Graz/Finsterau. Die Liebe zum Bayerischen Wald haben schon viele entdecken und erfahren dürfen. Viele hat sie bis heute nicht mehr losgelassen – so wie Ulrich Bänsch aus Stuttgart, der im Onlinemagazin da Hog’n über seine Erinnerungen an wunderbare Urlaubszeiten im Bayerwalddorf Finsterau nahe der bayerisch-böhmischen Grenze berichtet. Im zweiten Teil der Serie „Finsterau – meine Jugendliebe“ erzählt der heute in Graz lebende Journalist und Autor von den teils recht abenteuerlichen Anreisefahrten in den Woid, dem ersten Aufenthalt in einer Mauther Pension nahe des Reschbachs sowie dem erstmaligen Verbleib im „Forsthaus Hochwald“…
Bekannte meiner Eltern erzählten von einem absoluten Geheimtipp im hintersten, südöstlichsten Winkel Deutschlands. Im (damals) finstersten Bayerischen Wald. Kaum Touristen und nahe an der Grenze zur Tschechoslowakei. So gut wie kein Verkehr – der Grenzübergang war damals eh nicht passierbar – und grenzenlose Wälder. Nur Wald, Wald und nochmals Wald. Also genau das richtige für die Frau Mama.
Das waren nervenaufreibende Fahrten
Unsere Bekannten – ich nannte sie nur „Tante Wagner“ – schwelgten in den höchsten Tönen von Finsterau. Sie wohnten bei einer Försterfamilie. Heute würde man marketingtechnisch auf Touristendeutsch feuchtfröhlich fabulieren – „mit Familienanschluss“. Das einzige Manko war wohl, dass sie nur ein Zimmer mit zwei Betten zu vermieten hatten – und wir waren zu dritt. Als die liebe Tante Wagner mit ihrem Gatten wieder nach Finsterau auf Sommerfrische gefahren ist und mein Vater zur gleichen Zeit seinen Jahresurlaub genommen hatte, fuhren auch wir dorthin – zumindest in die geografische Nähe. Es sollte wohl eine Überraschung werden, wenn wir dort, fern der Heimat, plötzlich vor dem Försterhaus standen…
Damals war das noch eine atemberaubende Reise, ja fast schon eine Fernreise, um von Stuttgart in den Bayerischen Wald zu kommen. Autobahn gab es weiland nur bis München – und dann war Bundesstraße angesagt: über Dachau, Landshut, Dingolfing bis Deggendorf. Das waren nervenaufreibende Fahrten – besonders dann, wenn man in einer Kolonne hinter einem Lastkraftwagen herzuckeln musste. Denn früher waren die Kapitäne der Landstraße noch nicht mit solch leistungsstarken Triebwerken beglückt wie heute – und die Automobile verfügten nicht einmal ansatzweise über das Leistungsspektrum heutiger Fahrzeuge.
Aber, man kam voran. Jedoch geriet jedes Überholmanöver zu einer schweißtreiben Angelegenheit. Besonders für die Mama, die auf dem Beifahrersitz mehr „fuhr“ als der Papa am Steuer – und solche Manöver mussten taktisch klug vorbereitet werden. Ein Navi? Das gab es selbstredend noch nicht. Eine solche Fernreise (oder war es doch schon eine Expedition?) wurde am heimischen Wohnzimmertisch noch mit Hilfe von Straßenkarten generalstabsmäßig vorbereitet.
Rast wurde jedesmal bei unseren Woid-Fahrten in Dingolfing und in Deggendorf gemacht. Das entwickelte sich zu einer Tradition: Dingolfing, um meine Cousine Bärbel zu besuchen, und die Visitation eines bekannten Ehepaares meiner Mama in Deggendorf. Herr Briese – so hieß der kettenrauchende Bekannte – schnitzte sehr viel und da bekam ich immer ein paar Überbleibsel seiner Schnitzkunst geschenkt. Diese Holzreste waren für mich immer etwas ganz Besonderes und wurden gehütet wie ein Schatz.
Es war „Liebe auf den ersten Blick“
Von Deggendorf aus ging es dann nach Hengersberg und zum Teil über recht schlecht ausgebaute Landstraßen tief in den Bayerischen Wald hinein. Mit jedem Kilometer kletterte das Gute-Laune-Barometer weiter. Grafenau, Hohenau und wie sie noch alle heißen, bis wir schließlich in Mauth angekommen waren. Das war unsere erste Destination am Nationalpark Bayerischer Wald. Untergekommen sind wir in einer Privatpension im Reschbachtal.
Ich weiß noch, dass es in diesem Urlaub wohl keinen Tag gegeben hat, an dem ich nicht in den Reschbach gefallen bin, als ich voller Übermut mit den Kindern unserer Wirtsleute über einen schmalen Steg – ich glaube, es war nur eine Holzlatte – tollte. Von meinen Spielkameraden ist nie einer hineingefallen. Und so kam es, dass wir auch die Försterfamilie kennen lernen durften.
Ich glaube, es war „Liebe auf den ersten Blick“ – sowohl bei meinen Eltern als auch bei mir. Das Forsthaus! Mit einer Aussicht, die auch heute noch phänomenal ist. Und den Jagdhunden Artemis und Circe, zwei Dachsbracken aus der eigenen Züchtung des Försters. Meine Mama hatte zwar panische Angst vor Hunden, aber bei diesen beiden Hunde-Damen war es ebenfalls Liebe auf den ersten Blick…
Sie hatten eine ganz spezielle Vorliebe, für deren Genuss sie wohl alles machen würden: Es waren Butterkekse – sehr zum Missfallen des Försters, aber er musste ja auch nicht alles wissen. Besonders das nicht, dass die zwei Hunde die Angewohnheit hatten, morgens auf das Fensterbrett des im Parterre gelegenen Gästezimmers zu hüpfen und so lange mit dem Schwanz an die Fensterscheibe zu klopfen, bis sie die ersehnten Gutsle bekamen. Da ließ man sich gerne im Urlaub zu so früher Stunde wecken.
Dass wir zu dritt waren und es nur zwei Gästebetten gab, da fand die Försterin sogleich eine Lösung: Ich durfte in dem Zimmer des Sohnes schlafen. Toll! Er war einige Jahre jünger als ich – und da hatte ich dann schon jemanden, mit dem man etwas unternehmen konnte. Es gab im Försterhaus noch zwei Töchter in meinem Alter. Aber die interessierten mich in so jungen Jahren noch nicht – mit den Mädchen konnte man eh nicht viel anfangen, so meine vorgefertigte Meinung. Dabei waren es zwei ganz tolle Kameradinnen.
Herrlich unbeschwerte Kinder- und Jugendzeit
Und so kam es, dass wir im darauffolgenden Jahr das erste Mal nach Finsterau in das „Forsthaus Hochwald“ fuhren, um dort für zwei Wochen unser Quartier aufzuschlagen. In diesem Jahr und auch in den darauffolgenden Jahren habe ich niemals wieder so glückliche und zufriedene Wochen verbracht wie dort.
Das Forsthaus liegt etwas exponiert, sodass auch im Hochsommer immer ein angenehmes Lüftchen an diesem Fleckchen wehte. Mit dem Försterssohn, der mir nachhaltig bis heute in Erinnerung geblieben ist, habe ich viel zusammen unternommen, sodass nie Langeweile aufkam. Vorausgesetzt die Mama hat nicht zu ausgedehnten Wanderungen durch den Wald aufgerufen. Die dann meist an Stellen endeten, wo wir Blaubeeren sammeln durften. Für mich ein absoluter Gräuel. Für meine Eltern wohl das Höchste der Gefühle. Aber geschmeckt haben sie – ich habe in meinem Leben nie wieder solch aromatische Geschmacksnuancen der Heidelbeeren goutieren dürfen. Abends gab es sie immer mit Zucker und Milch, dazu ein frischgebackenes Brot mit Butter bestrichen.
Wie herrlich war doch die unbeschwerte Kinder- und Jugendzeit. Das schmeckte besser als so manches Gourmet-Menü! Was würde ich heute darum geben, so etwas noch einmal genießen zu dürfen. Vielleicht sind die Erinnerungen an damals in der Gegenwart in das Verklärte abgedriftet – und wir stellen es uns einfach so wunderbar vor? In diesen Jahren, als wir unsere Urlaube in Finsterau verbrachten, da begann ich bereits ab Februar die Monate und Wochen zu zählen, wann es endlich wieder in den Bayerwald ging.
Ich war dort das erste Mal mit auf der Jagd und der Förster schoss an einem Abend einen Rehbock, den er noch in der selben Nacht nach Waldhäuser – ein Ort im Nationalpark Bayerischer Wald – transportierte. Ich durfte dabei zusehen wie er zerlegt wurde – ein einmaliges Erlebnis. Wer von meinen Schulkameraden konnte und durfte an so etwas schon teilhaben?
Ich habe mich damals etwas geschämt
In den 60er und 70er Jahren war es opportun, dass die Sommerferien dort verbracht wurden, wo es heiß und das Meer in Sichtweite war. Aber doch nicht im Bayerischen Wald! Oder, noch schlimmer: im Schwarzwald.
Ich habe mich damals etwas geschämt, wenn ich davon erzählte, wo meine Eltern mit mir im Urlaub waren. Denn das musste schon mindestens Korsika, oder – noch besser – Amerika sein. Damals war man noch nicht so selbstbewusst wie heute. Derlei Destinationen waren ehedem ja nur was für frühsenile Rentner – so wurde es meist geringschätzig abgetan. Heute sind diese Gebiete „in“, „hip“ und sowas von total angesagt. Wandern sowieso. Früher haben wir Jungspunde uns dafür geschämt…
Ulrich Bänsch
Im dritten Teil der Serie „Finsterau – meine Jugendliebe“ schildert Autor Ulrich Bänsch den „Geruch von Heimat“, den er im Finsterauer Forsthaus erleben durfte, spricht von seinem Devotionalien-Schrein mit Andenken aus dem Bayerwald und berichtet über seine ersten Ausflüge ins Tierfreigehege im Nationalpark Bayerischer Wald sowie auf den Siebensteinkopf…