleiner Betrieb nie erreichen.“
Themen, mit denen sich der junge Bauer künftig nicht mehr beschäftigen braucht bzw. muss. Trotz dem Ende seiner Landwirtschaft liegt es ihm jedoch am Herzen, diese Kritikpunkte anzubringen und womöglich für Diskussionen zu sorgen. Das Aus des Blöchl-Hofes sei besiegelt – und soll ein warnendes Beispiel für die Entwicklung der Agronomie im Bayerischen Wald sein, wie Blöchl betont. „Rettet die Bienen – das ist gut und recht. Aber wenn unsere Natur abstirbt, bringen uns auch die Bienen nix.“
Helmut Weigerstorfer