Las Vegas. Bunte Lichter, spontane Hochzeiten, Glücksspiele. Dinge, die man mit Las Vegas verbindet. Kein Wunder, denn diese Bilder werden nicht nur in zahlreichen Filmen aufgegriffen. Auch bei der Hotelsuche erscheinen auf der Startseite der Suchmaschine direkt Casino-Fotos und Reiseberichte von Party-Gruppen. Die Hotels sind – bucht man nicht gerade das „Hilton“ oder das „Bellagio“ – überraschend günstig. Kostenlose Parkplätze und W-LAN gehören ebenso zur Grundausstattung wie ein hauseigenes Casino.

Das „Bellagio“-Hotel in Las Vegas: Schlafen, spielen, shoppen, feiern – und das rund um die Uhr.

Las Vegas liegt im nordamerikanischen Bundesstaat Nevada. Der Staat ist bekannt für meilenweite Strecken ohne Zivilisation. Die Fahrt von der Westküste aus führt hauptsächlich durchs „Nichts“ – und je weiter man ins Landesinnere kommt, desto größer werden die Abstände zwischen den Orten. Gleichzeitig scheint die Anzahl der Casinos, die mitten im Nirgendwo stehen, zu steigen. Es ist bizarr: Nahezu jede Siedlung wirbt auf meterhohen, leuchtenden Tafeln mit Glücksspielen und Hotels, die beides vereinen. Und dann, zentral in der flachen Wüste gelegen, erheben sich Hotels, Shoppingcenter und Nachtclubs. Die eben noch leere Straße füllt sich, mündet in einen Freeway – und plötzlich wird man mitten in Las Vegas ausgespuckt.

Flyer, Dauergrinsen, Gutscheine –  und jede Menge Fassade

Es ist heiß, fast 40 Grad Celsius. Trotzdem sind die Straßen voll mit Menschen. Touristen laufen herum und schießen Fotos, die ersten Betrunkenen ziehen bereits um 2 Uhr nachmittags singend umher. Junge Eltern versuchen, den Kinderwagen vor sich herschiebend, sich ihren Weg durch die Massen zu bahnen. Man kommt kaum ein paar Meter weit ohne Flyer für Nachtclubs, Getränkegutscheine oder vermeintliche Gratisproben in die Hand gedrückt zu bekommen. Frauen mit Federn auf dem Kopf und Kostümen, die gerade so das Nötigste verdecken, versuchen mit ihrem Dauergrinsen Touristen dazu zu bewegen, sich gegen Geld mit ihnen fotografieren zu lassen.

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Road to Nowhere? Nein! Road to Las Vegas. Durch die Wüste hinein ins „Vergnügen“.

Ein paar Schritte weiter stehen Micky Mouse und ihre Disney-Kollegen, die vor der Hitze in einen klimatisierten Hoteleingang geflohen sind. „Anfangs wirkt die Hitze unerträglich, aber mit den Jahren gewöhnt man sich daran“, erklärt ein Mann im dicken Goofy-Kostüm. Den beiden Männern, die in Anzughosen und mit nackten Oberkörpern vor einem Fastfood-Restaurant stehen, scheint die Sonne nichts auszumachen. Sie flirten Frauen jeden Alters hinterher – und drücken jedem, der auch nur in ihre Richtung sieht, Werbe-Flyer für eine Strip-Show in die Hand. Es fällt schwer, den Blick auf etwas Bestimmtes zu richten, wenn sich über einem hohe Gebäude wie der Trump-Tower oder Hotels, deren Namen man aus etlichen Filmen kennt, erheben. Wenn unter einem der „Walk of Stars“ von Las Vegas Showmaster und Tänzerinnen ehrt und man zwischen halbnackten Menschen und Verkleideten auch noch auf seine Tasche achten muss. Schließlich ist es auf dem Strip, der Partymeile der Stadt, sehr voll und sehr laut – perfekt also für Taschendiebe.

Neben Glamour, Spaß und Entertainment existiert ein weiteres Extrem: Menschen, die Mülleimer durchsuchen oder sich in Straßenecken vor der Sonne verstecken, da sie keine Wohnung haben, die Schatten spendet. Man fragt sich, ob sie einmal Teil des Trubels waren, all ihr Geld in Glücksspiele investiert oder für Alkohol und Drogen ausgegeben haben. Und ob der Mann, der bereits am frühen Morgen vor dem Spielautomaten in einem der frei zugänglichen Casinos sitzt und sich mithilfe seines Rollstuhls von Automat zu Automat bewegt, auch so enden wird. Generell ist es schwer zu unterscheiden, welche Menschen Touristen sind, die ein paar Tage lang über die Stränge schlagen wollen, und wer von ihnen vielleicht doch keinen Junggesellen-Abschied (mehr) feiert.

„So close, just one more try!“

Wenn die Sonne untergeht und es dunkel wird, sinken die Temperaturen etwas. Die bunten Schilder stechen noch mehr hervor als im Tageslicht – und die Menschen strömen von Bar zu Bar, auf der Suche nach dem besten Angebot, den außergewöhnlichsten Lokalen und den stärksten Drinks. Nicht nur die Clubs und Nachtbars sind nah beieinander, in Las Vegas gelangt man von Venedig nach Rom, über Paris nach London und sogar bis nach Ägypten – ohne ein Flugzeug zu besteigen. Die bekanntesten Wahrzeichen aus Städten aller Welt wurden auf dem Strip nachgebaut und ziehen die Touristen an.

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Ein Meer von bunten Farben und Schriftzügen.

Wer genug vom – nennen wir es „Sightseeing“ hat – begibt sich in eines der unzähligen Casinos, die oft Teil eines Einkaufszentrums sind – so kann man sich schon mal von den Auslagen der Luxusmarken inspirieren lassen und auf den späteren Gewinn vorbereiten. In vielen Spielhallen trinkt man kostenlos – solange man spielt und Geld setzt. Zwar gilt das nur für die Spieltische, trotzdem scheinen auch die Automaten ihren Reiz zu haben. Bei jedem Gewinn – auch bei Cent-Beträgen – ertönt ein Geräusch, das so klingt, als würde Dagobert Duck in seinen Geldspeicher hüpfen.

Bei vielen Spielern scheint das zu wirken – und bestärkt durch bunte Farben und Schriftzüge wie „So close, just one more try!“ füttern sie die Automaten wieder und wieder mit ihren Scheinen. Gewinnt man etwas, wird ein Voucher gedruckt, der sofort wieder verspielt werden kann. Bei vielen Geräten ertönt automatisch ein Applaus, wenn Geld erspielt wurde. An den Tischen applaudieren auch die Casino-Angestellten – den Gewinnern wird so ein Moment der Aufmerksamkeit und der Anerkennung geschenkt.

Eine andere Form der Anerkennung kann man in Las Vegas auch ohne Glücksspiele erfahren: In den hoteleigenen Clubs zahlen Frauen meist keinen Eintritt und bekommen sogar noch Getränke-Gutscheine in die Hand gedrückt. Man wird behandelt wie ein Ehrengast, wenn die Türsteher eine „geheime“ Tür öffnen, die angeblich äußerst selten für normale Gäste geöffnet wird. Das Ganze scheint zu einfach und zu kostenlos zu sein.

Die Wahrheit ist jedoch, dass Clubs, Bars und Casinos eines Hotels zusammenarbeiten. Die Betreiber wissen um die sinkende Hemmschwelle alkoholisierter Gäste. Vermutlich gelten die Getränke-Gutscheine deshalb nur für Hochprozentiges – hier gilt: Vodka statt Freibier. Und tatsächlich: Nach einigen Drinks sind viele Feiernde ungehemmter. Eine Gruppe strömt hinaus, um den Jackpot zu knacken, ein junger Mann zahlt einen hohen Geldbetrag, nur um in die „VIP-Lounge“ zu kommen, in der eher die Getränkepreise und nicht das Ansehen steigen.

Der Ausgang der „geheimen“ Clubs führt nicht etwa auf die Straße, sondern wieder in das hoteleigene Casino. Egal, ob Party-Gänger oder Hotelgast: An den verheißungsvollen wie höchst manipulativen Geräten kommt niemand vorbei…

„Was in Vegas passiert, bleibt in Vegas!“

Las Vegas ist einer der Orte, die ihrem Image zu einem großen Teil gerecht werden. Hier scheinen andere Regeln zu herrschen. Spiel, Alkohol und Sex sind nicht nur dauerhaft präsent, sondern werden auch sehr unkritisch betrachtet. Die Stadt und ihre Umgebung spiegeln in vielerlei Hinsicht Kontraste wider: Menschen reisen von überall her ins Nirgendwo, um das Gefühl zu haben, „mittendrin“ zu sein. Ganz in der Nähe von Naturwundern wie dem Grand Canyon begeben sie sich in eine Welt aus Fassade und Spielen.

Auf der einen Seite die Natur, auf der anderen die Fassade.

Einige kommen, um Reichtum zu finden – und gehen mit sehr viel weniger. Es sagt viel über eine Gesellschaft aus, dass es einen Ort in der Wüste gibt, den Menschen aufsuchen, um auf die eine oder andere Art ihr Suchtverhalten auszuleben. Dieses Phänomen wirft aber auch die Frage auf, warum die Anziehungskraft der Stadt so groß ist, dass Leute jeden Alters herkommen, um andere und deren Verhalten zu beobachten. Warum Familien mit kleinen Kindern in eine Stadt fahren, in der es normal ist, den Tag mit Alkohol zu beginnen – und in der „Vegas, Baby!“ eine Entschuldigung für alles zu sein scheint. „Was in Vegas passiert, bleibt in Vegas!“ – das gilt leider nicht für Süchte, grobe Fehltritte und Verluste. Selbst dann nicht, wenn man dort bleibt…

Malin Schmidt-Ott


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