„Unser Dorf hat Zukunft“ heißt der Wettbewerb, der jährlich jenes bayerische Dorf auszeichnet, dass nach Meinung einer Jury die aussichtsreichsten Zukunftsperspektiven besitzt. Das ist eine gute Sache, trägt jedoch einen faden Beigeschmack. Den eines leisen Verzweiflungsschreis. Eines Hilferufs à la: „Hallo, wir vom Land sind auch noch hier! Auch bei uns kann es schön sein!“ Zweifellos, das ist es auch. Doch trotz aller Vorteile des Landlebens – auch jener, die sich nicht gerade in kitschigen Klischees verdichten – ziehen immer mehr Menschen vom Land in die Stadt um. Bis 2037, so zeigt eine unlängst veröffentlichte Studie des statistischen Bundesamtes, wird die Bevölkerung der Landkreise Freyung-Grafenau und Regen um bis zu 7,5 Prozent schrumpfen.

Vertreter und Vertreterinnen der Initiative „Zukunftsorte“ diskutieren über Konzepte zur nachhaltigen Entwicklung von Ortschaften und Dörfern. Foto: da Hog’n

Es ist Freitagvormittag, rund 20 Personen sitzen in einem kleinen Nebenraum eines sog. Coworking-Space in Wien. Vertreter der Initiative „Zukunftsorte“ präsentieren vor einer Handvoll Journalisten „Strategien gegen Landflucht & Braindrain“ sowie Ideen zum „Lernen von und mit Ausheimischen“. Es gibt Getränke, belegte Brot und Gebäck. Die Message der Veranstaltung: Land und Stadt seien keineswegs als Gegensatz zu sehen, man wolle junge Menschen nicht auf Teufel komm raus im Dorf behalten. Man setzt auf Wissenstransfer. Eine Studentin und ein Student präsentieren ihre Projekte, die sie – nach dem Studium in der Stadt – in ihrem Heimatort initiiert hatten. Das Ganze wirkt nicht nur etwas verkrampft, sondern hat genau jenen bereits erwähnten Beigeschmack: „Hallo, wir vom Land sind auch noch hier! Auch bei uns kann es schön sein!“

Es gibt kein Patentrezept

Wie dieser Wissenstransfer, dieses wechselseitige voneinander Profitieren im Detail funktionieren soll, wird auf einem rund zwei Meter breitem Schaubild skizziert. Pfeile, Balken, bunte Kästchen, Diagramme, Beschriftungen – ganz so einfach scheint das mit den „Zukunftsorten“ demnach doch nicht zu sein. Wirft man einen Blick auf diverse Projekte, Initiativen und Organisationen zeigt sich: Es gibt durchaus fruchtbare Ansätze. Aber kein Patentrezept. Jedes Dorf ist – einzigartig.

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Aus Film und Fernsehen kennt man vor allem zwei Varianten des Dorflebens. Einerseits das Verklärte und Verkitschte, sprich: Wald, Wiese und Harmonie – Friede, Freude, Maßkrug. Andererseits die „Armageddon“-Variante: ausgestorbene Marktplätze, auf denen sich maximal noch ein paar Bucklige rumtreiben. Der Rest hat die Szenerie schon lange fluchtartig verlassen.

Ganz so schlimm ist es nun auch wieder nicht. Die Ruhe und Idylle – das lässt sich nur schwer bestreiten – ist einer der Pluspunkte des Lebens auf dem Lande – und gleichzeitig einer der Gründe, warum viele Menschen wegziehen. Vor allem junge Leute zieht es vermehrt ins Urbane, zu den wichtigsten Pull-Faktoren zählen Studium und Arbeit. Zudem werden junge Erwachsene immer mobiler – heute Röhrnbach, morgen München, übermorgen Shanghai. Das spiegelt sich auch in der Bevölkerungsstatistik wider. In den Landkreisen FRG und Regen wird die einstiege Bevölkerungspyramide mehr und mehr zur Urne: Im Vergleich zum Jahr 2017 vergrößert sich die Altersgruppe 65+ bis 2037 um 50 Prozent. Dann ist der Durschschnitts-FRG’ler knapp 50 Jahre alt, der Regener knapp 49. Während gesamt Bayern im Schnitt 46 Jahre alt sein wird.

Vorsicht mit der Statistik!

Um gegen das Phänomen „Landflucht“ vorzugehen, haben sich in letzter Zeit verschiedenste Initiativen herausgebildet. So zum Beispiel die Image-Kampagne „MADE in FRG – Mehr als du erwartest!“ im Landkreis Freyung-Grafenau. „Die Region hat mehr zu bieten, als die meisten überhaupt wissen“, heißt es etwa auf der dazugehörigen Homepage. Neben der Lebensqualität streicht die Initiative vor allem auch die – vermeintlich unterschätzte – wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit heraus. Anders als in vielen anderen Ecken Deutschlands werden Fachkräfte in Südostbayern händeringend gesucht. Doch mit den vielgelobten „Incentives“ – Arbeitsplätze, Natur und günstiges Wohnen – können auch andere ländliche Regionen der Bundesrepublik punkten. Ein Alleinstellungsmerkmal ist das nicht.

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Die demographischen Prognosen, wonach bis zu 7,5 Prozent der Bevölkerung den Landkreis FRG bis 2037 verlassen, genießt man hier allerdings mit Vorsicht, wie Christian Luckner, Pressesprecher des Landratsamtes Freyung-Grafenau, auf Hog’n-Nachfrage erklärt: Wirft man einen Blick auf die Statistik – „losgelöst, ohne Vergleich im zeitlichen Verlauf oder unkommentiert“ – ergebe sich in der Tat ein eher drastisches Bild. Allerdings, so Luckner weiter, steigen die Einwohnerzahlen im Landkreis seit 2014 jährlich wieder an. Er verweist außerdem darauf, dass die „Statistik für den Landkreis Freyung-Grafenau im Verlauf stets ins Positive korrigiert wurde“. Möglicherweise werde demnach auch hier am Ende nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird.

Auch bei der Arberland REGio GmbH, der Kreisentwicklungsgesellschaft des Landkreises Regen, will man vorschnelle Schlüsse im Umgang mit Statistiken vermeiden. In den vergangenen Jahren, berichtet Regionalmanager Stephan Lang gegenüber dem Hog’n, lasse sich eher ein gegenteiliger Trend beobachten: „Seit dem Tiefststand mit 76.257 Einwohnern im Jahr 2013 steigt die Bevölkerungszahl im Arberland wieder und liegt aktuell bei 77.515 (Stand: Juni 2018). Auch der Geburtenstand hat wieder das Niveau von 2005 erreicht.“ Zudem verlagern rund 1.000 Menschen jährlich ihren Lebensmittelpunkt in den Landkreis Regen. „Ob der Bevölkerungsrückgang in Zahlen so deutlich ausfällt, wie prognostiziert“, will Lang daher vorerst einmal abwarten. 

Landkreis Regen: 580 neue Arbeitsplätze pro Jahr

Die Arbeit der Imagekampagne „MADE in FRG„, die im Herbst 2016 ins Leben gerufen wurde, beurteile man seitens des Landratsamtes als „insgesamt erfolgreich“. Zwar sei ein „direkter Zusammenhang zwischen Zuzügen“ und der Kampagne schwierig nachzuweisen, man erhalte jedoch immer wieder „positive Rückmeldungen“. Beispielsweise von Bewerbern oder Arbeitgebern, die sich auf „MADE in FRG“ berufen.

Zukünftig wolle man den „Fokus mehr als bisher auf eine Wirkung nach Innen richten“, erklärt Luckner. Den Bewohnerinnen und Bewohnern sowie jenen, die in der Region arbeiten, „soll die Attraktivität ihrer Heimat noch bewusster werden“. Hierzu gehöre auch, dass kleineren Betrieben sowie Handwerkern verstärkt Aufmerksamkeit gewidmet wird. „Gesamtziel“, teilt der Pressesprecher mit, „bleibt es, die Attraktivität der Region als Lebensraum als Botschaft innerhalb des Landkreises und – wo sinnvoll möglich – auch außerhalb von FRG wirkungsvoll zu platzieren“.

Die 2014 ins Leben gerufene ARBERLAND REGio GmbH stützt sich nach eigenen Angaben auf die „Weiterentwicklung der Netzwerke zwischen Wirtschaft und Tourismus sowie in der aktiven Bearbeitung von Querschnittsthemen im Rahmen einer strategischen Standortentwicklung“. Im Landkreis Regen entstehen ungefähr „580 neue Arbeitsplätze pro Jahr“, heißt es seitens Regionalmanager Lang. In Kombination mit der „hohen Lebensqualität“ wüssten „Fachkräfte, junge Familien, Rückkehrer und Zuzieher“ das Arberland sehr zu schätzen. Auch im Landkreis REG wird versucht anhand einer Image-Kampagne (Dahoam im Arberland) die entsprechenden Vorzüge der Region zu betonen.

Der Bachelor muss finanziell gesehen nicht immer die erste Wahl sein

Ein Problem, mit dem sich junge Erwachsene konfrontiert sehen, die einmal eine akademische Ausbildung ins Auge fassen, ist, dass es in den Landkreisen FRG und Regen keine Hochschule und keine Universität gibt. „Dennoch“, erklärt FRG-Sprecher Luckner, „passiert auch in diesem Bereich sehr viel“. Ein Studium in Freyung-Grafenau sei zwar nicht möglich, mit dem Technologie Campus könne man mittlerweile jedoch „die Präsenz von wissenschaftlicher Forschung in der Fläche sicherstellen“. Zudem würden viele Betriebe aus der Region duale Studiengänge oder Verbundstudiengänge anbieten, „die es möglich machen, dass junge Menschen aus Freyung-Grafenau in der Heimat arbeiten und studieren“.

Auch Stephan Lang verweist auf die „enge Kooperation mit den benachbarten Hochschulen und Universitäten“. Nicht zu unterschätzen sei „im Zeitalter der Digitalisierung auch die zunehmende Bedeutung von Home-Office-Arbeitsplätzen, die es ermöglichen, die Wohn- und Lebensqualität vom Land mit Berufsperspektiven in städtischen Gebieten zu vereinen“. Man solle sich zudem einmal die Frage stellen, so Lang weiter, „ob die öffentliche Meinung zur Berufswahl in den vergangenen Jahren nicht zu stark vom Akademisierungstrend geprägt war“. Mit Blick auf die Region böten sich auch abseits des akademischen Berufsmilieus zahlreiche berufliche Betätigungsfelder mit Verdienst- und Entwicklungschancen, die nicht nach jedem Bachelor- und Masterstudiengang in gleicher Weise zu erreichen seien. „Dieser Hintergrund“, so Langs Mutmaßung, sei „vielen Abiturienten bei der Berufswahl zu wenig bewusst – auch mangels Praxiseinblicken“. 

Attraktiv sein und bleiben heißt: Weiterentwickeln und Bewahren

Der Zwiespalt, in dem sich ländliche Gegenden häufig befinden, ist kurz zusammengefasst jener, dass es so wie bisher offensichtlich nicht weitergehen könne – aber sich auch so wenig wie möglich verändern solle. Attraktiv sein und bleiben heißt demnach: sich weiterentwickeln und bewahren. Um sich gegen Landflucht und Überalterung zu stemmen – und das ist wahrlich kein südostbayerisches, sondern ein globales Problem – versucht man vielerorts einen Spagat: Indem man dem Landflair etwas mehr Stadtflair verleiht und gleichzeitig die Vorzüge des Landlebens zu konservieren versucht – soweit es eben geht.

Um die eigene Region attraktiv zu gestalten, werden Infrastruktur und ÖPNV ausgebaut, werden Arbeitsplätze geschaffen und Freizeitangebote initiiert. Doch wer das Urbane ins Ländliche holen will, bringt auch den Ballast mit: schlechtere Luft oder mehr Lärm etwa. Genau das, was man eigentlich vom eigenen Idyll fernhalten möchte. Dies zeigte sich etwa unter anderem in der Causa „Gewerbepark Praßreut-Winkeltrumm“. Ein Mittelweg wird hier immer ein umkämpfter, nie ein idealer Kompromiss sein können. Ruhe und Natur trägt schon allein im Namen, dass man bis zur nächsten Autobahn 45 Minuten fahren muss.

Wo viel ist, sammelt sich noch mehr an

Langfristig gesehen werden mehr Menschen von der Peripherie in die Stadt ziehen. Wo viel ist, sammelt sich noch mehr an. Firmen bauen ihre Produktionsstätten bevorzugt in der Nähe von Universitäten und Fachhochschulen sowie an Orten, die öffentlich gut angebunden sind. Menschen ziehen vor allem dorthin, wo es Arbeit gibt und schon viele andere Menschen wohnen. Diese Tendenzen sind selbstverstärkend.

Außerdem geht sowohl hierzulande als auch weltweit der Anteil der Beschäftigten im landwirtschaftlichen Bereich rapide zurück – während gleichzeitig der Dienstleistungssektor anwächst. Entsprechend hat sich auch das Bildungsniveau der Deutschen verändert: Immer mehr Heranwachsende machen Abitur oder einen akademischen Abschluss. Alles Gründe, wieso die Stadt als Arbeits- und Lebensmittelpunkt an Attraktivität gewinnt. Die Liste der Gründe, wieso Städte wachsen und Dörfer schrumpfen, ist lang. In Zahlen ausgedrückt zeigt sich das Ausmaß der Entwicklung: Lebten 1950 noch rund 70 Prozent im nicht-urbanen Raum, sind es aktuell weniger als die Hälfte. Bis 2050, so eine aktuelle Prognose, leben mehr als zwei Drittel der Menschheit in Städten. 

Johannes Greß


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