Im Vergleich zum Jahr 1990 muss Deutschland zwischen 40 und 42 Prozent der klimaschädlichen Verkehrsemissionen einsparen. Dazu hat sich die Bundesrepublik im Pariser Klimaabkommen vertraglich verpflichtet. Und dafür hatte man nun unlängst eine eigene Verkehrskommission einberufen – bestehend aus Umweltverbänden, der Automobil-Lobby VDA und dem Bahn-Interessenverband „Allianz pro Schiene„. Mit dem Ergebnis: Die Kommission hat nur wenige Minimalkompromisse erzielt, „zu wenig, um die Klimaziele zu erreichen“ . Bundesverkehrsminister Anderes Scheuer (CSU) beteuerte, er wolle zusätzliche Belastungen für Pkw-Besitzer nicht hinnehmen – und setzt stattdessen auf Mädels in knackigen Outfits, die für Fahrradhelme werben. Zurecht darf man sich dabei fragen: Was macht der Verkehrsminister eigentlich den ganzen Tag?
Seit 17 Jahren sitzt der in Passau geborene Scheuer nun im Deutschen Bundestag, seit einem Jahr leitet er das Verkehrsministerium. Die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit hat seitdem doppelt so viel Budget zur Hand. 14 Personen sind damit beschäftigt, Facebook, Twitter und Instagram mit Frohbotschaften aus dem Hause Scheuer zu bespielen. Als Pressesprecher hat Scheuer übrigens Wolfgang Ainetter, einen ehemaligen Bild-Redakteur, angeheuert.
Lautstarke Provokation, leiser Rückzug
Und seitdem läuft die Scheuer’sche PR-Maschinerie: Schlagzeile um Schlagzeile, Spektakel um Spektakel. Lautstarke Provokation, leiser Rückzug. Als ein Tempolimit von 130 km/h auf deutschen Autobahnen zur Debatte stand, geißelte Scheuer diesen Vorschlag umgehend als eine Maßnahme „gegen jeden Menschenverstand“. Auch wenn 70.000 wissenschaftliche Studien die negativen Folgen von Feinstaub für den menschlichen Körper belegen, berief sich Scheuer auf ein Pamphlet von 112 Lungenfachärzten, das angeblich eine neue „Wahrheit“ ans Licht bringe. Feinstaub, das sei alles nur halb so wild, die Wirkung eines Tempolimits auf Autobahnen „fast bedeutungslos“.
Wie sich später herausstellte, hatte keiner der Unterzeichner jemals in der Wissenschaft gearbeitet. Für Scheuer war die Wortmeldung der Fachärzte dennoch ein „Beitrag zu Sachlichkeit und Fakten“. Im Februar revidierte Dieter Köhler, der Hauptautor der vieldiskutierten Stellungnahme, seine Behauptungen. So lautstark Scheuer das Pamphlet noch im Januar kommunizierte, so schweigsam waren seine Äußerungen im Februar.
Die eingesetzte Verkehrskommission ging am Dienstagmorgen nach 17-stündiger Verhandlung weitgehend ergebnislos auseinander. Knackpunkte seien vor allem eine verbindliche E-Auto-Quote, ein Bonus-Malus-System zur Bewertung der Klimafreundlichkeit von Pkw und – was sonst? – ein Tempolimit gewesen. Für den CSU-Minister sind zusätzliche Belastungen für Autofahrer offenbar ein rotes Tuch. Ein Fahrplan, wie man die Pariser Klimaziele im Verkehrssektor bis 2030 erreichen könnte, kam nicht zustande.
Selbst die deutsche Autoindustrie hat die Zeichen der Zeit erkannt
Wohl nicht ohne Grund durften just tags zuvor Scheuers Bikini-Mädels noch für mehr Sicherheit auf Fahrradwegen werben. 400.000 Euro kostete die von vielen Seiten als sexistisch eingestufte Plakatkampagne (ohne Fahrrad) in Zusammenarbeit mit der nicht weniger frauenfeindlichen TV-Show „Germanys Next Topmodel“. Statt auf Sachlichkeit setzt man im Verkehrsministerium lieber auf Emotionen, auf Entertainment und mediales Tam-Tam. Statt auf Klimaschutz-Maßnahmen konzentriert sich der Verkehrsminister lieber aufs Polarisieren, aufs Provozieren. Motto: Was zählt ist die Botschaft, nicht der Inhalt. Schlagzeilen statt Klimaschutz.
Dass mittlerweile selbst die deutsche Autoindustrie die Zeichen der Zeit erkannt hat und in den kommenden drei Jahren satte 60 Milliarden Euro in Elektromobilität investieren will, spricht nicht gerade für den Minister, der augenscheinlich keine zwei Sätze beenden kann, ohne dabei von „Zukunftstechnologien“ zu sprechen. Wie diese ominösen Technologien aussehen sollen, die den Planeten vor dem Kollaps bewahren, bleibt dabei im Verborgenen. Konkrete Vorschläge gibt es seitens des Ministers nicht. Der warnt lieber weiter fleißig vor einer „ständigen Gängelung“ der Pkw-Besitzer – oder präsentiert mit einem Riesen-Bohei Flugtaxis, die (noch) nicht fliegen können.
Verkehrsemissionen steigen weiter
Derzeit werden in Deutschland 98,4 Prozent der Autos mit Verbrennungsmotoren betrieben. E-Autos muss man einstweilen mit der Lupe suchen. Trotz vielfach angekündigter Verkehrswende sind die Emissionen im Mobilitätssektor im Vergleich zum Jahr 2010 sogar noch weiter angestiegen. Zwar fahren Lkw und Pkw immer effizienter, dies wird jedoch vom steigenden Verkehrsaufkommen wieder wett gemacht. Soll sich der Schadstoffausstoß der Bundesrepublik – wie im Klimaabkommen vorgesehen – bis 2030 tatsächlich um 40 Prozent verringern, wäre es jetzt an der Zeit (endlich) zu handeln. Seit 1990 hat sich an den Verkehrsemissionen jedoch so gut wie nichts verändert.
Ein mächtiger Hebel in Sachen Verkehrswende wäre beispielsweise der Ausbau des Schienenverkehrs. Seit 1990 wurde das deutsche Straßennetz um 40 Prozent ausgebaut, das Schienennetz ist seither um 20 Prozent geschrumpft. Dass sich, wie unlängst angedacht, die Fahrgastzahlen bis 2030 verdoppeln sollen, klingt ehrgeizig. Nur müsste sich jemand darum annehmen. Wer das machen soll, bleibt unklar. Verkehrsminister Scheuer hält lieber weiter nach „Zukunftstechnologien“ Ausschau.
Kommentar: Johannes Gress