Fürstenstein. Ein kurzer Blick in und um das Haus reicht aus, um zu wissen, was Sache ist. Da sind zum einen die roten Sportschuhe, die neben der Eingangstür stehen. Da sind die zwei gut ausgestatteten Fitnessräume im Keller. Die Rennräder, die Mountainbikes, das neue Triathlon-Bike. Vom Balkon aus kann man eine Tartanbahn sowie einen Sportplatz erkennen. Unweit vom Grundstück entfernt befindet sich ein Radweg – die Hausstrecke von Tina Fischl.
Es ist früher Nachmittag, als sie auf ihrem Balkon Platz nimmt. Sie schenkt ein Glas Wasser ein. Ein paar Zitronenscheiben und etwas Grünzeug schwimmen in der Karaffe. Frühmorgens ist sie heute bereits den Rachel hochgelaufen, erzählt sie. Drei Minuten länger als gewöhnlich habe sie für ihre Stammstrecke gebraucht. Tina Fischl findet das okay. Ihr Fokus liegt derzeit ohnehin woanders: Zum Laufen kommen nun auch Radfahren und Schwimmen hinzu. Ende Juli will die 43-Jährige bei einem Triathlon an den Start gehen – auf der Mitteldistanz: 1,9 Kilometer Schwimmen, 90 Kilometer Radfahren, 21 Kilometer Laufen.
Tina Fischl, die Frau mit dem Babyjogger
Das klingt viel, ist für die Leistungssportlerin aber nur eine neue Herausforderung unter vielen. Wenn sie so in ihrem Haus in Fürstenstein in ihrem Gartenstuhl lehnt und über ihr Leben als Sportlerin berichtet, lässt sich vor allem eine Konstante herauslesen: Die beständige Suche nach dem Neuen, dem Anderen – der Herausforderung. Gemessen wird der eigene Erfolg vor allem an Zahlen, Zeiten und Platzierungen. Dabei hat Fischl ihr Talent ungewöhnlich spät entdeckt…
Eine „lustige Geschichte“ sei das mit ihr und dem Laufen, sagt sie. Nach der Schule hatte sie zwar die Ausbildung zur Fitnesstrainerin gemacht, gegen das Laufen allerdings schon immer eine gewisse Abneigung gepflegt. Freiberuflich gab sie fünf bis sechs Mal die Woche Kurse, unterrichtete auch Pilates, Dance oder Hip-Hop. Meistens abends. Was kinderlos lange Zeit in Ordnung war, doch später nicht wirklich mit ihrer Rolle als Mutter in Einklang zu bringen war. Statt dem Fitnessstudio sorgte alsbald der Babyjogger für die tägliche Dosis Bewegung – eine der wenigen Möglichkeiten, um Sport und Nachwuchs unter einen Hut zu bringen. Mit dem Kinderwagen vor ihr begann Fischl ihre Runden zu drehen. Erst kürzere Strecken, dann immer weiter – bis zu zwei Stunden. Mit der Begeisterung für den Laufsport kam auch die Kondition.
260 Kilometer über die Alpen: Tausche Uhr gegen Körpergefühl
Seitdem ist viel passiert. Fragt man sie heute, mehr als zehn Jahr danach, nach ihrem „schönsten Rennen“, dauert diese Auflistung weit über eine halbe Stunde. Da sind zum einen Fischls sportliche Erfolge in Form von Meisterschaften und Platzierungen, die in diese Kategorie fallen – allen voran ihr Sieg bei den Deutschen Berglaufmeisterschaften 2015 und ihre anschließende Nominierung für den Kader der Deutschen Nationalmannschaft.
Zum anderen – und auch das fällt in die Sparte „mal was anderes probieren“ – die Ultra-Trails, die das Lauf-Ass bis dato bestritt. Also jene Läufe, die über die klassische Marathondistanz von 42 Kilometern hinausgehen. Hierzu zählt sie etwa den Ultra-Trail „Lamer Winkel“ mit 2.600 Höhenmetern – verteilt auf 55 Kilometer. Kein Sonntagsspaziergang, den Fischl allerdings mit 20 Minuten Vorsprung und nur sieben Männern vor ihr gewann, wie sie heute nicht ohne Stolz erzählt.
Und es geht auch noch eine Nummer länger: In Form des „Transalpine Runs“ etwa, der mit Start in Garmisch in sieben Tagen und knapp 250 Kilometern über die Alpen führt. Das macht 14.862 Höhenmeter. „Das verlangt dir alles ab“, erinnert sich die 43-Jährige. Die klassischen Kontrollmechanismen funktionieren bei so einem Wettkampf nicht mehr. Wer zu Fuß über die Alpen rennt, kann die auf flachen Strecken so wertvolle Uhr eigentlich zu Hause lassen. Was zählt, ist das „eigene Körpergefühl“ und der Versuch, sich seine Kräfte dementsprechend einzuteilen.
Irritationen, Überraschungen und Doping-Gerüchte: „Einfach absurd“
Eine grobe Vorahnung, in welche Richtung es bei Tina Fischl einmal gehen sollte, konnte man erstmals im Juni 2008 bekommen. Bei der Pressemeile in Pullman City stand auch ihr Name auf der Startliste. Mit wenig Begeisterung für einen derartigen Wettkampf – zuvor hatte man sie zur Teilnahme mehr oder weniger überreden müssen – stellte sie sich weit hinten im Feld auf. Und lief – „wenn ich schon mal hier bin“ – volle Pulle los. Das Resultat: Platz zwei. Fischl hatte Blut geleckt – vom Laufen an sich, aber auch für den sportlichen Wettbewerb. Den Deggendorfer Volksfestlauf in der Woche darauf entschied sie für sich. Die Frau mit dem Babyjogger lief plötzlich allen davon.
Dass eine Spätstarterin wie Fischl mit Anfang 30 plötzlich in den Bereich des Spitzensports vorrückt, ist eher ungewöhnlich. In den Kadern befinden sich meist Läuferinnen, die bereits mit den Laufschuhen aus dem Kreißsaal spazierten, deren Talent früh entdeckt und noch früher gefördert wurde. Dass da plötzlich ein niederbayerischer Nobody auftaucht und die Laufszene aufmischt, sorgte teilweise für Irritationen – und eine lebendige Buschtrommel. Doping-Gerüchte hätten damals die Runde gemacht, wie ihr Mann heute berichtet – „einfach absurd“.
Scheinbar unbeirrt von den – auch medial diskutierten – Vorwürfen feierte Fischl damals ihr sportliches Coming-Out auf allen Distanzen. Nur zwei Jahre nach ihrem ersten Wettkampf ließ sie mit einer Zeit unter 35 Minuten auf der Zehn-Kilometer-Strecke aufhorchen. Zum Vergleich: Zum Deutschen Meistertitel über 10.000 Meter auf der Bahn braucht es meist eine Zeit um die 33 Minuten.
Auch über 5.000 Meter wurde die Läuferin aus Fürstenstein bereits Bayerische Meisterin – und dominiert ebenso über längere Distanzen wie Halbmarathon und Marathon seit mehreren Jahren die heimische Laufszene. 2017 folgte dann einer der weniger glorreichen Momente in ihrer Lauf-Karriere: der Riss der Achillessehne. Das war nicht nur schmerzhaft, sondern auch bitter. Für die anstehende Weltmeisterschaft im Langstrecken-Trail war sie qualifiziert. Das Nationaltrikot lag bereits zu Hause. Die Verletzung daher: „A g’scheida Schlog“. Aber zwischen 100 und 150 Laufkilometer pro Woche, dazu rund 30 Wettkämpfe pro Jahr forderten eben ihren Preis, resümiert Fischl heute.
„Will meine Knochen auch mit 60 noch benutzen können“
Rund eineinhalb Jahre benötigte sie, um wieder völlig schmerzfrei laufen zu können. Auch das ist ein Grund, warum sie heute „weniger“ läuft – was in ihrem Jargon immer noch rund 80 Wochenkilometer bedeutet – und dafür mehr Zeit am Rad und im Schwimmbad verbringt. Und ja, auch eine Fischl bleibt nicht ewig jung. Mit Blick aufs Alter wolle sie „gesund bleiben und meine Knochen auch mit 60 noch benutzen können“.
Was nicht heißt, dass zukünftig die Couch das Sportgerät ihrer ersten Wahl sein soll. „Ich habe schon noch Ziele“, bekräftigt sie sogleich. Vor allem im Berglauf wolle sie noch einmal richtig angreifen. Wohl wissend, dass ihre Achillessehne mutmaßlich anderer Meinung sein könnte. Aber sie plane nun zusehends von Woche zu Woche – kurzfristiger eben, mit Rücksicht auf die eigene Gesundheit, den eigenen Körper.
Leistungssport, Beruf, Haus und Kinder – und jede Menge Ehrgeiz
Hinzu kommt, dass Fischls Beruf nicht unbedingt zur Regeneration beiträgt. Ganz im Gegenteil. Als Personal-Trainerin berät sie Sportler und solche, die es werden wollen, in Sachen Ernährung und Trainingsgestaltung. Querbeet, von A bis Z, von der 70-jährigen Rentnerin bis hin zum 14-jährigen Leistungssportler. Oder sie nimmt ihre Kunden mit auf den Sportplatz. Je nach Bedarf, dürfen ihre Schützlinge auch mal in ihrem Keller schwitzen. Diverse Hanteln, Matten und dergleichen deuten zumindest in diese Richtung. Man könnte auch sagen: Leistungssport, Beruf, Haus und Kinder – Zeit für Langeweile bleibt im Hause Fischl kaum.
Das scheint aber kaum ein Problem zu sein. Neben dem Spaß an der Bewegung ist es auch eine gehörige Portion Ehrgeiz, die in dem ganzen Unterfangen mitschwingt. Wenn der Sport das eigene Leben nahezu vollumfänglich bestimmt, muss am Ende auch das Ergebnis passen. Geht Fischl als Siegerin hervor, gleicht sie das immer auch mit der eigenen Bestzeit ab – oder mit der Zahl männlicher Bewerber, die es vor ihr ins Ziel geschafft haben. Mehr geht immer. Und falls es einmal nicht ganz so rund läuft, hat die 43-Jährige immer auch die passende Erklärung parat. So wie bei der Berglauf-EM im portugiesischen Madeira, die Mitten im Hochsommer bei weit über 30 Grad stattfand. Und bei der die Nationalmannschaft die Unterkunft über einer – nächtlich wohl gutbesuchten – Kneipe gebucht hatte. Für Fischl ein Unding. Hitze und wenig Schlaf, das Ergebnis spreche daher für sich.
Einen Ironman – „sollte man einfach einmal machen“
Das neue Ziel Triathlon solle nun auch dem Zweck dienen, etwas unbefangener an den Start gehen zu können. Ohne Druck, „ein Wettkampf, bei dem mich keiner kennt“, keiner etwas von der Marke „Fischl“ erwartet. Neuer Sport, neues Glück, sozusagen.
Ein Zeitziel habe sie sich daher nicht gesetzt – „einfach schaffen“ lautet die Devise. Ihre Stärken liegen eben im Laufen. Doch zu den 21 Kilometern per pedes kommen eben auch noch 1,9 Kilometer im Wasser und 90 Kilometer im Sattel. Insbesondere beim Schwimmen sieht Fischl ihre Defizite. Ein bis zwei Mal pro Woche bewege sie sich derzeit im Schwimmbecken, ihre Leistung beurteilt sie nach wie vor als „schlecht“. In Sachen Radfahren sehe die Sache schon „etwas besser“ aus. Als sie dann ihr neues Triathlon-Bike aus dem Keller holt, wirkt das etwas verquer – die pechschwarze Rennmaschine schreit geradezu nach „Geschwindigkeit!“
Und weil eben immer noch mehr geht, wolle sie, „irgendwann“ auch mal die Triathlon-Langdistanz (3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren, 42 Kilometer Laufen) vulgo den „Ironman“, bestreiten. Denn: „Das sollte man einfach irgendwann einmal machen.“
Johannes Greß