Am 8. April war Internationaler Tag der Roma. Bereits zum 29. Mal. Das weiß nur kaum jemand. So wie man über die Volksgruppe der Roma, laut Europarat immerhin mit zehn bis zwölf Millionen Angehörigen die größte Minderheit Europas, überhaupt nur wenig weiß. In der öffentlichen Wahrnehmung rangieren die Roma meist zwischen hinterlistigen Klein-Kriminellen und talentierten Musikern – dazwischen ist landläufig nicht viel Platz. Dabei wäre es – nach mehr als 700 Jahren – längst an der Zeit, viel mehr über diese Volksgruppe informiert zu sein.

Schriftsteller Michael Köhlmeier (v.l.), Miriam Karoly (stv. Vorsitzende des Österreichischen Beirates der Roma), Romani Rose (Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Roma und Sinti), Ursula Hemetek (Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie, Universität Wien), Robert Gabris (freischaffender Künstler, Slowakei) sowie Michael O’Flaherty (EU-Agentur für Grundrechte) bei einer Podiumsdiskussion im ORF-Radiokulturhaus in Wien. Foto: Da Hog’n

Bis ins 15. Jahrhundert kann Romani Rose seine Vorfahren zurückverfolgen – allesamt „Deutsche“. Trotzdem werde er immer wieder danach gefragt, woher „er“, seine „Gruppe“, denn komme. Rose ist einer der bekanntesten deutschen Bürgerrechtsaktivisten, Mitbegründer und seit 1982 Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma – „und seit 600 Jahren Deutscher“. Rose, der sich vielmehr als „Deutscher“ sieht denn als „Roma“, beklagt auf einer Podiumsdiskussion anlässlich des Internationalen Tags der Roma in Wien, dass die Minderheit der Roma in ganz Europa nach wie vor mit Stigmatisierung, Ausgrenzung und massiver Diskriminierung zu kämpfen hat. Dies habe auch damit zu tun, dass viele gar nicht wüssten, was „die“ Roma eigentlich sind.

Roma: Unsichtbar – und mitten unter uns

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Aber: Wer sind „die“ Roma eigentlich? Wie unterscheiden sie sich von „den“ Sinti? Welche Sprache sprechen sie? Wie nennt man ein weibliches Mitglied der Roma? Wie kann es sein, dass eine Volksgruppe in so derart prekären Verhältnissen lebt – und es trotzdem keinen Aufschrei gibt? Dass jede und jeder vom Holocaust spricht – aber keiner von Porrajmos? Dass selbst in vermeintlichen Qualitätsmedien immer wieder von einem quasi-essenzialistischen „Roma-Sein“ die Rede ist, was dann nicht selten mit „Kriminalität“ gleichgesetzt wird? Dass beim Wikipedia-Eintrag zu den Roma ernsthaft nach „Herkunftshypothesen“ gefragt wird? Wie kann es sein, dass Menschen, die seit Jahrhunderten mitten unter uns leben, so unsichtbar sind?

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Auf einige dieser Fragen gibt es einfache Antworten: „Die“ Roma gibt es nicht. Genauso wenig wie es „den“ Bayer oder „die“ Mercedes-Fahrerin gibt. Sinti sind eine Teilgruppe der Roma. Roma sprechen Romanes und weibliche Mitglieder heißen Romni (Mehrzahl Romnija). Für alle übrigen Fragen – sowie viele weitere – sind die Antworten weitaus komplexer.

In den europäischen Geschichtsbüchern klafft eine Lücke

Robert Gabris, freischaffender Künstler aus der Slowakei, beklagt, dass die Roma „Teil der europäischen Geschichte sind – doch diese Geschichte wurde ohne uns geschrieben“. In den Geschichtsbüchern klaffe eine Lücke, die mehr als zehn Millionen Menschen verschweigt – als wären sie nicht da und nie dagewesen. Im Bayerischen Lehrplan für Geschichte findet sich über die Roma kein Wort. In den europäischen Museen der National-Geschichte eines Landes sind die Roma – wenn überhaupt – oftmals nur eine Randnotiz wert. Der Begriff „Antiziganismus“ sorgt nur allzu oft für Stirnrunzeln – was sich wohl am deutlichsten in der Debatte um das „Zigeunerschnitzel“ zeigt.

Angesichts der prekären Lage der Roma spricht Michael O’Flaherty, Direktor der EU-Agentur für Grundrechte, deshalb auch von einer „Apartheid“ – vergleichbar mit dem gleichnamigen rassistischem System der Rassentrennung in Südafrika -, die sich in Europa bereits über Generationen etabliert hat. „Anti-Gypsy“ zu sein, wie O’Flaherty mit rauem irischem Akzent betont, sei „the only acceptable form of racism in Europe“ – also die einzige Form von Rassismus, die nach wie vor einfach so hingenommen werde. Roma sehen sich täglich gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt, leben oftmals zusammengepfercht in Ghettos und werden mit struktureller Diskriminierung konfrontiert. Die Situation sei „outrageous“ – abscheulich.

Wollen nicht nur als „Opfer“ betrachtet werden

„Manche Bürger in diesem Land“, betont auch Rose, „haben mit Tieren mehr Mitleid als mit Roma“. Dennoch wolle er, dass seine Volksgruppe nicht ständig nur in der Opferrolle gesehen werde. Schon gar nicht möchte er einzig an seiner „Roma-Identität“ gemessen werden. Dass es seit 1971 – dem Jahr, als die erste Internationale Roma-Konferenz stattfand – eine eigene Roma-Hymne und -Fahne gäbe, sei durchaus begrüßenswert. Wohler, verbundener fühle er sich dennoch mit „Einigkeit und Recht und Freiheit“ sowie den Farben Schwarz-Rot-Gold.

Seitdem in den vergangenen Jahren vermehrt Menschen aus Kriegsgebieten, verarmten und totalitären Staaten Zuflucht in Europa suchen, gehe eine Welle der Solidarität durch den Kontinent. Menschen engagierten sich, teilten Essen aus, spendeten Kleidung und gaben Deutschunterricht. Unzählige Demonstrationen – für mehr Solidarität, gegen Abschiebungen und das Morden im Mittelmeer – finden und fanden im ganzen Land statt. Zehn bis zwölf Millionen Roma leben jedoch auch in Europa, in oftmals menschenunwürdigen Zuständen: „Why do we not have the same outrage?“ , fragt O’Flaherty. Wieso gibt es hier nicht dieselbe Empörung? Wieso keine Demonstrationen? Wieso weit weniger solidarisches Handeln?

Der 8. April soll ein Tag zum Feiern sein

Ein Schritt in diese Richtung wäre es, das öffentliche Bewusstsein für Roma und ihre Lebenssituation zu schärfen. Roma nicht auf ihr „Roma-Sein“ zu reduzieren – und sie dennoch nicht in ihrer Lebensweise, Kultur und Sprache zu beschneiden; denn Integration und Inklusion waren schon immer Gratwanderungen. Museen, wie zum Beispiel in Heidelberg, braucht es im ganzen Land, in ganz Europa, fordert Rose. Bis zum Jahr 2005 dauerte es, bis das Europäische Parlament beschlossen hatte, dass „der Roma-Holocaust volle Anerkennung verdient“. Bis zum Jahr 2012 dauerte es, bis sich Berlin in Erinnerung an den Völkermord an den 500.000 Roma und Sinti im nationalsozialistisch besetzen Europa zu einem Denkmal durchringen konnte. Ein Armutszeugnis. Gerade in Zeiten, in denen rechte Populismen und „nationalsozialistische Metaphern“ wieder vermehrt den öffentlichen Diskurs bestimmen, brauche es diese Form der Bewusstseinsbildung, mahnt Rose. 

Für die mehr als zehn Millionen europäischen Roma sollte der 8. April ein Grund zum Feiern sein. Und kein Tag, an dem von früh bis spät über Ausgrenzung, Diskriminierung und Antiziganismus gesprochen wird. Und auch kein Tag, an dem über all das gesprochen werden muss. Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg. Denn diese Form der Apartheid, so O’Flaherty, sei nicht nur eine „Challenge“ für die Roma – sondern vor allem für den Rest der Gesellschaft.

Johannes Greß


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