Jeder kennt sie, die Bilder von geschälten, in Plastik eingeschweißten Bananen. Oder Eiern. Oder Gemüsesorten aller Art. Der aktuellste Auswuchs: in Folie verpackten Butterbrezen. Es gibt diverse Verpackungssünden im Supermarkt – schlimmere und alltäglichere. Häufig sehen die Kommentare im Netz dazu so aus: „Die Verantwortung liegt beim Konsumenten. Und solange es die Leute kaufen, wird es einen Markt dafür geben“, schreibt etwa eine Facebook-Nutzerin. Ein anderer: „Der Kunde selbst hat es in der Hand solche Sachen verschwinden zu lassen. Nur mehr offenes Gemüse kaufen und die verpackten Sachen liegen lassen.“ Daher die Frage: Wer hat Schuld am Plastik-Problem? Der Verbraucher – also ich selbst? Kann ich mit einem umweltbewussteren Kaufverhalten tatsächlich die Welt retten?
Natürlich bin ich gegen Plastikmüll. Wer nicht? Ich könnte nun von meinem vorbildlichen Verhalten berichten: Dass ich seit Jahren so gut wie keine PET-Flaschen mehr gekauft habe, stattdessen meine Getränke aus Glasflaschen konsumiere. Dass ich auch Joghurt und Milch im Glas kaufe. Dass ich zum Metzger meine eigenen Dosen mitbringe. Meine Einkäufe an der Kasse nicht in Plastiktüten, sondern in Einkaufskörbe aus geflochtenem Weidenholz packe.
Der Konsumenten-Masse fehlt die nötige Selbstdisziplin
Aber ich will schonungslos ehrlich sein: Auch ich greife zu den so genannten „Quetschies“ für Kinder – Fruchtpüree in Wegwerf-Verpackung -, weil ich weiß, dass meine einjährigen Zwillinge dann zufrieden daran nuckelnd im Einkaufswagen sitzen, statt lauthals brüllend durch den Laden geschoben zu werden. Auch ich kann so manchem Schnäppchen beim Discounter nicht widerstehen – auch wenn die Sachen doppelt und dreifach in Plastik gehüllt sind. Auch ich fahre jede Woche eine große Tüte voller Plastikmüll zum Recyclinghof. Ich packe mich ganz öffentlich an der eigenen Nase: Meine Selbstdisziplin in Sachen Konsum reicht nicht aus, die schier allgegenwärtigen Verlockungen sind zu groß. Ich konsumiere nicht bewusst genug, lasse mich von der riesigen Auswahl verleiten, produziere damit Müll – und schade der Umwelt. Enorm. Und ich bin mir sicher: Den meisten geht es wie mir.
Häufig stehe ich obendrein noch vor einem anderen Dilemma: Wenn ich Plastik vermeiden und mein Obst und Gemüse unverpackt auf dem Markt kaufen will, muss ich als Haidmühlerin fast zwanzig Kilometer weit mit dem Auto fahren. Plastik gespart, aber die Umwelt mit Abgasen belastet – eine lupenreine CO2-Bilanz sieht gewiss anders aus. Als Kunde darf man eigentlich nur dann kein schlechtes Gewissen haben, wenn man es schafft, gleichzeitig plastikfrei, bio und regional einzukaufen. Den Nachhaltigkeits-Ritterschlag erhält, wer sich seine Lebensmittel auch noch in den Geschäften vor Ort besorgt und diese so am Leben zu halten versucht – vorausgesetzt natürlich, dass es innerorts überhaupt noch Geschäfte gibt…
Kein Moralapostel im Netz wird die große Masse der Konsumenten zum Verzicht aufrufen können. Den meisten Deutschen ist die Müllproblematik zweifelsfrei bewusst. Doch wenn wir sie lösen wollen, bevor unser Planet nicht mehr bewohnbar ist, darf nicht die Nachfrage die Sache regeln.
Rewe, Netto, Lidl und Penny agieren recht plakativ…
Sind es die Lebensmittelhändler, die in der Verantwortung stehen? Aktuell versucht Antje Naumburger mit ihrer Petition auf der Plattform „we act“ den Lebensmittel-Discounter Lidl dazu aufzufordern, bei den Herstellern umweltfreundlichere Verpackungen durchzusetzen. Mehr als 76.000 Menschen haben die Petition bis dato unterzeichnet. Aber: Was sagt Lidl dazu?
In einer ausführlichen Stellungnahme versucht die Pressestelle der Supermarkt-Kette auf Hogn-Nachfrage aufzuzeigen, was der Discounter bereits unternommen habe, um Verpackungsmüll zu vermeiden. Nur ein Beispiel: PET-Flaschen der Lidl-Eigenmarken würden zu 60 Prozent aus recyceltem Kunststoff bestehen. Hunderte Tonnen Kunststoff-Müll habe der Discount-Riese eigenen Angaben zufolge so bereits einsparen können. Ziel des Unternehmens sei es, den geschäftseigenen Plastikverbrauch innerhalb Deutschlands bis ins Jahr 2025 um zwanzig Prozent zu reduzieren.
Auch von den anderen großen Lebensmittelhändlern fordern wir eine entsprechende Stellungnahme an: Rewe, Netto und Penny schildern – ähnlich wie Lidl – sehr plakativ, wie viel sie bereits tun würden, um Müll zu reduzieren. Rewe etwa spare mittlerweile jährlich 7.000 Tonnen Kunststoffe ein – dies entspreche einer Folienfläche von 35.000 Fußballfeldern. Eine geplante Aktion des Unternehmens sehe ab April vor, Bio-Obst und Bio-Gemüse „weitestgehend unverpackt“ anzubieten, wie die Pressestelle mitteilt. Zunächst handele es sich jedoch nur um einen Test, der sich auf das Bio-Sortiment beschränke. Der Grund: „Letztlich ist die Funktion der Verpackung entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu betrachten.“ Lesart: Wo man einen Grund findet, die Verpackung zu rechtfertigen, werde es noch lange dauern, bis sich Alternativen finden…
Wattestäbchen und Strohhalme können nur ein Anfang sein
Die Antworten der Supermarkt-Ketten zeigen: Ein paar Unternehmen haben durchaus begriffen, dass der Kunde es nicht länger duldet, wenn durch seinen Einkauf zu viel Müll entsteht. Aber reichen 20 Prozent Plastik-Einsparung bei Lidl bis 2025 aus, um einen nachhaltigen Effekt zu erzielen? Nein! Reicht ein Pilotversuch im Biosortiment von Rewe dazu aus? Nein! Und was ist mit den restlichen Discount-Unternehmen, die auch nach mehreren Tagen nicht auf die Anfrage des Onlinemagazins da Hogn reagiert haben?
Für die Händler, so scheint es, steht trotz aller werbewirksam angepriesener Umwelt-Initiativen nach wie vor ein Faktor im Fokus: der Umsatz. Weil Kinder Obstpüree in Quetschbeuteln lieben, werden diese auch angeboten. Wer sie nicht im Sortiment hat, hat einen Wettbewerbsnachteil. Aus dem Sortiment der Lebensmittelhändler verschwinden Umweltsünden offensichtlich nur dann, wenn man sie (von Gesetzes wegen) verbietet. Erst dann herrschen für alle die gleichen Bedingungen: Sie müssen Alternativen finden. Siehe Wattestäbchen und Strohhalme.
Weil Konsumenten nicht bewusst genug einkaufen und Anbieter immer auch auf den Gewinn schauen, funktioniert effektive Müllvermeidung nur über Verbote. Die Politik muss sich trauen, noch viel mehr Entscheidungen zu treffen, die für die Wähler zunächst unpopulär sind. Wattestäbchen und Strohhalme können da nur ein Anfang sein. Wenn uns die Politik nicht dazu zwingt, wenn Politiker nicht endlich den Mut finden, noch viel mehr unnötiges Plastik zu verbieten, wird jeder so weitermachen wie bisher. Unsere Enkel und Urenkel werden es auszubaden haben.
Die Politik muss die Ideen nur aufnehmen und umsetzen
Wenn allerdings von jetzt auf gleich nicht mehr so viel Plastik verwendet werden darf, müssen möglichst schnell smarte Ideen her. Ideen wie die des 19-jährigen Amerikaners Benjamin Stern, der eine Methode entwickelt hat, Shampoo portionsgerecht in Kapseln zu verpacken, die sich in der Dusche auflösen, sobald sie mit Wasser in Berührung kommen. Shampoo-Flaschen könnten durch diese Erfindung bald nicht mehr nötig sein. Lösungsansätze und Ideen gibt es also bereits – die Politik muss sie jetzt nur noch aufnehmen und umsetzen (wollen)…
Sabine Simon