Bayern. 1,75 Millionen Bayern haben vom 31. Januar bis 13. Februar das Artenschutz-Volksbegehren unterschrieben – das sind 18,3 Prozent der Wahlberechtigten. Damit war das Begehren das erfolgreichste in der bayerischen Geschichte. Zur Volksabstimmung wird es erst gar nicht mehr kommen, die Bayerische Landesregierung will den Gesetzesentwurf der Initiative „Rettet die Bienen!“ umgehend annehmen – und sogar noch um einige Punkte erweitern. Vom „Volksbegehren XXL“ spricht CSU-Ministerpräsident Markus Söder. Sein Parteikollege Alois Glück, Moderator des „Runden Tischs für Artenvielfalt„, hat gar die „Basis für einen neuen Generationen- und Gesellschaftsvertrag“ vor Augen.
„Die Ankündigung von Ministerpräsident Söder überrascht uns nicht wirklich. Unser Gesetzentwurf ist höchst wirksam für den Naturschutz und juristisch unangreifbar“, erklärte unlängst ÖDP-Politikerin Agnes Becker, Initiatorin der Initiative. Auch wenn sich CSU und Freie Wähler vor Beginn des Volksbegehrens nur sehr zögerlich zum Vorhaben äußerten und es auch nicht öffentlich unterstützen wollten, scheint sich die Regierungsmeinung nun gewendet zu haben. Denn: Zusätzlich zum Entwurf des Volksbegehrens Artenvielfalt legt die Regierung in Form eines Ergänzungsgesetzes noch einen drauf: Es nennt sich „Gesamtgesellschaftliches Artenschutzgesetz – Versöhnungsgesetz„ und enthält diverse Erweiterungen.
1,75 Millionen Unterschriften, der Bauernverband – und die CSU
Da gab es einerseits die massive und lautstarke Kritik des Bauernverbands (BBV) im Vorfeld des Volksbegehrens, die nicht selten das Aus der bayerischen Landwirtschaft herbei prophezeite. Andererseits waren da 1,75 Millionen Unterschriften, die von der bayerischen Regierung plötzlich mehr Sorge um Natur, Ökologie und Umwelt forderten. Für die CSU, die sich seit jeher der Landwirtschaft verpflichtet fühlt, eine Zwickmühle. Diese scheint man nun damit umschifft zu haben, indem man den Gesetzesentwurf – „ohne Abstriche“ – annimmt und um einige Passagen erweitert. Mit dem zusätzlichen „Versöhnungsgesetz“ wolle man „unbeabsichtigte Härten für die betroffenen Landwirte vermeiden“, wie es im Gesetzestext heißt. Ein nur vermeintlich gelungener Kompromiss, denn noch am Tag der ersten Lesung im Bayerischen Landtag am 8. Mai veröffentlichte der Bauernverband ein Positionspapier, in dem er – aufgrund zahlreicher Kritikpunkte – eine Neubewertung zu Jahresbeginn 2020 fordert. Man werde weiterhin „wachsam“ bleiben, heißt es von Seiten des BBV.
Abschnittsweise liest sich das vorgestellte Konzept dann doch so, als sei das Volksbegehren ohnehin schon lange im Sinne der Regierung gewesen: „Ökologie und Artenschutz sollen in Bayern Priorität bekommen wie in keinem anderen Bundesland“, kommentiert die Staatsregierung den Gesetzesentwurf. Das klang vor dem 31. Januar noch etwas anders. Leiser.
Am Ende geht es „um die Sache“
Ähnlich sieht das auch Markus Erlwein, Pressesprecher des Volksbegehrens sowie des Landesbunds für Vogelschutz (LBV), wie dieser auf Hog’n-Nachfrage bestätigt. Habe sich Söder noch vor Beginn der Eintragungsfrist „kritisch“ und „skeptisch“ zum Thema geäußert, zeichnete sich Erlweins Eindruck bereits Anfang April ab, dass die Regierung einen Richtungswechsel anstrebt und versucht, die Initiative für sich zu beanspruchen. Doch abseits des politischen Zick-Zack-Kurses der Koalition aus CSU und Freien Wählern sei das Volksbegehren „für Natur und Naturschutz ein unglaublicher Erfolg“, so der LBV-Aktivist. Letzten Endes gehe es „um die Sache“ – und hier sehe es eben so aus: „Die Natur gewinnt!“ Dass der Gesetzesentwurf nun sogar über die ursprünglich geforderten Maßnahmen hinaus gehe, freut Erlwein demnach umso mehr.
Das neue Bayerische Naturschutzgesetz soll – kraft der zwei Entwürfe – dabei um zahlreiche Paragraphen erweitert, diverse bestehende Regelungen sollen ergänzt oder abgeändert werden.
Die wichtigsten Veränderungen im Überblick:
- Der Freistaat Bayern verpflichtet sich mit Inkrafttreten des neuen Naturschutzgesetzes zur „dauerhaften Sicherung und Entwicklung der Artenvielfalts in Flora und Fauna„. In Bayern werden rund 3,15 Millionen Hektar Fläche landwirtschaftlich genutzt. Diese sollen bis 2025 mindestens zu 20 Prozent ökologisch bewirtschaftet werden, bis 2030 sollen es dann mindestens 30 Prozent sein
- Natur- und Umweltschutz sollen zukünftig verstärkt in bayerischen Schulen, Lehr- und Fortbildungseinrichtungen behandelt werden und entsprechend in Lehr- und Bildungspläne einfließen
- „Dem Landtag und der Öffentlichkeit“ soll ein Mal pro Legislaturperiode über den aktuellen Stand der biologischen Vielfalt in Bayern berichtet werden, einmal jährlich über den Verbleib ökologisch genutzter Landwirtschaftsflächen
- Bis zum Jahr 2023 sollen Biotope mindestens zehn Prozent des Offenlands umfassen, bis 2027 sollen es dann 13 Prozent werden – und 15 Prozent bis 2030. Auch hierüber soll es einen jährlichen, öffentlich einsehbaren Statusbericht geben
- „In Naturschutzgebieten, in gesetzlich geschützten Landschaftsbestandteilen und gesetzlich geschützten Biotopen“ soll der Einsatz von Pestiziden künftig deutlich stärker reglementiert werden. Dies betrifft insbesondere Bereiche „außerhalb intensiv genutzter land- und fischereiwirtschaftlicher Fläche.“ Vollständig verzichtet werden muss künftig auch auf „Totalherbizide“ wie etwa das hochumstrittene Glyphosat
- Grünflächen dürfen ab dem 15. März nicht mehr gewalzt werden, eine „flexible Reaktion auf unterschiedliche Witterungslagen“ ist hierbei gewährleistet. Auf zehn Prozent der bayerischen Grünflächen muss die erste Mahd nach dem 15. Juni erfolgen. Klar hervorgehoben wurde im Gesetzesentwurf, dass es sich hierbei um eine „bayernweite Zielvorgabe und nicht um eine Vorgabe für den Einzelbetrieb“ handelt

Grund zur allgemeinen Zufriedenheit also? Ja! Aber mit Einschränkungen, wie die Initiatoren in einer gemeinsam veröffentlichten Stellungnahme anmerken. Agnes Becker erklärt etwa, dass durch die Annahme des Gesetzesentwurfs Bayern „in Sachen Artenschutz auf den Spitzenplatz in Deutschland katapultiert“ werde. Vor allem, dass man es abschließend geschafft habe, eine Brücke zur Landwirtschaft zu schlagen, scheint Becker ein besonderes Anliegen gewesen zu sein: „Mit dem zusätzlichen Maßnahmenpaket der Staatsregierung wird die Hand in Richtung Landwirtschaft ausgestreckt. Nur gemeinsam mit den Bäuerinnen und Bauern wird der große Wurf für mehr Artenvielfalt gelingen“.
Auch LBV-Vorsitzender Norbert Schäffer ist durchaus überzeugt von dem gemeinsamen Ergebnis und „zufrieden, dass beim Staatswald ein Netz mit zehn Prozent Naturwaldflächen ohne Nutzung eingerichtet wird. Hierbei komme es besonders auf neue große zusammenhängende Flächen im Steigerwald, im Spessart und in den Donauauen an“.
„Statt Artenschutz XXL kommt erstmal Artenschutz der Größe M“
Etwas kritischer sieht dies der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Ludwig Hartmann: „Naturschützer haben sich im Ergänzungsgesetz mehr Maßnahmen aus den Empfehlungen des Runden Tisches versprochen, Landwirte hatten mit weniger Auflagen gerechnet. Statt Artenschutz XXL kommt jetzt also erstmal Artenschutz der Größe M – und wir werden weiter hartnäckig auf mehr Verbindlichkeit und zusätzliche Maßnahmen im kommunalen Bereich pochen.“

Dass die CSU mittlerweile die Zeichen der Zeit erkannt hat und seit kurzem versucht, auch das Thema Umwelt zu besetzen, war allerspätestens klar, seitdem der hauseigene EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber im EU-Wahlkampf für mehr Umweltschutz plakatiert. Positionen der Opposition erst zu bekritteln und dann – wenn sich die Stimmungslage im Volk verändert – eben diese als die eigene Position zu präsentieren, ist in der Regierungspolitik keine Seltenheit, sondern eher Routine. Das mag man als „unfair“ erachten – oder als außergewöhnlichen Erfolg für eine Unterschriftenaktion wie sie Bayern zuvor noch nie gesehen hat. Am Ende wird vor allem die Umwelt davon profitieren. Hoffentlich.
Johannes Greß