Bad Kötzting. “Dem Normalbürger”, wie Thomas Klügel das nennt, dürfte kaum auffallen, was sich oben auf dem 616 Meter hohen Wagnerberg verbirgt. „Bei Geodäsiestudenten“ sei das etwas ganz Anderes. Da ist Wettzell bei Bad Kötzting im Landkreis Cham fast jedem ein Begriff. Denn auf dem Wagnerberg befindet sich mit dem Observatorium Wettzell eine sogenannte geodätische Fundamentalstation. Weltweit gibt es davon lediglich eine Handvoll. Mit Blick auf die Ausstattung und das Know-how sei es „weltweit führend“, berichtet Klügel gegenüber dem Hog’n. Und er muss es wissen: Bereits seit 21 Jahren arbeitet er am Observatorium, mittlerweile ist er dort als stellvertretender Leiter tätig.

Doch was passiert dort oben auf dem Berg, dessen Teleskope, Kugeln, Schirme und Laserstrahlen beständig Erinnerungen an die Star-Wars-Episoden hervorrufen, eigentlich genau? Wer das verstehen will, sieht sich zunächst mit vielen Fachbegriffen und noch mehr teils eher kryptischen Abkürzungen konfrontiert. Da gibt es ein RTW, das neben dem WLRS steht. Vom GNSS Operation Center, von ITRF und VLBI ist da die Rede. Nichts für Laien also.
Es muss beständig nachjustiert werden
Aber der Reihe nach. Kurz, wenn auch wenig plastisch gesagt, gehe es um die „Realisierung laufender Referenzsysteme“, wie der 54-jährige Klügel etwas Licht ins Dunkel zu bringen versucht. Soll heißen: Mithilfe monströser Teleskope und Maschinerien futuristischen Antlitzes werden am geodätischen Observatorium Messungen zu Satelliten und Radiosternen durchgeführt. Diese bilden die Grundlage für diverse „Referenzsysteme“ – am geläufigsten sind hierbei wohl Navigationssysteme oder digitales Kartenmaterial. Darunter fallen jedoch auch die Messung der Erdrotation sowie hydrologische oder seismologische Berechnungen.

Die europäische Platte, die sich im Schnitt zwei bis drei Zentimeter pro Jahr bewegt, sorgt dann auch dafür, dass am Wettzeller Observatorium die Arbeit nicht ausgeht. Mittels modernster Verfahren wird hier die Erde millimetergenau vermessen. Das bedeutet aber auch, dass beständig nachjustiert werden muss, wenn sich Kontinentalplatten verschieben oder die Erde ihre Stellung im Raum verändert. Dazu kann Klügel auf ein Team von rund 30 Mitarbeitern zurückgreifen: überwiegend Ingenieure, aber auch Geophysiker oder Informatiker. Nur zwei Frauen befinden sich darunter. Das spiegele sich auch in den Bewerbungen wider, betont der stellvertretende Leiter des Instituts. Wie in vielen Ingenieursberufen gebe es kaum weibliche Aspirantinnen.
„Jeder hier muss auch löten oder ein paar Kabel verlegen können“
Dass man für das prestigeträchtige Observatorium mit Wettzell nicht gerade den Nabel der Welt als Standort auserkoren hatte, hat seine Gründe. Als man in den 1970ern in Deutschland damit begann Satellitengeodäsie als Messverfahren einzusetzen, brauchte es einen möglichst freien Himmel, also wenig Flugverkehr und kaum Lichtverschmutzung. Da in Grenznähe – zur Zeit des Kalten Krieges – ein Flugverbot galt, fiel die Wahl auf den Bayerischen Wald.

Betrieben wird das geodätische Observatorium vom Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG). Zu Forschungszwecken nutzt es außerdem die Technische Universität München. Neben der erwähnten „Realisierung laufender Referenzsysteme“ wird auf dem Wagnerberg daher auch viel Zeit in Forschung, Innovation oder wissenschaftliche Veröffentlichungen investiert. Doch „im Grunde muss jeder hier auch löten oder ein paar Kabel verlegen können“, erklärt der 54-Jährige. Das Aufgabenspektrum auf dem Wagnerberg ist breit – das beständig Neue, die viele Abwechslung sei einer der schönsten Aspekte seiner Arbeit, wie der Vize-Chef findet.
Zu seinem Job sei er ohnehin auf Umwegen, als klassischer „Quereinsteiger“, gekommen, wie der Geowissenschaftler erläutert. Geboren in Hofheim bei Frankfurt am Main studierte Klügel zunächst Geologie an der Uni Darmstadt und promovierte anschließend in Würzburg – seine „erste Bavarian Connection“, sagt Klügel und lacht. Nachdem er dann für einige Zeit nach Potsdam gewechselt war, kam er 1998 in den Bayerischen Wald. Zunächst auf Zeitvertrags-Basis, dann als Festangestellter, mittlerweile als stellvertretender Leiter.
Internationales Flair am Wettzeller Wagnerberg

Es liegt wohl auch in der Natur der Sache, dass Klügel und sein Team auf internationalen Austausch angewiesen sind – sogar „auf Gedeih und Verderb“. So gehört auch die AGGO, eine Fundamentalstation bei Buenos Aires, zur Wettzeller Station. Ein weiterer wichtiger Referenzpunkt steht in der Antarktis. Aber auch gemeinsam mit den USA, Russland oder China trage man zu dieser „internationalen Anstrengung“ bei. So kommt es auch, dass in der Vergangenheit etwa Personal aus Russland, Korea, China oder Indien im Bayerischen Wald zugange war. Sehr zur Freude des stellvertretenden Chefs: „Man muss gar nicht erst reisen, sondern einfach nur hier her kommen“, sagt Klügel mit einem Schmunzeln.
Johannes Greß