Passau/Haidmühle/Damaskus. Nisreen Abo Khamis und Mahmout Allahham hatten es 2015 als eine der ersten Familien geschafft: Sie durften mit ihren Kindern als so genannte Kontingentflüchtlinge mit offiziellem Visum aus Syrien ausreisen und nach Deutschland kommen. Heute, vier Jahre später, haben sie in Passau eine eigene Wohnung, gehen arbeiten und können sich nicht mehr vorstellen, in ihre Heimatstadt Damaskus zurück zu kehren.
In ihrem Viertel in der syrischen Hauptstadt Damaskus war der Krieg längst angekommen, als Mahmout sich per Email an die deutsche Botschaft im Libanon wandte. Er hatte Glück und erhielt eine Antwort. Kurz darauf erreichte ihn ein Anruf mitten in der Nacht: Mahmout sollte Fotos aller Familienmitglieder und deren Pässen per Email an das Auswärtige Amt schicken. Sofort, denn schon am nächsten Tag mussten die Dokumente dort sein. Doch Mahmout hatte in jener Nacht ein Problem: Der Strom war ausgefallen. Sie schafften es trotzdem, die Nachricht mit den angeforderten Informationen rechtzeitig zu verschicken. Ihre Nachbarin hatte ein Notstromaggregat – und konnte helfen.
Ihren Umzug nach Passau haben sie selbst organisiert
Zwei Monate später meldete sich das Auswärtige Amt erneut: Nisreen und Mahmout sollten nach Beirut kommen, zur deutschen Botschaft im Libanon. Zwei Stunden Autofahrt lag diese entfernt. Die Grenze durften sie passieren, weil die Behörde zuvor ihre Namen durchgegeben hatte. Nach dem Besuch in der Botschaft ging dann alles sehr schnell: Nach nur einer Woche war das Visum für Deutschland da. „Die Flugtickets haben wir selbst bezahlt“, erzählt Nisreen. Dabei wären die Kosten auch von der Botschaft übernommen worden. „Doch dann hätte alles viel länger gedauert.“ Die Allahhams wollten aber so schnell wie möglich weg. Sie gehörten somit zu den ersten überhaupt, die im Jahr 2015 nach Deutschland gekommen sind. Anfang April stiegen sie ins Flugzeug – und galten aufgrund des Visums des Auswärtigen Amtes nicht als Asylbewerber, sondern erhielten sofort eine zweijährige Aufenthaltsgenehmigung.
Mittlerweile lebt die Familie in einem großen Mietshaus in Passau. Die Wohnungssuche und den Umzug von Haidmühle in die Dreiflüssestadt haben sie vor zwei Jahren selbst organisiert. „Wir hatten auch hier Glück und haben einen Vermieter gefunden, der keine Vorurteile Ausländern gegenüber hat“, berichtet Nisreen. Im Haus leben ansonsten ausschließlich Deutsche, mit denen sie sich gut versteht. „Die Nachbarn fragen häufig nach, ob alles passt“, erzählt Nisreen. Zu anderen syrischen Flüchtlingen hätten sie kaum noch Kontakt. Ihr neuer Freundeskreis sei bunt gemischt, darunter Deutsche, Kroaten, Ukrainer.
Der elfjährige Wael und der zehnjährige Khalil besuchen ein Passauer Gymnasium, Mohammad geht noch zur Grundschule. „Die Jungs bekommen oft Besuch von deutschen Schulfreunden“, weiß Nisreen. „Ich glaube auch, die Kinder mögen, was ich koche“, sagt sie und schmunzelt. Es ist aber längst nicht mehr nur arabische Küche, die bei Nisreen auf den Tisch kommt: „Neulich gab es in der Schulmensa Spätzle. Die haben Wael und Khalil so geschmeckt, dass ich sie zu Hause gleich nachgekocht habe.“ Am Wochenende macht Mahmout gerne Pfannkuchen für seine Jungs.
Die Wohnung der Allahhams ist komplett eingerichtet. Anfangs bekamen sie viele Möbel geschenkt, nach und nach haben sich Mahmout und Nisreen selbst welche gekauft. Auch ein Auto haben sie sich geleistet, das Geld dafür zu einem großen Teil selbst verdient. Mahmout hat Fahrstunden genommen und die deutsche Führerscheinprüfung absolviert. Dies war nötig, um auch hierzulande fahren zu dürfen.
Als sie 2015 in Haidmühle ankamen, hatten sie fast nichts dabei
Nisreen und Mahmout haben nur das Nötigste eingepackt, als sie damals Syrien verlassen hatten: Kleidung und ein paar kleine Erinnerungsstücke. „Unser Hochzeitsfoto haben wir noch“, sagt Nisreen mit einem Lächeln. Eine selbstgemachte Decke ihrer Mutter habe sie ebenso in den Koffer gesteckt. „Und dicke Jacken“, erinnert sie sich und lacht. „Wir wussten, dass es in Deutschland im April noch kalt ist.“
Damit, dass noch Schnee liegen würde, als sie in Haidmühle ankamen, hatten sie allerdings nicht gerechnet. Die Wohnung, in der sie untergebracht wurden, war sehr klein – „aber viel besser als in Syrien: weil wir hier sicher waren“, sagt Nisreen. Es waren gerade Osterferien, als sie einzogen. Drei Tage später begann die Schule wieder – und ihre beiden ältesten Söhne gingen von da an hin. Der Jüngste kam in den Kindergarten. Es waren bereits vier weitere Familien aus Syrien in der kleinen Gemeinde Haidmühle an der tschechischen Grenze untergebracht. Der ehrenamtliche Helferkreis hatte sich bereits gebildet und half, wo immer Hilfe gebraucht wurde.
Vier Jahre später kann Nisreen fast alles selbst organisieren. Die 36-Jährige spricht sehr gut Deutsch.“Bei der Bürokratie braucht man oft Hilfe“, sagt sie. Kontakt zu den Leuten aus Haidmühle, die sie von Anfang an unterstützt haben, hat die Familie nach wie vor. Mahmout tut sich mit der Sprache noch etwas schwerer als seine Frau, aber er versteht mittlerweile alles – auch Dialekt. „Die alten Leute reden oft Bairisch mit mir“, erzählt er und lächelt. Mahmout arbeitet in einem Seniorenheim und macht eine Ausbildung zum Altenpflegehelfer.
Nisreen und Mahmout arbeiten nicht in ihren erlernten Berufen
Im Labor kann er als gelernter Pharma-Assistent in Deutschland nicht arbeiten. Seine Zeugnisse werden nicht anerkannt. Er hätte dafür noch einmal die Schulbank drücken und einen Abschluss machen, hätte dazu jeden Tag nach Regensburg pendeln müssen, wo sich die Schule für Medizinisch Technische Assistenten befindet. Eine bezahlbare Wohnung haben sie in Regensburg nicht gefunden. Auch wenn er gerne wieder im Labor gearbeitet hätte: Die Arbeit in der Altenpflege macht er gerne. „Wir haben weniger Berührungsängste bei der Pflege alter Leute“, ist er sich sicher. Die Deutschen seien oftmals etwas reserviert den Senioren gegenüber.
Auch Nisreen kann momentan nicht in ihrem Beruf als Arabisch-Lehrerin arbeiten. Auch sie müsste Zeugnisse anerkennen lassen – der Bedarf ist in Passau jedoch ohnehin gering. Sie hat in der Kinderbetreuung gearbeitet und ist nun in einem Restaurant als Küchenhilfe angestellt. Wenn die Kinder größer sind und sie wieder Vollzeit arbeiten will, kann sie sich auch andere Jobs vorstellen.
Doch ein Fragezeichen bleibt: Ob Familie Allahham die deutsche Staatsbürgerschaft bekommt und für immer in Deutschland bleiben darf, ist nach wie vor nicht sicher. Die gebürtigen Palästinenser sind weiterhin staatenlos. Nisreen und Mahmout haben längst den Einbürgerungstest bestanden, vorerst aber trotzdem nur eine Aufenthaltserlaubnis ausgestellt bekommen, die noch ein knappes Jahr gilt. Dann entscheidet der deutsche Staat erneut über ihr Schicksal. Dass eine Rückkehr nach Syrien möglich wäre, bezweifelt Nisreen: „Ich sehe noch kein Licht am Ende des Tunnels“, sagt sie im Hinblick auf den immer noch andauernden Krieg in dem vorderasiatischen Staat. „Wenn es an einem Ort einigermaßen sicher ist, geht der Krieg anderswo weiter.“ Das Leben in Syrien sei teuer geworden – und gleichzeitig keine Arbeit vorhanden: „Viele suchen Essen im Müll“, wie Nisreen weiß.
Familieangehörige haben Nisreen und Mahmout in Damaskus keine mehr. Ihre engsten Verwandten leben in Norwegen und Dubai. Vor Kurzem hat Familie Allahham Mahmouts Geschwister in Skandinavien besucht. Sie besitzen mittlerweile die norwegische Staatsbürgerschaft, wollen jetzt ein Haus kaufen. Nisreen hat ihre Familie seit sechs Jahren nicht mehr gesehen. Nur ihr Bruder ist relativ nah: Er studiert mittlerweile in Mainz.
Trotz all der schlimmen Erlebnisse in Syrien: Familie Allahham wirkt nun glücklich. Sie sind in einem neuen Leben angekommen. „Wir sind sehr dankbar dafür, dass so viele Leute uns so sehr geholfen haben“, betont Nisreen und hofft, dass sie und ihre Familie weiter in Frieden leben können.
Sabine Simon