Ein paar Worte vorneweg: Es ist auf der einen Seite ja schön, wenn sich das Feuilleton, jene Bastion der kulturellen Rezeption, in die Niederungen der U-Musik hinab begibt. Sie mithin wahrnimmt. Diese Offenheit tut dem Elfenbeinturm in den Zeitungsredaktionen landauf, landab nicht schlecht – im Gegenteil. Aber es mutet dann doch durchaus ein wenig albern an, wenn man sich das neue Rammstein-Album heranzieht, um dann in schwurbeligen Wortkathedralen und Satzkonstruktionen zu erklären versucht, wie die prolligen Ex-Punks denn nun zu verstehen seien.
Besonders ist mir da die Rezension von Jens Balzer in der ansonsten von mir hochgeschätzten ZEIT aufgefallen. Der Text, der einer Gedichtrezension im Deutsch-LK-Abitur ähnelt, macht aus den Texten eines Till Lindemann wesentlich mehr als sie sind, hebt sie auf einen Thron, auf den sie nicht gehören. Und macht die sechsköpfige Band zu einem Monster, das sie nicht ist.
Sie würden wohl amüsiert den Kopf schütteln…
Klar: Sänger Lindemann, die Gitarristen Richard Krupse und Paul Landers, Bassist Oliver Riedel, Schlagzeuger Christoph Schneider und Keyboarder Christian Lorenz freuen sich ein Loch in den Arm aufgrund der Aufmerksamkeit, die sich bestimmt in den entsprechenden Verkaufszahlen und ausverkauften Tourneen widerspiegeln werden. Wenn sie aber ehrlich sind, würden sie wohl auch nur amüsiert den Kopf über derlei Rezeptionen schütteln. Vielleicht tun sie dies auch so – den nötigen Humor und die entsprechende Selbstironie haben sie auf jeden Fall.
Kommen wir nun zum selbstbetitelten neuen Album, dem ersten seit fast zehn Jahren – „Liebe ist für alle da“ wurde immerhin bereits 2009 veröffentlicht. Rammstein lieben die Provokation – auch das weiß jeder, der in den vergangenen 25 Jahren popkulturell nicht gänzlich hinterm Mond gelebt hat. Das zeigte sich bereits im Bandnamen, der natürlich an die Flugschau-Katastrophe in Ramstein angelehnt ist, sowie in den zahlreichen Texten, Videos und Live-Shows, die von zarten Gemütern bisweilen als protofaschistisch oder zumindest geschmacklos bezeichnet werden. Klar, wer über den Kannibalen von Rotenburg singt, über Pyromanie, Misanthropie, Inzest oder Nekrophilie, der braucht sich über entsprechende Reaktionen nicht zu wundern.
Allerdings kann man heute praktisch über alles singen. Die Zeiten, dass Claudias „Schäferhund“ von den Ärzten auf dem Index landete, dass „Jeanny“ von Falco nicht gespielt oder verkauft werden durfte, sind lange vorbei. Verbal dürfen Tod, Teufel und alle Perversionen des menschlichen Geistes durchaus beschrieben werden, ohne dass man die Bundesprüfstelle zu fürchten hat. Schwierig wird es allerdings im Bereich des Nationalismus, des Rechtsradikalismus und des Nationalsozialismus – und das völlig zurecht. Hier sollte eine Null-Toleranz-Schiene gefahren werden, hier ist die Grenze der Kunstfreiheit erreicht. Die übrigens ja auch die erste wäre, die von Faschisten und Nazis gekippt würde, wären sie an der Macht…
Eine absolut runde Sache
Und hier kommt die erste Provokation rund um „Rammstein“ (das Album) ins Spiel: Natürlich die erste Single „Deutschland“. Ich kann es mir richtig gut vorstellen: Da sitzen Lindemann und Co. im Probekeller (ja, ich habe die romantische Vorstellung, dass die Millionenseller auch noch sowas wie nen Proberaum haben…) und brainstormen so vor sich hin. Was könnten wir machen, was so richtig schön Staub aufwirbeln würde? Worüber würden sich die Feuilletons so richtig freuen, weil sie was zum Zerpflücken hätten? Ach, lasst uns doch was über Deutschland, Heimat und den ganzen Rest machen. Dabei herausgekommen ist eine völlig eindeutige Positionierung gegen Nationalismus. Zumindest dann, wenn man lesen kann – und sich selbst ein Bild des Textes macht. Das dazugehörige Video ist ebenfalls eindeutig. Und abgesehen davon ziemlich gut gemacht – aber das ist man von Rammstein ja gewöhnt…
Abgesehen von alledem ist „Rammstein“ (das Album) eine absolut runde Sache, die die Fan-Klientel bestens bedient. Die erste Single „Deutschland“ kennt wohl jeder. Die zweite, „Radio“, ist ebenfalls sehr eingängig, vor allem im Refrain. Die Zutaten, die man von Rammstein kennt, sind allesamt vorhanden: kalt abgemischte Stakkato-Gitarrenriffs, die seinerzeit von den Berlinern und von Bands wie Clawfinger modern gemacht wurden, phantasievolle Keyboard-Teppiche, die den Bandsound immer ein wenig in die Nähe von Euro-Dance- oder 80er-Jahre-Plastiksounds rücken, aber zusammen mit den Gitarren eine reizvolle Mischung ergeben.
Man höre hierzu etwa das humorvolle „Ausländer“ oder das pathetische „Was ich liebe“. Der Song „Zeig dich“ beschäftigt sich auf gar nicht mal so unintelligente Weise mit dem Thema sexueller Missbrauch, während „Sex“ zum vertonten Porno mit Kirmes-Orgel und beinahe swingendem Riffing mutiert. Gesanglich ist auch bei Lindemann „business as usual“ angesagt: Er rrrrrollt, dröhnt, artikuliert exakt und präzise wie eh und je. Auch textlich wird – es klingt despektierlicher als es gemeint ist – die übliche Melange aus Sex, Ekel, Humor und Abseitigem geboten. Ein wenig heraus ragt die Verwandlungsbeschreibung „Puppe“, denn hier klingt der ansonsten stets kontrollierte Lindemann zumindest beim Refrain doch ziemlich durchgeknallt – was natürlich völlig übertrieben ist, aber genau deswegen auch prima funktioniert.
Kein Gegenstand einer soziokulturellen Debatte
Was ist nun von „Rammstein“ (dem Album) zu halten? Es ist nicht die Neuerfindung des Rammstein’schen Rades, das will es vermutlich auch gar nicht sein. Es ist ein starkes Album einer Band, die in einer Position ist, in der sie nichts und niemandem mehr etwas beweisen muss. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Was es nicht ist, ist Gegenstand einer soziokulturellen Debatte zu sein. Damit würde man Band und Album gleichermaßen Unrecht tun.
Wolfgang Weitzdörfer
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- VÖ: 17. Mai 2019
- Label: Rammstein/Universal Music
- Songs: 11
- Spielzeit: 50:55 Minuten
- Preis: ca. 15 Euro