Drachselsried/Wolfsburg. „Wenn ich einmal groß bin, will ich Fußballprofi werden.“ Dieser Satz ist mit großer Wahrscheinlichkeit einmal jedem Buben in seiner Kindheit über die Lippen gegangen. Fast ebenso viele können heute sagen, dass es bei diesem Wunschtraum geblieben ist. Benedikt Bauer aus Drachselsried im Landkreis Regen zählt nicht zu ihnen. Er hat den Sprung geschafft – jedenfalls so gut wie. Nur hat er dabei selten Rasen unter den Füßen. Und Fußballschuhe hat er auch keine an. Er hält vielmehr einen Controller in der Hand – und misst sich, Blick Richtung Bildschirm, online mit anderen Fifa-Spielern. Nicht mit irgendwelchen Zockern, sondern mit den besten der Welt. Mittlerweile ist der 18-jährige Student beim VfL Wolfsburg unter Vertrag.

Benedikt Bauer (links) und Riad Fazlija: Beide schafften die Aufnahme in die eSports-Academy des VfL Wolfsburg. Foto: Bauer
„Hey, du bist doch der Fifa-Profi!“ Diesen Satz bekommt Benedikt Bauer mittlerweile auf so manchem Volksfest zu hören. Und dann darf er anfangen zu erklären: Was er denn da macht – und wie das denn funktioniert. Hier, „auf dem Land“, ist er mittlerweile so etwas wie eine kleine Sensation. Das Interesse an ihm und seinem Sport ist groß. Das Gespräch mit dem Hog’n sei mittlerweile ungefähr das zehnte Interview für ihn. Auch ein Fernsehinterview habe er bereits gegeben. Dass seine Sportart (genannt eSports) mittlerweile medial immer präsenter wird, begrüßt der 18-Jährige dabei sehr.
Spitzenfußball vom Wohnzimmersessel aus

Neben vier bis fünf Stunden Fifa-Training am Tag absolviert der 18-jährige Benedikt Bauer auch noch sein Studium. Foto: Bauer
Doch wie wird man eigentlich zum „Fifa-Profi“? Der Weg dorthin ist – wenig verwunderlich – sehr zeitaufwendig. Sowie eSports generell. Zunächst sei es „nur ein Hobby“ gewesen, erklärt Benedikt Bauer. Mit „Fifa 14“ habe er damals angefangen. Bei dem Videospiel, das jährlich in Form einer neuen Version auf den Markt kommt, wurde dann 2017 ein neuer Modus eingeführt: Ein Modus, bei dem man sich online – quasi in einer Art „virtuellen Liga“ – mit anderen, etwa gleich starken Spielern messen kann. Fußball vom Wohnzimmersessel aus also, jedoch auf hohem Niveau.
Dass man diesen Spaß auch professionell betreiben kann, habe er durch ein YouTube-Video erfahren: „Wie werde ich Fifa eSportler?“ lautet der Titel. Hochgeladen wurde der Beitrag von Benedikt Saltzer, einem der bekanntesten Gesichter in der Szene – und genau jenem Mann, von dem Bauer jetzt auch beim VfL Wolfsburg unterstützt wird.
In der niedersächsischen Stadt betreibt der VfL eine eigene E-Academy, eine Art Kaderschmiede für eSportler. Zwar haben neben dem VfL mittlerweile auch die Bundesligavereine Werder Bremen, Hertha BSC, FC Schalke 04, RB Leipzig und der VfB Stuttgart eigene eSports-Mannschaften. Die Wolfsburger sind jedoch bis dato die einzigen mit einer eigenen Akademie. Um dort aufgenommen zu werden, musste sich der 18-Jährige zunächst im Rahmen zweier Online-Turniere qualifizieren. Danach folgte die Endrunde, die „offline“ ausgetragen wurde. Offline heißt in diesem Fall: Während zwei Spieler gegeneinander spielen, sitzen sie im selben Raum.
„Danach hoffen wir das Beste“
Bauer setzte sich gegen seine Kontrahenten durch und wurde nach Wolfsburg eingeladen. Zum Fitnesstest. Mit dem Trainer der U-19 Mannschaft des VfL sei er dort zunächst auf die körperliche Verfassung hin geprüft worden. Da eSports-Events oftmals bis zu zehn Stunden dauern, so erklärt der 18-Jährige, sei eine gute mentale Verfassung das A und O. Dabei spielt eben auch körperliche Fitness und gesunde Ernährung eine wichtige Rolle. Im Anschluss wurde die Medienkompetenz der Anwärter getestet, etwa der Umgang mit Instagram oder Interview-Situationen. Nicht allein die spielerischen Fähigkeiten der Jungs entscheiden also über die Aufnahme, sondern ein Gesamteindruck aus spielerischer, körperlicher und medialer Kompetenz. Bauer wusste in allen drei Bereichen zu überzeugen. Neben Riad Fazlija und Julius Kühle ist der Drachselsrieder seither Teil der „Wolves E-Academy“.
Bis zum 16. Juni 2019 ist sein erster Vertrag nun befristet – und „danach hoffen wir das Beste“, erklärt Bauer. Sprich: Dass er nach der Academy als Profi unter Vertrag genommen wird – denn das sei alles andere als fix. Zwar beziehe er bereits jetzt ein Gehalt von seinem Verein. Um weiterhin für den VfL spielen zu können, muss er sich dennoch erst einmal beweisen. Und so gesehen ist der 18-jährige Student auf einem guten Weg: Er qualifizierte sich etwa für die Deutsche Meisterschaft.
FUT Champions Cup: Die Crème de la Crème des eSports
Und auch international durfte Bauer bereits ran. Erst im Dezember war der „Fifa-Profi“ in London, um sich beim FUT Champions Cup mit den besten Spielern der Welt zu messen. Das Turnier in der britischen Hauptstadt ist so etwas wie die Fußball-Championsleague der Fifa-Elite, also ein Event für die Cremé de la Cremé des eSports. Und auch eine bisher weitestgehend männlich dominierte Angelegenheit. Es gäbe zwar eine Frau in der virtuellen Bundesliga, aber „unter den weltbesten Spielern ist keine dabei“. In London sei der Drachselsrieder nach einem Sieg im ersten Match die nächsten Runden etwas „zu locker angegangen“, wie er heute zurückblickt. Im Entscheidungsspiel konnte er – gegen einen besonders starken Kontrahenten vom SV Werder Bremen – das Hinspiel mit 5:2 für sich entscheiden, flog dann im Rückspiel in der Verlängerung jedoch unglücklich raus. Dennoch „eine schöne Erfahrung“, wie Benedikt Bauer findet. Für den Sieger des Turniers in London gab es übrigens ein Preisgeld von 50.000 US-Dollar.
Neben hohen Summen, so erklärt der 18-Jährige, gehe es vor allem darum, Punkte zu sammeln – ähnlich wie in anderen Sportarten. Das Ziel: sich in einer Weltrangliste möglichst weit nach oben zu arbeiten. Die Allerbesten fahren zur Weltmeisterschaft, bei der eine Million Dollar Preisgeld auf den Gewinner warten. Für das Talent aus Drachselsried jedoch geht es im Februar zunächst nach Atlanta, USA, wo er an einem Turnier mit hochkarätigen Gegnern teilnehmen wird.
Plan B: Sportreporter
So ganz nebenbei hat Bauer auch noch ein Studium zu meistern. Seit Oktober 2018 studiert er Medientechnik an der Technischen Hochschule in Deggendorf. War es in Kindheitsjahren sein Traum Sportreporter zu werden, ist dieser Wunsch immerhin noch als „Plan B“ vorhanden. „Plan A“ jedoch, so erklärt der 18-Jährige, sei mittlerweile definitiv der Sprung in den eSports-Profikader, wobei sein Studium durchaus von Nutzen sein kann. Neben dem täglichen Umgang mit Sozialen Medien produzieren eSportler auch eigene YouTube-Videos – ein geschickter Umgang mit Kamera und Schnitt-Techniken kann dabei gewiss nicht schaden.
Etwas kürzer treten muss Benedikt Bauer mittlerweile beim „echten“ Fußball. Für seinen Verein, den SV Arnbruck, steht er mittlerweile nur noch selten auf dem Rasen – zu zeitintensiv ist der Umgang mit der Konsole. Neben dem Studium sind es von Montag bis Freitag täglich zwischen vier und fünf Stunden Training, die er vor dem Bildschirm zu absolvieren hat. An den Wochenenden spiele er dann meist im Rahmen von Turnieren regelmäßig bis zu acht Stunden pro Tag. „Da muss man schon motiviert sein“, zieht Bauer Bilanz. Bisher jedoch, so der Eindruck, hat der „Fifa-Profi“ alles andere als ein Motivationsproblem. Ob der Bayerwäldler den Sprung zu den Profis schafft, wird sich dann im Juni 2019 entscheiden…
Johannes Gress