Brüssel. Seit nunmehr zehn Jahren dürfen sich europäische Gurken krümmen, wie sie gerade lustig sind. Die vielzitierte „Gurkenkrümmungsverordnung“ gibt es nicht mehr. Trotzdem muss das Machwerk Nr. 1677/88 nach wie vor als angeblicher „Beleg“ dafür herhalten, dass die Europäische Union nicht viel mehr sei als eine technokratische Quatsch-Bude. Doch Fakt ist: Die EU schützt Arbeitnehmerrechte, pocht auf Umweltschutz und regelt unsere Landwirtschaftspolitik. Am 26. Mai finden in Deutschland die Wahlen zum neuen EU-Parlament statt. Wer wird gewählt und warum? Und wie beeinflusst die EU eigentlich mein eigenes Leben? Ein Überblick.
- Was wird gewählt?
Alle fünf Jahre – das letzte Mal 2014 – dürfen alle Bürgerinnen und Bürger der EU das Europäische Parlament (EP) wählen. Das EP ist das einzige direkt-gewählte Organ der EU: Jedes Land wählt ihre nationalen Vertreter, die es als Abgeordnete nach Brüssel entsenden möchte. In Deutschland werden 96 der insgesamt 705 Abgeordneten bestimmt – so viel wie in keinem anderen Land. Abgestimmt wird hierzulande am 26. Mai, alle EU-Mitgliedsstaaten wählen zwischen 23. und 26. Mai ihre Vertreter.
- Wie wird gewählt?
Auch wenn das Europäische Parlament gewählt wird, können jeweils nur nationale Listen zur Wahl stehen. Das heißt: Wer in Deutschland zur Wahl geht, kann auch nur für einen Kandidaten einer deutschen Liste stimmen. Wie bei Gemeinde-, Landtags- oder Bundestagswahlen verfügt jeder Bürger über eine Stimme, mittels der ein Listenvorschlag einer Partei gewählt werden kann. Gewählt wird nach dem Verhältniswahlrecht.
Die einzelnen nationalen Parteien und Listen schließen sich in aller Regel innerhalb des EU-Parlaments zu transnationalen Fraktionen zusammen, die sich nicht anhand von regionalen, sondern von politischen Interessen zusammenfinden. Seit 2014 schicken diese Fraktionen auch EU-weite Spitzenkandidaten ins Rennen. Diese führen – ähnlich wie bei nationalen Wahlen – einen Wahlkampf auf europäischer Ebene. Für die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), der auch die CDU/CSU angehört, geht der aus Niederbayern stammende Manfred Weber als EU-Spitzenkandidat ins Rennen (hier geht’s zum Hog’n Interview vom März 2018).
- Und was geht mich das an?
Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass die EU seit ihrer Gründung unter einem Image-Problem leidet. „Die da in Brüssel“ – ein merkwürdiger Verbund verschiedenster Technokraten und Lobbyisten, die ohnehin machen, was sie wollen. Mit dem „wirklichen“ Leben habe das nichts zu tun. Das ist falsch. Und mag wohl auch daran liegen, dass in vielem EU drinsteckt, aber nicht EU draufsteht. Die EU kümmert sich beispielsweise um den Schutz von Arbeitnehmerrechten, um Produkt- und Qualitätsstandards, um den Konsumentenschutz und um unsere Grenzen. (einen Überblick über die Kompetenzen und Aufgaben der EU gibt’s hier)
Generell gilt: Als einzig direkt gewähltes Organ vertritt das Europäische Parlament die Interessen aller europäischer Bürger und entscheidet damit über Gesetze und den EU-Haushalt. Zudem wählt es die Präsidentin oder den Präsidenten der Europäischen Kommission und hat die Aufgabe, alle anderen EU-Institutionen zu kontrollieren.
- Wahlfaule Bayern?
Das beschriebene Image-Problem zeigt sich auch an der konstant niedrigen Wahlbeteiligung. Bei der jüngsten Wahl 2014 nahmen nur knapp 43 Prozent der Stimmberechtigten an der Wahl zum EU-Parlament teil. Seit der ersten Wahl 1979, an der sich immerhin noch 62 Prozent beteiligten, sinkt die Mitwirkung an den EU-Wahlen konstant. In Deutschland nahmen 2014 immerhin noch 48 Prozent, also etwas mehr als der Durschnitt, von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Im Nachbarland Tschechien waren es nur 18 in der Slowakei gar nur 13 Prozent. Negativ tat sich in diesen Belangen auch der Bayerische Wald hervor: Im Landkreis Regen gingen nur 26,4 Prozent zur Wahl, im Landkreis Freyung-Grafenau 26,5. Insgesamt stimmten in Bayern weit weniger Menschen ab als in Rest-Deutschland, nämlich nur gut 41 Prozent.
Um an der eklatant niedrigen Wahlbeteiligung etwas zu ändern, wurden in der Vergangenheit zahlreiche Imagekampagnen ins Leben gerufen. Unter diesmalwaehleich.eu etwa vernetzen sich Menschen untereinander, um am 26. Mai eine höhere Wahlbeteiligung zu erzielen. Auf what-europe-does-for-me.eu wird aufgezeigt, wo die EU eigentlich überall drinsteckt. Dabei wird erklärt, was die Union für jeden Einzelnen in seiner Region und seinem Leben aktiv bewirkt und welche Lebensbereiche die Politik der EU mitbeeinflusst. Auf europawahl.eu finden sich zudem alle relevanten Infos zur Wahl des Europäischen Parlaments.
- Wieso wird die EU immer wieder kritisiert?
Kritisiert wird häufig, dass das Europa-Parlament weit weniger Kompetenzen besitzt, als dies bei allen anderen nationalen Parlamenten der Fall sei. Das EP besitzt beispielsweise nur ein sehr eingeschränktes Initiativrecht, kann also selbst kaum Gesetzesentwürfe einbringen, sondern nur einen Änderungsantrag auf bereits vorgeschlagene Gesetze stellen. Zudem kommen dem EP in diversen Politikfeldern, wie etwa der Wettbewerbs-, der Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Handelspolitik nur beratende Funktionen zu. Alles in allem besitzt das Europa-Parlament also weit weniger demokratische Rechte, als das bei nationalen Parlamenten für gewöhnlich der Fall ist.
https://www.youtube.com/watch?v=vfKHCvsstpA
Die Wahl zum Europa-Parlament ist eine allgemeine, freie, unmittelbare und geheime Wahl – jedoch keine gleiche. Das liegt daran, dass es kein einheitliches EU-Wahlrecht gibt, sondern jeder Staat sein eigenes Süppchen kocht. Dabei folgt jedes Mitgliedsland seinen jeweils eigenen Spielregeln: Das betrifft beispielsweise Sperrklauseln, das Mindestalter der Wähler und das der Kandidaten. Das größte Ungleichgewicht ergibt sich durch die Parlamentssitze, die jedem Land zustehen. Diese stehen in keinem proportionalen Verhältnis zur Einwohnerzahl. Deutschland erhält mit rund 83 Millionen Einwohnern im EU-Parlament 96 Sitze, Malta mit nur 460.000 Einwohnern hingen sechs.
In die Liste der Kritikpunkte reihen sich auch die oftmals intransparenten Verfahrensweisen der Europäischen Union, der starke Einfluss von Lobbygruppen sowie Fragen der nationalen Souveränität und Kompetenzbeteiligung. Vor diesem Hintergrund haben sich mit Blick auf die Wahl 2019 auch einige neue Bündnisse und Initiativen herausgebildet. Bestehende Parteien und Fraktionen haben vor allem Fragen nach mehr Transparenz und Demokratie in ihre Wahlprogramme aufgenommen (für eine ausführliche Analyse lesen Sie hierzu u.a. die Europa-Expertin Ulrike Guérot im exklusiven Hog’n-Interview).
- Prognosen: Angriff von rechts?
Schon jetzt ist klar: An der politischen Zusammensetzung des Europäischen Parlaments wird sich nach dem 26. Mai einiges ändern. Vor allem die derzeit dominierende Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) sowie die der Sozialdemokraten (S&D) werden nach derzeitigem Stand massive Verluste einfahren. Profitieren werden die politischen Ränder: Nach aktuellem Stand könnten rechte, rechtspopulistische und europakritische Fraktionen zukünftig rund ein Viertel des Europa-Parlaments ausmachen.
Mit Blick auf die deutschen Parteien werden sich laut jüngster Umfrage (Infratest dimap, im Auftrag der ARD, Stand: 2. Mai) knapp 30 Prozent der Wähler für die CSU/CDU entscheiden. Mit jeweils 19 Prozent sind SPD und Grüne gleich auf. Dahinter reihen sich die FDP sowie die Linkspartei jeweils mit sieben und die AfD mit zehn Prozent. Bliebe es am Abend des 26. Mai bei diesen Ergebnissen, würde vor allem die SPD mehr als zehn Prozentpunkte einbüßen, die Grünen hingegen würden im Vergleich zu 2014 etwa 7,5 Prozentpunkte zulegen.
Welche Partei den eigenen Überzeugungen am meisten entspricht, muss natürlich jeder selbst für sich herausfinden. Einen ganz guten Überblick liefert hierfür der „Wahl-O-Mat“ der Bundeszentrale für Politische Bildung. Anhand von 38 Fragen kann dabei abgeglichen werden, welche Partei wohl am ehesten zu einem passe (hier geht’s zum „Wahl-O-Mat“).
- Stehen auch Abgeordnete aus der Region Bayerischer Wald zur Wahl?
An prominentester Stelle steht natürlich der aus Niederbayern stammende EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber. In dessen Windschatten, auf Listenplatz 28, geht der aus Zwiesel stammende Alexander Hannes ins Rennen. Außerdem kämpfen die Passauerin Agnes Becker (ÖDP) sowie Eric Tylkowski (SPÖ), ebenfalls aus Passau, um den Einzug ins Europäische Parlament.
- Und last but not least: Was ist eigentlich mit Großbritannien?
Nachdem der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Staatengemeinschaft („Brexit“) um ein weiteres Mal aufgeschoben wurde – nach aktuellstem Stand auf spätestens den 31. Oktober – werden die Briten am 26. Mai mitbestimmen dürfen. Dies wird von vielen Seiten kritisiert und dürfte wohl auch in Großbritannien nicht immer gut geheißen werden. Doch da die Briten auch über den 26. Mai hinaus noch offizielles Mitglied der EU sein werden, sind sie dazu verpflichtet an den Parlamentswahlen teilzunehmen.
Johannes Gress
Weiterführende Informationen zur Wahl: