Tirol. Ich fahre, also bin ich. Deutschland ist eines der Länder – wenn nicht das Land schlechthin -, in dem das Auto synonym zur Freiheit und die Freiheit synonym zum Auto gebraucht wird. Das treibstoffbetriebene Fahren auf vier Rädern – ein gottgegebenes Recht, quasi die Essenz des schwarz-rot-goldenen Daseins. Und ausgerechnet jetzt, zur Urlaubszeit, nimmt es sich der Tiroler heraus, schamlos, gar rücksichtslos in den motorisierten Freiheitsgebrauch einzugreifen. Wer von Bayern aus durch Tirol nach Italien in den Urlaub fahren will, darf dafür seit vergangenem Donnerstag nur noch die Autobahn benutzen. Für umliegende Landstraßen, Schleichwege und Umfahrungen für Stauvermeider oder Mautpreller gilt ein Fahrverbot. Paah! Oder?
Jeweils von Samstag (7 Uhr) bis Sonntag (19 Uhr) soll Ruhe auf Tirols Straßen einkehren. Der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) erließ vergangene Woche ein entsprechendes Fahrverbot, das bis Mitte September gültig sein soll. Platter spricht von einer „Notmaßnahme“. Er sagt: „Eine außergewöhnliche Situation erfordert außergewöhnliche Maßnahmen.“ Diese „außergewöhnliche Maßnahme“ sei darin begründet, dass „auf Tirols Straßen an besonders reiseintensiven Wochenenden nichts mehr geht“. Bürgermeister und Verkehrsbedienstete sprechen von kilometerlangen Staus in den Dörfern, gar von eingesperrten Bewohnern. Von den Fahrverboten verspricht man sich eine Entlastung, die Rückkehr zur Normalität.
„Nationalistische Maßnahmen“ und „unendliche Kleinstaatereien“
Und in Bayern? Sieht man das alles andere als gelassen: „Das Tiroler Verhalten ist unsäglich und reine Schikane“, findet etwa Verkehrsminister Hans Reichhart (CSU) – und spricht von einer „Beeinträchtigung der Freiheit“. Ministerpräsident Markus Söder fühlt sich „diskriminiert“, Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer ortet eine „Politkampagne“. Die CSU-Reihen sind von derlei „nationalistischen Ideen“ erzürnt. Ohne hier bereits das Für und Wider dieser Maßnahme erörtern zu wollen: Transalpine Harmonie klingt anders. Wer an der Fahr-Freiheit zu rütteln gedenkt, der kann sich auf etwas einstellen!
„Nur weil unsere Nachbarn bei der Pkw-Maut eine empfindliche Niederlage einstecken mussten, sollen sie jetzt nicht die Beleidigten spielen“, findet wiederum Landeshauptmann Platter. Und Walter Hämmerle, Chefredakteur der Wiener Zeitung, kritisiert in seinem Leitartikel zum Wochenanfang die „unendlichen Kleinstaatereien, die zum genetischen Selbstverständnis der bayrischen Staatspartei, der CSU, gehören“. Das Spielchen geht nun seit Tagen so – und trägt sicherlich auch eine gewisse Komik in sich. Doch es geht um etwas Grundsätzlicheres.
Wer von Deutschland aus über Tirol nach Italien will, darf die Autobahn nicht verlassen. Zumindest an den Wochenenden nicht, an 36 Stunden pro Woche (die Brennerstraße ist von dem Verbot ausgenommen). Und zwar, weil offenbar so dermaßen viele Autos durch die Tiroler Pampa dümpeln, dass selbst, wie Platter kritisiert, für Rettungsfahrzeuge kein Durchkommen mehr ist.
Wie in Bayern, so auf Erden!
CSU-Verkehrsminister Reichhart hat Recht, wenn er mit Blick auf die Fahrverbote von einer „Beeinträchtigung der Freiheit“ spricht. Ein Verbot muss die Freiheit von irgendjemanden oder irgendetwas beschränken – sonst wäre es keins. Doch nicht nur die bayerische Autofahrer-Freiheit wird in diesem Fall beschränkt, sondern eben auch die Tiroler Ich-will-einfach-nur-in-Ruhe-durchs-Dorf-watscheln-können-Freiheit.
Der bayerisch-österreichische Verkehrskrieg
Der schöne Brauch des alpenländischen Watschentanzes passt wunderbar zum verkehrspolitischen Schlagabtausch zwischen Deutschland und Österreich.
Gepostet von quer am Dienstag, 25. Juni 2019
Wenn zwei Freiheiten miteinander in Berührung kommen, sich Reibungspunkte, Widersprüche ergeben, muss abgewogen werden, welche Freiheit überwiegt. Das hat Tirol getan. Und offenbar befunden, dass ihnen die Lebensqualität der eigenen Bürger wichtiger ist, als das stau- und mautfreie Fortkommen des Transitverkehrs. Dass die CSU nun vor den Europäischen Gerichtshof ziehen will, kann man als Minderwertigkeitskomplex interpretieren (und liegt damit vielleicht auch nicht ganz falsch), zeigt in erster Linie aber, wie kurzsichtig ihr Blick auf die Dinge ist. Freiheit blau-weiß, das bedeutet: Mia san mia – und mia fahr’n Auto! Staufrei und ohne Tempolimit! Wie in Bayern, so auf Erden!
Die Spielstraße, welch‘ noble Geste!
Mal anders betrachtet: Wie verdammt tolerant sind eigentlich alle Nicht-Autofahrer gegenüber denen, die es doch tun? Kraftfahrzeuge sind für rund 20 Prozent unserer gesamten Schadstoff-Ausstoße verantwortlich. Sie verursachen Lärm und schlechte Luft. Einen Großteil unserer Flächen stellen wir bereitwillig zur Verfügung, um Autos entweder darauf fahren oder parken zu lassen. Bezahlt wird der Spaß mit Steuergeldern, von uns allen also – auch jenen, die nicht Autofahren. Gleichzeitig beklagt man allerorts, dass Wohnraum knapp und somit viel zu teuer wird. Und falls mal einen Nachmittag lang im Jahr eine Straße zur Spielstraße umgewidmet wird, wird das als noble Geste der Toleranz gefeiert, als Entgegenkommen selbstloser Pkw-Besitzer gegenüber ein paar Kindern.
Statt die Tiroler für ihre angeblich freiheitsfeindlichen Schikanen zu kritisieren, sollte das Gegenteil der Fall sein: Weniger Toleranz gegenüber Autofahrern, bitte!
Kommentar: Johannes Greß