Waldkirchen. Sie marschieren zu Fuß den Berg hinauf, denn einen Lift brauchen sie nicht: Auch im Bayerischen Wald sind mittlerweile zahlreiche Skitourengeher unterwegs. Das Problem: Vielerorts sind sie nicht unbedingt gern gesehene Gäste. Denn auf Skipisten und in Liftschneisen könnten sie mit Skifahrern oder Pistenfahrzeugen kollidieren, zudem im Wald die Wildtiere stören. Eine Clique begeisterter Skitourengeher aus Waldkirchen fragt sich nun: Wo können wir unseren Freizeitsport eigentlich noch guten Gewissens betreiben?
Der Winter 2018/19 war nahezu perfekt: Der erste Schnee fiel bereits Anfang Dezember, im Januar waren auf den Bayerwald-Bergen bis zu zwei Meter der weißen Pracht vorhanden. Einfach ideal, wie Andreas Stadler findet. Der 35-jährige Waldkirchener geht seit fünf Jahren regelmäßig mit seinen Brettln auf Tour. Dabei schnallt er sich statt Skiern ein so genanntes Splitboard unter die Füße: Um den Berg hinauf zu kommen, zerlegt („splittet“) man dieses in zwei Teile, die wie Skier aussehen. Oben angekommen, werden sie wieder zum Snowboard umfunktioniert und zusammenmontiert.
„Würden natürlich bezahlen, wenn wir die Pisten nutzen dürften“
„Die ersten Schwünge machen die meisten Tourengeher der Region im benachbarten Skigebiet Hochficht in Oberösterreich, noch bevor dieses offiziell seine Tore öffnet“, erzählt Stadler. Das liege am dort frühzeitig aufbereiteten Kunstschnee. „Eigentlich ist es aber verboten: Tourengeher sind nicht willkommen – aus versicherungstechnischen Gründen, sagt der Betreiber.“ Laut Stadler ist es bereits zu Anzeigen gegen einige Freizeitsportler gekommen. Diese seien jedoch wieder eingestellt worden. Da es vor allem zu Beginn des Winters so gut wie keine Alternativen gebe, würden dennoch viele dort ihre ersten Touren in Angriff nehmen. Der halbe Parkplatz sei an manchen Tagen gefüllt, sagt Stadler, obwohl die Lifte noch gar nicht laufen. Dem Onlinemagazin da Hog’n gegenüber möchten sich die Verantwortlichen des Hochfichter Skigebiets nicht äußern zu dieser Thematik.
Andreas Stadler versteht nicht so recht, warum die Betreiber kein Geschäft mit den vielen Tourengehern machen. „Wir würden natürlich etwas bezahlen, wenn wir ganz legal die Pisten oder ausgeschilderte Wege nutzen dürften“, sagt der Waldkirchener. In den österreichischen Alpen gestalte sich die Situation anders als im Unteren Bayerischen Wald: Hier gebe es oft Regelungen für die Trendsportler: Sie kaufen sich am Parkplatz ein Tourengeher-Ticket für ausgeschilderte Wege. Preis: zwischen zwei und 15 Euro. Wer die Wege nutzen möchte, ohne ein Ticket zu bezahlen, dem droht Strafe. „Es gibt genaue Hinweisschilder, was erlaubt und was verboten ist“, weiß Stadler. Die Wintersportler würden sich an diese Vorgaben halten. „Wir wollen ja gar keine Tiere stören oder uns irgendwelchen Gefahren aussetzen“, betont Andreas Stadler. „Aber im Bayerischen Wald gibt es eben oft keine andere Möglichkeit, wenn man diesen Sport betreiben will.“
Tourengeher-Hotspot Dreisessel: Wie lenkt man den Massenansturm?
Auch an einem weiteren Hot-Spot für Tourengeher gibt es Probleme: am Dreisesselberg. „Die Gemeinde Neureichenau macht zwar schon seit einigen Jahren aktiv Werbung für den Wintersport am Dreisessel ganz ohne Liftanlage – wenn das Angebot aber wirklich angenommen wird, rufen man den Notstand aus“, kritisiert Andreas Stadler. In diesem Winter kam es an sonnigen Wochenenden häufig zu einem regelrechten Ansturm auf den Gebirgskamm. Die Krux dabei: Straßen und Parkplätze sind an wettermäßig guten Tagen überlastet und die vielen „wilden“ Tourengeher beeinträchtigt den Wildbestand. Die Folge: „Wieder ein schlechtes Gewissen bei uns“, resümiert Stadler.
An einer Lösung werde im Dreisessel-Fall bereits gearbeitet. Die Gemeinde Neureichenau und der Waldverein haben beim Landkreis angeregt, dass wieder ein Bezahlsystem für den Parkplatz wenige Höhenmeter unterhalb des Gipfels eingeführt werden soll, wie Baptist Resch berichtet. Er ist Gemeinderat, zweiter Vorsitzender des Waldvereins und selbst begeisterter Skitourengeher. „Der unkontrollierte Zugang zum Berg ist eine Negativ-Werbung“, sagt er. Deshalb arbeite man derzeit daran, die Anstürme auf den Dreisessel in geregelte Bahnen zu lenken.
Baptist Resch hat eine Vision: Eine Dreisessel-Card für die Nutzung des Berges, erhältlich an Automaten am Parkplatz oben am Berg, am Gasthof Dreisesselalm oder weiter talwärts in den Ortschaften Riedelsbach oder Lackenhäuser. Egal, wie man den Berg nutze – um Skitouren zu gehen, ihn auf Schneeschuhen zu erkunden, ihn zu Fuß zu bewandern oder einfach nur, um oben zu parken und den Berggasthof zu besuchen: Mit der Dreisessel-Card würde jeder einen kleinen finanziellen Beitrag dazu leisten, um die größere Ausgaben wie die Instandhaltung der Abfahrtspiste oder die Pflege der Wanderwege zu stemmen. „Ich denke da nur an einen kleinen Obulus“, so der Gemeinderat.
Skilift Oberfrauenwald: Keine Verbote, aber Bitten des Liftbetreibers
Und dann gibt es da noch den Skilift in Oberfrauenwald, der für die Tourengeher einen ebenso beliebten Treffpunkt darstellt. Oben am Berg wartet der Aussichtsturm, bei guter Schneelage ist die Abfahrt präpariert. „Auch hier ist durch den neuen Trendsport wieder mehr Betrieb entstanden – die Euphorie hält sich aber auch bei der Stadt Waldkirchen in Grenzen“, findet Andreas Stadler. Eine Hinweis-Tafel weist am Oberfrauenwald seit Kurzem darauf hin, dass zwischen 16 und 20 Uhr das betreten der Piste nicht gestattet sei. Der Grund: In diesem Zeitraum ist die Pistenraupe unterwegs.
„Während der Präparierung ist es lebensgefährlich, sich auf der Piste aufzuhalten“, erklärt Andreas Gründinger, Tourismus-Chef der Stadt Waldkirchen und Hauptverantwortlicher für den Skilift-Betrieb. Er weiß: „Diese Gefahr unterschätzt man leicht.“ Generell sei das Tourengehen im Bereich Oberfrauenwald jedoch nicht verboten: „Das Hinweisschild ist eine Bitte unsererseits. Allgemein untersagt ist es aber, während des laufenden Betriebs zwischen 9 und 16 Uhr mit Schneeschuhen oder Tourenskiern in der Lifttrasse nach oben zu gehen.“ Er hoffe dabei auf gegenseitiges Verständnis und ergänzt: „Strenge Verbote wollen wir gar nicht.“
Die Gefahr, mit Pistenraupe oder Skifahrern zusammenzustoßen, ist der eine Grund, warum die Freizeitsportler nicht uneingeschränkt am Oberfrauenwald willkommen sind. Andreas Gründinger weiß jedoch auch, dass das Skilift-Team es nicht gerne sehe, wenn Tourengeher abends die frisch gewalzte Abfahrt nutzen: „Die präparierte Piste soll nachts gefrieren“, erklärt er. „Wenn zahlreiche Tourenskiler zuvor Spuren hinein fahren, war die Arbeit des Pistenbullys umsonst.“
Viele Tourengeher würden dafür durchaus Verständnis zeigen. Andreas Stadler hofft trotzdem, dass man seitens der Stadt Waldkirchen im nächsten Winter mehr auf die Wünsche der Trendsportler eingehe: „Ich würde gerne auch unter der Woche im Winter abends mal eine Stunde Sport machen“, sagt er. „Vielleicht kann man ja in der nächsten Saison eine Möglichkeit finden, die Piste auch in den Abentstunden mal für die Tourengeher zu öffnen.“ Gespräche zwischen Tourismus-Chef Gründinger und den Skitouren-Anhängern habe es bereits gegeben.
Tourengeher haben Vorschläge, um die Situation zu verbessern
Die Tourengeher haben einen nachvollziehbaren Wunsch: Sie möchten ihren Sport auf ausdrücklich dafür vorgesehen Strecken ausüben. Sie haben kein Problem damit, für die Benutzung von beschilderten Wegen und präparierten Pisten Geld zu bezahlen. Sie halten sich auch an Regeln und Sperrzeiten. Solange es diese legalen Möglichkeiten jedoch so gut wie gar nicht gebe, ist aus Andreas Stadlers Sicht klar: „Dann machen eben viele was sie wollen.“ Sein Appell an die Liftbetreiber lautet deshalb: „Ich hoffe, dass alle Beteiligten einen Weg finden, von dieser tollen Sportart zu profitieren und der Wintersport in unserer Region den Schwung, den er gerade aufnimmt, nicht schnell wieder verliert.“
Die Saison ist fast zu Ende, nun bleibt ein halbes Jahr lang Zeit, sich auf den nächsten Winter vorzubereiten. Die im Raum stehenden Vorschläge und Ideen, um die Situation in der Region zu verbessern, sind: Erhebung von Parkplatzgebühren, Tourengeher-Tickets, offiziell angebotene Abende, an denen die Pisten genutzt werden dürfen, ausgeschilderte Aufstiegsspuren, Hinweis-Tafeln mit Verhaltensregeln auf erlaubten Routen und mit definierten Konsequenzen für das verlassen dieser Wege.
„In Österreich gibt es sogar manchmal Flutlicht auf den Pisten – ohne Liftbetrieb. Die gesamte Abfahrt steht dann den Tourengehern zur Verfügung“, berichtet Stadler begeistert. Gegen Bezahlung, versteht sich. Ob die Wünsche von ihm und seiner Mitstreiter in Erfüllung gehen, wird sich zeigen.
Sabine Simon