Einst wurde er als Sänger von Gitarren-Genie Steve Vai bekannt, er sang etwa auf dessen Erfolgsalbum „Sex & Religion“. Der kanadische Ausnahmemusiker startete dann die eigene Karriere, indem er mit dem Projekt „Strapping Young Lad“ erste, wahrlich ohrenerschütternde Industrial-Metal-Werke veröffentlichte. Dem folgten ab 1997 zahlreiche Platten unter verschiedenen Projektnamen, die mal mehr, mal weniger verrückt, musikalisch allerdings immer irgendwie hochwertig waren. Man muss jedoch schon in der Lage sein, sich komplett auf die Musik von Devin Townsend einzulassen, denn zum oberflächlichen Nebenbeihören taugen die Alben eher nicht…
…auch wenn es einem immer wieder grandiose und breitwandepische Melodien etwas leichter machen. Jetzt hat er mit „Empath“ sein insgesamt 21. Solo-Album veröffentlicht. Und auch hier schwankt der Hörer wieder zwischen den Extremen: Der Typ hat sie doch nicht alle. Und: Was für eine unfassbar geniale Musik ist das nur! Dazwischen geht es offensichtlich nicht…
Was hat der Meister sich hierbei nur wieder gedacht?
Das Intro „Castaway“ ist dabei noch recht simpel gehalten, Kirchenchöre und eine schön-entrückte Gitarrenmelodie machen einem den Einstieg leicht. „Genesis“ und „Spirits Will Collide“ sind ihrerseits ebenso zugänglich, auch wenn in ersterem immer wieder garstige Keif- und Blastspeed-Attacken erklingen, die einen aufgucken und schmunzeln lassen. Genau wie die vertrackten Rhythmen, die dem Gehirn ein wenig Schmalz abverlangen. Aber dafür entschädigen die Melodien, diese wundervollen Melodien, die man zwar nicht direkt mitsingen kann, die einen aber schon tief im Inneren berühren. Keine Ahnung letztlich, wie Townsend das schafft – aber so ist das eben mit Genies.
Und in dieser Tour geht es auf dem 71-Minüter weiter. „Evermore“ galoppiert wie ein junges Fohlen über die Wiese, während wieder Chöre den Gesang übernehmen. Ob „Sprite“ etwas mit dem gleichnamigen Brause-Getränk zu tun hat, entzieht sich der Kenntnis des Autoren – entrückt und sphärisch, sperrig und eingängig zugleich sowie in jedem Falle zwingend ist auch dieses Stück. Eine furiose Achterbahnfahrt mit Blastbeats, die sich in zuckersüßem Gastgesang der zauberhaften Anneke van Giersbergen und Chad Kroeger – ja, der von Nickelback – einen schwer fassbaren Kontrapunkt sucht. Wie gut, dass sich das Ganze einmal mehr in einen Stadionrefrain auflöst.
Vogelgezwitscher, Streicher und einen beinahe operettenhaften Gesang von Townsend bietet dann „Why?“ – ein Song, der den Ohren guttut, weil er doch sehr zärtlich und beinahe zerbrechlich daherkommt. Bei dem man sich aber dennoch fragt: Was hat der Meister sich hierbei nur wieder gedacht? Vor allem dann, wenn sich in diese Idylle deathmetallisches Gegrowle verirrt. Und spätestens hier ploppt der Name Frank Zappa auf. Doch wenn man es bis dahin nicht geschafft hat, sich auf „Empath“ einzulassen – dann dürfte es ohnehin zu spät sein.
Es muss nicht immer ein Ferrari oder eine Motoryacht sein
„Borderlands“ ist ein Elfminüter, in dessen Spielzeit sich derart viel ereignet, dass die Zeit wie im Flug vergeht. Dann folgt das „Requiem“, das in rund zwei Minuten derart viel klassischen Gesangspathos verpackt hat, dass es eine wahre Freude ist. Ein schöner Auftakt und Ruhepol, ehe es mit dem 23-minütigen Abschluss-Song „Singularity“ noch einmal auf einen Parforce-Ritt durch das mit Sicherheit hochinteressante Gehirn Townsends geht. Wie man gelesen hat, ist „Empath“ eine Art Herzensangelegenheit sowie tongewordene, durchlebte Midlife-Crisis für den Kanadier. Es muss also nicht immer ein Ferrari oder eine Motoryacht sein… Fazit: „Empath“ ist fraglos anstrengend – belohnt den mutigen Hörer aber reichlich.
Wolfgang Weitzdörfer
- VÖ: 29. März 2019
- Label: InsideOut Music/Sony Music
- Songs: 10
- Spielzeit: 71:10 Minuten
- Preis: ca. 20 Euro