Woran kann man den Status einer Band beurteilen? Unter anderem an folgenden Kriterien: Es gibt sie bereits seit fast vier Jahrzehnten. Sie hat ihr letztes Album vor sechs Jahren veröffentlicht. Sie bringt dann ein neues Werk heraus – und man kann es ungehört kaufen, genießen und sich über die darauf enthaltenen Texte praktisch genauso freuen wie über die Musik und jedes „Ya-hey!“ des Sängers, dessen Stimme nach wie vor zu den sympathischsten im Rock-Zirkus gehört.
All diese Kriterien treffen auf die kalifornischen Punk-Opis von „Bad Religion“ zu, die dieser Tage mit „Age Of Unreason“ einen clever betitelten Kommentar zu unserer völlig verrückten Welt abgeben – und auf dem „True-North“-Nachfolger jünger und agiler denn je klingen. Eine durchaus reife Leistung – bedenkt man, dass eine Losung der Punk-Generation doch mit „lebe schnell, stirb jung“ nicht unbedingt auf ein langes Leben ausgerichtet ist…
All das macht das Gesamtkunstwerk Bad Religion auch 2019 aus
Die 14 Songs auf „Age Of Unreason“ – Album Nummer 17, wenn man „Into The Unknown“ (1983) mitrechnet, das immer als das „Unalbum“ der Melodic-Punker bezeichnet wird – bieten natürlich auf den ersten Blick nichts Neues. Aber das auf so charmante, intelligente und vor allem eingängige Art und Weise, dass man nur anerkennend den Irokesen lüften mag. Wenn überhaupt eine Veränderung ins Ohr stechen mag, dann vielleicht das Schlagzeugspiel von Jamie Miller, das in Sachen Komplexität nicht ganz an das von Wunder-Drummer Brooks Wackerman heranreicht, der die Band im Jahr 2015 verlassen hat. Aber Miller klöppelt sich seinerseits wunderbar straight und mit vielen netten Fills in Hochgeschwindigkeit durch die gute halbe Stunde, so dass man gar nicht wirklich meckern mag.
„Chaos From Within“ läutet „Age Of Unreason“ unter zwei Minuten ein – und schon ist man mitten im Thema: „It’s a sad an pathetic badge of shame my friends, Terror always seems to win in the drama of human motivation. Where is restraint and reason?„, singt Dr. Greg Graffin da, der promovierte Evolutions-Biologe mit den goldenen Stimmbändern. Und Gitarrist Brett Gurewitz kommentiert: „Unsere Band stand schon immer für aufklärerische Werte. Heutzutage sind diese Werte – Wahrheit, Freiheit, Gleichheit, Toleranz und Wissenschaft – jedoch in echter Gefahr.“ Hell yeah, ist man da mit Blick auf rechte Vollidioten im AfD-Gewand geneigt zu sagen – und möchte sich gleich ein „Widerstand“-Plakat basteln. Kein Wunder ist da auch der Albumtitel, der natürlich auf das Buch „The Age Of Reason“ des US-Gründervaters Thomas Paine abzielt. Graffin dazu: „Paine riskierte sein Leben für seine Werte – die Irrationalität der Religion und das Hochhalten der Aufklärung. Wenn man sich ansieht, wer heute im Weißen Haus sitzt, der weiß, dass wir wirklich in einem Zeitalter der Unvernunft leben.“
„My Sanity“ ist ein hochmelodisches Schätzchen, das eine kleine Overtüre zum Kracher „Do The Paranoid Style“ ist, zu dem die Band ein großartiges Video abgedreht hat. „The Approach“ und „Lose Your Head“ sind dann in schneller Abfolge ein bisschen wie das Yin und Yang des Bad-Religion-Sounds – der schnelle Klopfer und das Midtempo-Stück. Aber natürlich greift das zu kurz, denn dazwischen liegen die umwerfenden Melodien wie im Titeltrack oder kleine harmonische Schmankerl oder kurze Soli wie in „End Of History“. Dass dabei auch immer wieder einmal per Plektrum-trifft-Saiten ein schicker „Rutscher“ eingebaut wird, dass die „Oozin‘ Aaahs“ genauso dazugehören wie Melodie und Harmonie – all das macht das Gesamtkunstwerk Bad Religion auch anno 2019 aus.
„Das sollten wir uns nicht zu eigen machen“
Und wenn man am Ende ein bisschen klüger, weiser und abgeklärter auf den Irrsinn der Welt blicken kann, dann mag das auch ein Verdienst von „Age Of Unreason“ sein. Denn wie sagt Graffin so schön: „Ich habe in der Geschichte der Welt – Französische Revolution, Amerikanische Revolution oder der Bürgerkrieg – ein Muster entdeckt. Unsere Welt wird zu jeder Zeit als furchtbarer Ort beschrieben. Das sollten wir uns nicht zu eigen machen, jedes Schulkind sollte das wissen. Vielleicht kann unser neues Album dabei ein wenig helfen.“ Es kann es zumindest ein wenig erleichtern, mit dem täglichen Irrsinn umzugehen, keine Frage. Glaubt’s mir, ich habe es ausprobiert. Mehrfach.
Wolfgang Weitzdörfer
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- VÖ: 3. Mai 2019
- Label: Epitaph Records
- Songs: 14
- Spielzeit: 33:28 Minuten
- Preis: ca. 13 Euro