Sonntagnachmittag, ein gemütlicher noch dazu. Mit 90 km/h von Freyung nach Passau – freie Fahrt und alle Zeit der Welt. Ein Blick in den Rückspiegel: Das Automobil in Ihrem Windschatten fährt nervöse Schlangenlinien, immer auf der Suche nach einer Überholmöglichkeit. Dass an manchen Stellen Überholverbot gilt oder die Strecke einfach unübersichtlich ist, spielt keine Rolle. „Im Winter fürchtet Eis und Schnee, im Sommer das Kennzeichen FRG“, lautet ein bekanntes Sprichwort im Bayerwald. Doch was ist dran am vermeintlich genetischen Rasertum der Autofahrer aus dem Landkreis? Hat Gott sie tatsächlich mit bleiernen Füßen ausgestattet? Da Hog’n auf Spurensuche.
Eine erste Vorahnung bekommt man, wenn man sich auf www.fahrerbewertung.de nach den FRG-Lenkern erkundigt. Die Online-Plattform, auf der Verkehrsteilnehmer sich gegenseitig und mit Angabe des Regional-Kürzels bewerten können, stellt den heimischen Autofahrern kein gutes Zeugnis aus. Auf einer Skala (dem Schulnotensystem entsprechend von 1 bis 6) bringt es das Kennzeichen FRG auf 3,8 – und liegt damit im hinteren Mittelfeld. Vor allem durch „drängeln“, so lässt sich der Statistik entnehmen, fallen die FRG-Kennzeichen-Führer negativ auf. Am schlechtesten (Note 5,2, Stand: 2. Mai 2019) fahren dem Portal zufolge Leute aus Mindelheim im Unterallgäu. Deutschlandweit sind es die Audi-Fahrer, die den meisten Unmut erzeugen (zur Methodik der Erhebung: hier klicken).
10.821 Geschwindigkeitsübertretungen in 24 Stunden
Als Ende Februar in München vom bayerischen Innenministerium die Unfallstatistik des Jahres 2018 vorgestellt wurde, zeigte sich klar und deutlich: Im Vergleich zum Vorjahr nahm die Zahl der Verkehrsunfälle auf Bayerns Straßen erneut zu.
Es gab mehr Verletzte und mehr Tote als 2017. Bei 410.252 Unfällen im Jahr 2018 kamen 70.301 Personen zu Schaden, 618 verstarben in Folge eines Unfalls. Seit Jahren kracht es immer häufiger auf Bayerns Straßen. Aber: Auch die Zahl der Einwohner steigt – und damit die Zahl der zugelassenen Kraftfahrzeuge sowie das Verkehrsaufkommen im Gesamten. Daraus nun zu folgern, dass Autofahren immer gefährlicher werde, wäre demnach nicht ganz richtig.
Laut Unfallstatistik 2018 sind es allen voran die Landstraßen, auf denen sich die meisten Unfälle mit Todesfolge ereignen. Gefolgt vom innerörtlichen Verkehr. Erst dann kommen die Autobahnen. Unfallrisiko Nummer eins ist dabei das Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit. „Wie gefährlich beispielsweise zu schnelles Fahren ist und wie viele Unbelehrbare noch unterwegs sind, haben wir zuletzt beim Blitzmarathon deutlich gemacht“, heißt es von einem Sprecher des bayerischen Innenministeriums gegenüber dem Onlinemagazin da Hog’n. Vom 3. zum 4. April wurden dabei bayernweit binnen 24 Stunden 10.821 Geschwindigkeitsübertretungen festgestellt – trotz Vorankündigung. Und trotz der Tatsache, dass die Messstellen im Internet einsehbar waren.
Zukünftig mehr Geschwindigkeitskontrollen
Auch im Landkreis FRG wurden nicht wenige zur Kasse gebeten. So waren es im Einzugsgebiet der Polizeiinspektion Grafenau 19 Verkehrssünder, die im genannten Zeitraum an fünf – ebenso vorher angekündigten – Messpunkten geblitzt wurden. „Zum Vergleich: Beim Blitzmarathon 2018 wurden sechs Messstellen bedient, es wurden hierbei 20 Geschwindigkeitsverstöße mit fünf Anzeigen festgestellt“, erklärt Klaus Brunnbauer, Polizeihauptkommissar in Grafenau, auf Hog’n-Nachfrage.
Von „signifikanten Unterschieden“ zum Vorjahr könne man daher nicht sprechen. Da wie auch in Gesamt-Bayern die „Hauptunfallursache Geschwindigkeit“ im Einzugsgebiet der PI Grafenau wieder angestiegen ist, werde man zukünftig „verstärkte Kontrollen im Hinblick auf Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit“ durchführen. Im Jahr 2018 gab es 80 Unfälle, die auf zu schnelles Fahren zurückzuführen sind.
Die Polizeiinspektion Freyung hatte es vom 3. auf den 4. April mit „insgesamt zwölf Personen“ zu tun, die jenseits der erlaubten Höchstgeschwindigkeit unterwegs waren, erläutert Martin Resch, Hauptkommissar der PI Freyung. Den Blitzmarathon führten die Kreisstädter heuer gemeinsam mit den Kollegen der Polizei Waldkirchen durch. 2018 wurde in etwa „eine ähnlich gelagerte Anzahl an Verkehrsteilnehmern beanstandet wie beim diesjährigen Blitzmarathon“, so das Resümee. Resch ergänzt, „dass die Polizei erkannte Brennpunkte konsequent überwachen wird“.
FRG: „Freie Renn-Gemeinschaft“?
„Eine Übersetzung des FRG-Kennzeichens mit Freie Renn-Gemeinschaft (oder auch Freie Raser-Gemeinschaft – Anm. d. Red.) ist wohl jedem schon mal im Gespräch mit unseren Nachbarn begegnet“, mutmaßt Günter Obermüller, erster Vorsitzender der Kreisverkehrswacht Freyung-Grafenau. Nach wie vor, so Obermüller, habe der Landkreis in Sachen Verkehrsunfälle durch Geschwindigkeitsübertretungen eine „Spitzenstellung in Niederbayern“ inne: Von den insgesamt 1.669 Verkehrsunfällen, die 2018 in Niederbayern auf eine überhöhte Geschwindigkeit zurückzuführen waren, gingen alleine 163 auf das Konto von FRG-Kennzeichen-Trägern.
Von einer „besonders gefährdeten Gruppe“ spricht Obermüller im Zusammenhang mit Verkehrsneulingen im Alter von 18 bis 24 Jahren. Neben mangelnder Erfahrung „kommt dazu noch schnelles Fahren, Alkohol und Drogen oder Ablenkung am Steuer“. Dennoch habe sich in jüngster Vergangenheit in diesen Belangen einiges zum Besseren gewendet: War früher jeder dritte Verkehrstote jünger als 24, sei es derzeit etwa jeder siebte, wie der Vorsitzender der Kreisverkehrswacht erläutert. In einem größeren Zeitrahmen betrachtet, wende sich sogar sehr Vieles zum Besseren: Im Jahr 1970 – also zu einer Zeit, in der nur rund ein Drittel so viele Pkw unterwegs waren als heute – gab es in Bayern 3.897 Verkehrstote. Im Jahr 2.000 waren es noch 1.450, im vergangenen Jahr 618.
Um vor allem für Jungfahrer das Unfallrisiko zu vermindern, bietet die Kreisverkehrswacht einige Programme an. Diese umfassen beispielsweise „bewusstseinsbildende Vorträge“ an Schulen in Zusammenarbeit mit Richtern, Staatsanwälten und Polizisten. „Seit etwa 30 Jahren“, erklärt Obermüller weiter, haben junge Fahrer zudem Anspruch auf ein kostenloses Fahrsicherheitstraining – „leider stellen wir seit Jahren fest, dass das Interesse an diesem Programm immer mehr nachlässt“.
Versicherungsschreck: FRG
Dass sich hier im Landkreis häufiger etwas Blech im Straßenverkehr verbiegt, als das in anderen Gegenden der Fall sein mag, spiegelt sich auch in der Höhe der Versicherungsbeiträge wider. Denn auch hier schneiden die Fahrer des Landkreises Freyung-Grafenau nicht gerade berauschend ab. Nur Autohalter aus Garmisch-Partenkirchen, dem Ostallgäu und Miesbach zahlen eine höhere Prämie für ihre Vollkasko-Versicherung. In Sachen Teilkasko sieht es ähnlich aus. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die sogenannte Regionalklasse. Diese ergibt sich aus der jährlichen Schadensbilanz, die sich aus Unfällen und Diebstahlhäufigkeit, Sturm- und Hagelschäden sowie Wildunfällen zusammensetzt und wiederum – versicherungsmathematisch betrachtet – in einen regionalen Index überführt wird.
Der Preis einer Versicherung ergibt sich dann in aller Regel aus Fahrzeugtyp, Kilometerleistung, Fahrzeugalter und Alter des Fahrzeughalters. Aber es fließt eben auch die Postleitzahl in die Erhebung mit ein. Und da hat man besser nicht die drei Buchstaben „FRG“ auf dem Zettel stehen: Sowohl was die Voll- als auch die Teilkaskoversicherung anbelangt, liegt der Index-Wert des Landkreises deutlich über dem Bundesdurchschnitt – und damit auch der Versicherungsbeitrag für alle Verkehrsteilnehmer aus der FRG-Region. Überspitzt formuliert, müssen also alle Fahrer des Landkreises für jegliche Raserei in unseren Breitengraden finanziell gerade stehen. So oder so ist damit das Rasen keine sonderlich soziale Angelegenheit…