Bayerischer Wald. Eine überbordende Bürokratie, immer mehr sowie immer rigidere Auflagen, ein latenter Personalmangel, fehlende Aussichten auf Übernahme, unattraktive Arbeitszeiten – die Probleme und Schwierigkeiten, mit denen die regionale Gastronomie eigenen Angaben zufolge zu kämpfen hat, sind vielseitig – und längst bekannt. Das oft zitierte „Wirtshaussterben“ sei die Folge jener Entwicklung. Doch: Ist dem tatsächlich so? Werden die gastronomischen Einrichtungen weniger? Das Onlinemagazin da Hog’n hat sich umgehört.
Erste Anlaufstelle bei generellen gastronomischen Fragen ist der Bayerische Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA), Unternehmens- und Wirtschaftsvertretung der gesamten Hotellerie und Gastronomie im Freistaat. Dessen Geschäftsführer Frank-Ulrich John spricht gegenüber dem Hog’n von einer „dramatischen Lage im Bayerischen Wald“. Zwar lägen keine belastbaren, aktuellen Zahlen vor, die zuletzt gehäufte Berichterstattung lasse jedoch Rückschlüsse darauf zu, dass das Wirtshaussterben rund um Lusen und Rachel um sich greift.
„In der Regel sind es immer langjährige Dorfwirtschaften, die keine Nachfolger finden und deshalb schließen müssen. Auch aus der täglichen telefonischen Beratung hören wir heraus, dass sich sehr viele Mitglieder – vor allem die ältere Generation – schon jetzt damit beschäftigt, in absehbarer Zeit den Betrieb aufzugeben. Sie würden es eben noch solange machen, wie es bei ihnen gesundheitlich gehe. Oder wir hören Aussagen, dass Betreiber aufhören, wenn wieder irgendwelche Auflagen kommen, die Investitionen erfordern, denn diese würden sich für sie nicht mehr rechnen. Ein weiteres großes Problem sind auch die Vereinsheime oder Bürgerhäuser, die im ländlichen Bereich immer mehr werden.“ (Frank-Ulrich John)
Das Ende des Kirchenwirts in Frauenau…
Natürlich hätte der DEHOGA das Problem längst erkannt – und auch entsprechende Gegenmaßnahmen eingeleitet. Jüngst wurde deshalb unter anderem die Kampagne „Zukunft für das bayerische Gastgewerbe“ ins Leben gerufen.
Eine flexible Arbeitszeit („Arbeiten können, wenn Arbeit anfällt“), die Herstellung eines fairen Wettbewerbes (u.a sieben Prozent Mehrwertsteuer auf alle Lebensmittel) sowie die Schaffung eines Umfelds, das selbstverantwortliches Handeln zulässt, stünden dabei im Fokus. „Allein wird es die Branche jedoch nicht schaffen, hier bedarf es noch politischer Unterstützung bei der Abarbeitung unserer branchenpolitischen Forderungen“, macht Frank-Ulrich John deutlich.
Es dauert also noch an, bis zumindest ein paar Ursachen des Wirtshaussterbens bekämpft werden können. Einige Motive, warum gastronomische Betriebe im Bayerischen Wald schließen müssen – wie etwa die fehlende Aussicht auf Übernahme oder ein Investitionsstau in Folge eines jahrelangen Sparzwangs – können jedoch selbst durch eine „sanftere Gesetzgebung“ nicht aus der Welt geschafft werden. Es müsse zuallererst ein Umdenken innerhalb der Gesellschaft stattfinden, wie Frauenaus Bürgermeister Herbert Schreiner betont.
… soll durch ein Mehrgenerationenhaus aufgefangen werden
In der Glasmacher-Gemeinde im Nationalpark Bayerischer Wald musste die Kommune zuletzt selbst in die Bresche springen, als es darum ging, das Gasthaus „Zum Kirchenwirt„, einem alteingesessenen Arbeiterwirtshaus, zumindest als Treffpunkt am Leben zu erhalten. „Die Wirtin und Besitzerin hat zusperren müssen, da sie keinen Nachfolger gefunden hat“, berichtet Schreiner auf Hog’n-Anfrage. „Infolgedessen wollte die Betreiberin nicht mehr investieren. Das Gebäude ist in einem maroden Zustand, mit einer Verlängerung der Konzession wäre es wohl schwierig geworden.“
Da jedoch Dorfwirtschaften, wie der Frauenauer Rathaus-Chef findet, zum Kulturgut einer jeden Ortschaft gehören, es gleichzeitig die Bevölkerung aber mehr und mehr vorziehe in Hütten und Vereinsheimen zu verkehren, musste nun die Gemeinde tätig werden, um den „Kirchenwirt“ zu retten – wenn auch in etwas abgewandelter Form: Nach der Sanierung, die ersten Berechnungen zufolge zirka 1,5 Millionen Euro kosten wird, soll in dem markanten Haus in der Frauenauer Ortsmitte ein Mehrgenerationenhaus entstehen. In diesem Zusammenhang hofft die Gemeinde, die mit einem fünfstelligen Kaufpreis bereits in Vorleistung gegangen ist, auf entsprechende Förderungen, um das Projekt überhaupt stemmen zu können.
In Frauenau ist nun also die öffentliche Hand eingesprungen. In dem in Freyung ansässigen und seit mehreren Jahrzehnten familiengeführten „Passauer Hof“ ist man mit den entsprechenden Planungen noch nicht ganz so weit. Besitzer und Betreiber Herbert Schiller möchte seine Traditionsgastronomie im Ortskern der Kreisstadt in den nächsten fünf bis zehn Jahren verkaufen, wie er sagt. „Ich lege aber großen Wert darauf, dass die Gastwirtschaft auch nach meiner Zeit erhalten bleibt. Es hat bereits konkrete Interessenten gegeben – der Richtige war aber noch nicht dabei.“ Der 59-Jährige wünscht sich, dass all diejenigen Vereine und Stammtische, die zu seinen Stammkunden gehören, auch künftig eine gesellige Heimat im Passauer Hof vorfinden.
„In Reutmühle hat man bisher auf Billig-Tourismus gesetzt“
Das Freyunger Wirtshaus an sich soll also auch nach einem möglichen Verkauf erhalten bleiben – natürlich müssten dabei entsprechende Sanierungen und Modernisierungen in Angriff genommen werden. „Ich könnte mir beispielsweise vorstellen, dass in den weiteren Etagen Wohnungen, Arztpraxen und Büroflächen entstehen“, blickt Herbert Schiller in die Zukunft. Dass jedoch bereits jetzt erste Schritte in dieser Hinsicht eingeleitet worden seien, wie zuletzt aus Freyung zu vernehmen war, ordnet der Passauer-Hof-Wirt der „Welt der Fabeln“ zu. „Das ist wohl ein verspäteter Aprilscherz“, kommentiert Schiller die kursierenden Gerüchte. „Das Fortleben des Hauses wird sicher keine Hauruck-Aktion, sondern eine langfristig angelegte Sache.“
Etwas abrupter stellte sich das (zwischenzeitliche) Ende des Sporthotels Reutmühle im Stadtgebiet von Waldkirchen dar. Praktisch über Nacht hätte sich die Eigentümergesellschaft dazu entschlossen, das Hotel vorerst nicht weiter zu verpachten und stattdessen für ein Jahr zu schließen, wie Waldkirchens Bürgermeister Heinz Pollak auf Hog’n-Nachfrage berichtet. In dieser Zeit solle es saniert werden – was auch auch nötig sei, um wieder mehr Gäste anzulocken. „In Reutmühle hat man bisher auf Billig-Tourismus gesetzt“, bedauert Pollak. Seiner Meinung nach funktioniert diese Art von Urlaubsreiseverkehr in unserer Region heute nicht mehr. Er würde sich daher wünschen, dass das Sporthotel – immerhin die Einrichtung mit den meisten Betten im Stadtgebiet – an eine Privatperson verkauft wird. Dazu wäre jedoch der Beschluss der gesamten Eigentümergemeinschaft nötig.
Beate Hubig: „Es ist ein stetiger Überlebenskampf“
Die Geschichten des Kirchenwirts in Frauenau und des Sporthotels in Reutmühle – zwei Beispiele, die das Wirtshaussterben im Bayerwald bestätigen. Es gibt aber auch Gegenentwürfe und Modelle, die zeigen, wie gastronomische Einrichtungen durch kluge Investitionen und einer frühzeitig geregelten Betriebsnachfolge dafür sorgen, ihre Zukunft zu sichern. Ein nennenswertes Beispiel ist das Landhotel Sportalm/Restaurant zur alten Schule in Mitterfirmiansreut (Gmd. Philippsreut).
Chefin Beate Hubig führt die Gastronomie im historischen Gebäude, das Anfang der 1970er Jahre zu einem Wirtshaus umgebaut worden ist, in zweiter Generation. Mit Ben Roth steht der Nachfolger schon zum jetzigen Zeitpunkt fest. „Es ist natürlich ein riesen Glücksfall für mich, dass mein Sohn weitermachen wird“, betont Beate Hubig. Den Personalmangel könne die Gaststätte im Skizentrum Mitterdorf durch jahrelang gewachsene Strukturen, sprich: Stamm-Mitarbeiter, etwas abfedern. Doch auch der Familienbetrieb bekäme den Fachkräfte-Notstand in der Gastronomie genauso zu spüren wie die zunehmende Bürokratie und die zunehmenden Auflagen.
„Der Papierkram wird immer mehr und nimmt sehr viel Zeit in Anspruch“, betont Hubig. Darüber hinaus müsste die Familie regelmäßig finanzielle Risiken eingehen, um nötige Investitionen durchzuführen. „Ansonsten würden wir abgehängt werden.“ Zweimal wurden in den vergangenen Jahren sechsstellige Beträge in die „alte Schule“ gesteckt, um auf aktuellem Stand zu bleiben. Hinzu kommen zahlreiche Kosten, die nicht vordergründig die Attraktivität der Restaurant- und Hotelräume steigern, aber nötig sind – wie etwa ein neues Kassensystem oder Ausgaben im Hygienebereich.
„Es ist ein stetiger Überlebenskampf“, stellt Beate Hubig, die das Wirtshaussterben im Bayerischen Wald auch selbst als solches wahrnimmt und einige Kollegen kennt, die an ein Ende denken, fest. „Aber mein Sohn und ich sind einfach Vollblut-Wirtsleute. Wir machen’s gerne – und deshalb wird es unsere Gaststätte noch lange geben.“
Helmut Weigerstorfer
Mitarbeit: Sabine Simon