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-Achtung: Satire-
Kino. In den allermeisten Fällen ist ein Besuch im Freyunger Cineplex eine entspannte Angelegenheit. Zurücklehnen. Jacke aus, Füße hoch, Bier auf, Popcorn rein, Film ab. Spaß! Was soll schon schiefgehen? Eigentlich nichts – ist doch die Zahl der potenziellen Störfaktoren denkbar überschaubar. Mag vielleicht ein Laie denken. Dann laden wir Sie nun ein, sich gedanklich in Schale zu schmeißen, sich mit dem Transportmittel ihrer Wahl ins nächstgelegene Kino zu begeben, um einen (fiktiven) Kinoabend zu erleben, den Sie wohl nie mehr vergessen werden…
Der Film selbst soll hier nicht weiter von Belang sein: Prinzipiell geht es um ein Boot, die maßlose Überschätzung der eigenen Fähigkeiten, einen Eisberg, etwas Liebe, etwas Sex, gescheiterte Existenzen, zum Schluss ein paar Tränen, Klappe zu, Film aus. Das Übliche – hinterlegt mit dramatischer Musik.
Schon jetzt wissen Sie: Statt einer Cola wird’s wohl doch ein Bier
Kinoschlange. Sie sind etwas spät dran. Die bloße Tatsache, dass sie vom Ende der Schlange aus noch nicht einmal den Ticketschalter sehen können, lässt Sie leicht nervös werden. Alles in Butter. Wichtiger ist, was hinter Ihnen passiert: Eine Mutter mit ihrem – nennen wir es – euphemistisch: Kind. Sie, die Mutter, macht schon nach rund zwei Minuten deutlich, wohin die Reise geht: Wat dönn dat hür so lange daurrö?, schalmeit es nun im nicht enden wollendem Akkord durchs Kino-Foyer. Zur Begeisterung aller Beteiligten. Schon jetzt wissen Sie, dass es statt einer Cola wohl doch eher ein Bier werden wird. Es wird noch etwa fünf weitere Minuten dauern, bis Sie auch von anderweitigen bewusstseinserweiternden Substanzen nicht mehr gänzlich abgeneigt sind.
Auch Chantal-Mandy, die trotz ihrer 1.20 Meter schon 62 Kilo schwere Lärm-Maschinerie, hätte gerne eine Cola. Ihre Mutter ist da aber anderer Meinung. Was Chantal-Mandy eher peripher tangiert, weshalb sie das Argument ihrer in Leopardenleggins gekleideten Mutter sodann geschickt entkräftet, indem sie einmal tief Luft holt und ihrem Begehren in einer Lautstärke Ausdruck verleiht, dass wohl auch in der Freyunger Innenstadt unmissverständlich deutlich wird, was die Dame denn gerne zu Trinken hätte. Das hat mit der hohen Kunst der Argumentation, des kontemplativen Diskurses nur wenig zu tun – zeigt aber seine Wirkung: Chantal-Mandy bekommt eine Cola. Und Popcorn. Und auch die Nachos – ja, mit Extra-Käse. Chantal-Mandy ist glücklich. Der Rest der Schlange hat ab sofort: Angst.
Schweiß, Vodka und das eiserne Gesetz des Cinematischen
Kinosaal. Auf Ihrem Ticket heißt es: Reihe 7, Platz 8. Mittig und sehr zentral, perfekt. Dachte sich auch der Herr von Reihe 7, Platz 9. Der nicht nur ein bisschen schwitzt, sondern sehr viel. Dessen Schultern, Hals und Kopf auf äußerst seltsame Weise ineinander zu fließen scheinen. Und der heute Morgen in Sachen Eau de Toilette wohl auf Wodka-Achselschweiß vertraut hat.
Werbung. Sie schlürfen genüsslich an ihrem Bierchen, essen ein paar Nachos, ziehen ihre Schuhe aus, lehnen sich entspannt zurück und denken irgend so etwas leicht Komisches wie „Relax-Time, Baby!“. Die Nachos sind natürlich – gemäß dem eisernen Gesetz des Cinematischen – noch während der Werbepause aufgebraucht. Genauso wie ihr Hopfen-Kaltgetränk. Was in Folgendem zu einem leichten Druck unterhalb der Magengegend führt – und sie die nächsten 90 Minuten mit der ständig wiederkehrenden, elendig quälenden, aber dennoch essenziellen Frage konfrontieren wird: Pinkeln – ja, nein? Pinkeln – ja, nein? Pinkeln – ja, nein? Pinkeln – ja, nein? Pinkeln – ja, nein?
„Ditsch“: A Life so Changed
Okay, die göttliche Gewalt des Harndrangs sollte dann doch die Oberhand behalten: Pinkeln. Sie verpassen dann während ihrer kurzweiligen Abstinenz auch nur wenig, so ein Kreuzfahrtschiff ist doch eher von träger Qualität. Ähnlich ihrem Sitznachbarn. Der Ihnen sukzessive unangenehm nahe kommt, im Laufe des Films immer näher – zu nahe. Irgendwann legt er seinen von einem wulstigen Hals nur mit Müh‘ und Not gestützten Kopf leicht schräg nach hinten, den Mund leicht geöffnet. Es folgt ein Geräusch, das vielleicht nicht ganz eindeutig als Schnarchen zu klassifizieren ist; nein, vielmehr der gezwungenermaßen unrhythmische Versuch eines animalischen Wiederkäuers, der jeden Moment droht zu einem ebensolchen zu werden, das zuvor zermampfte Popcorn also ein zweites Mal das (gedimmte) Licht der Welt erblickt. Der Gau bleibt aus.
Es folgt ein weiterer schnarchähnlicher Laut, gepaart mit einem leichten Zucken, das sodann die gesamte wabernde Masse des benannten Sitznachbarn in Schwingung bringt. Dessen schweißnasser Oberarm reibt nun erotisch-rhythmisch an dem Ihrigen – nicht nur die Passagiere des verunglückten Kreuzfahrtschiffes sollten an diesem Abend mit etwas Nässe konfrontiert sein. Während Leonardo DiCaprio und Kate Winslet gerade ans Eingemachte gehen, scheint ihr werter Sitznachbar dasselbe im Sinn zu haben. Auf seine Art. Im Augenwinkel beobachten Sie, wie ein sich zu einem länglichen Tropfen formierendes Spucke-Schleim-Rotz-Gemisch langsam die Mundhöhle des Eigentümers verlässt und in Zeitlupe verzweifelt versucht den Gesetzen der Schwerkraft zuwider zu laufen, letzten Endes jedoch kläglich scheitert – und mit einem leichten „Ditsch“ auf ihrer Schulter auftrifft. Es läuft A Life so Changed.
Was dem Heiligen Martin der Mantel, Ihnen die Stricksocken!
Abgesehen von Ihrem in Vodka-Achselschweiß getränkten Aufriss teilen auch noch andere Besucher diesen unvergesslichen Kinoabend mit Ihnen. Unter anderem: Ein Handy. Nicht das Handy eines Kinobesuchers. Einfach nur ein Handy. Und das tüdelt. Laut. Und die ganze Zeit. Es nervt. Und es tüdelt. Der Besitzer hat wohl gerade gegenüber der göttlichen Macht des Harndrangs klein beigegeben. Auch das Fleischpaket, das es sich seit 30 Minuten auf Ihrer Schulter bequem gemacht hat, ist nun wieder wach. Gemeinsam teilen sie den Hass auf Nokia. Oder besser: auf das musikalische Defizit jenes Mitarbeiters, der für die Klingeltöne dieses tüdelnden Wunderwerks verantwortlich ist.
Und apropos tüdelndes Wunderwerk: Da auch Chantal-Mandy, die eine Reihe hinter Ihnen sitzt, langsam die Grenzen ihrer Geduld erreicht sieht, holt auch diese schon mal zum Protestschrei aus – kickt dabei jedoch das zu ihren Füßen stehende Cola um – was nicht gerade zu ihrer eigenen Beruhigung beiträgt, jedoch dazu, dass sich ein dunkel-klebriges Zuckergebräu langsam seinen Weg Richtung Leinwand bahnt. Wie gut, denken Sie, dass ich heute meine Stricksocken trage. Socken, die jene 400 Milliliter Cola im Handumdrehen in sich aufsaugen und somit die restlichen Kinobesucher vor weiteren Negativfolgen bewahrt. Jeden Tag eine gute Tat. Was dem Heiligen Martin der Mantel, Ihnen die Stricksocken!
Unverhofft kommt oft…
Der Film neigt sich langsam dem Ende zu. Gemächlich ziehen Sie Ihr Schuhwerk wieder an – wobei die Kombination Stricksocken, Zuckergebräu, Schuhwerk in Sekundenschnelle eine Haftwirkung erzeugt, die wohl jeden Industrie-Kleber vor Neid erblassen lässt. Egal. Mit einer lässigen Handbewegung wischen Sie noch den letzten Rest Schleim von Ihrer Schulter – und müssen dann zu allem Überfluss auch noch feststellen, dass das verdammte Schiff am Ende auch tatsächlich untergegangen ist. Welche Tragödie. Merke! Auf Kreuzfahrten wie bei Kinobesuchen gilt: Unverhofft kommt oft. Sie haben zwar nasse Socken, aber wenigstens wurden Sie an diesem Abend nicht von Leonardo DiCaprio verlassen…
Johannes Gress
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