Heute gibt es in unserer schönen Hog’n-Rubrik „Grenz’nlos“ mal etwas ganz Anderes – oder, um es mit den Worten des unsterblichen Monty Python auszudrücken: „And now for something completely different!“ Lesestoff – in Form eines Buchs über die Geschichte des New York Hardcore. Nun, genau genommen ist es die Geschichte des Roger Miret, seines Zeichens Sänger und Frontmann der sagenumwobenen NYHC-Institution „Agnostic Front“ , die 1982 von Vinnie Stigma gegründet wurde und diesen Musikstil (sowie Crossover und Metalcore) wie kaum eine andere Band geprägt hatte.
NYHC – ein Ventil, um Wut und Aggressionen loszuwerden
Miret selbst erzählt in „United & Strong“, das er zusammen mit dem Musikjournalisten Jon Wiederhorn im Rahmen vieler Interviewsitzungen ausgearbeitet hat, nichts anderes als sein Leben. Nun gut – das ist in der Regel bei Autobiographien so, aber es ist eben auch noch ein bisschen mehr: Nämlich der Augenzeugenbericht aus einer Zeit, in der New York ein nicht ganz unproblematischer Ort für unbedarfte Zeitgenossen gewesen sein musste. Und es ist die Geschichte eines ganzen Musikstils, der für Legionen von Kids aus problematischen Familien ein bestens geeignetes Ventil darstellte, um Wut und Aggressionen loszuwerden, aber auch um die Dinge verarbeiten zu können, mit denen sie in ihrem Alltag konfrontiert wurden.
Miret floh im Kleinkindalter mit seiner Familie vor dem Regime Fidel Castros aus Kuba in die USA. In 40 Kapiteln und auf 288 Seiten erzählt Miret, der Mann mit dem riesigen Kruzifix-Tattoo auf der Brust, von seiner schwierigen Kindheit, die durch das Aufwachsen in der Fremde und den gewalttätigen Stiefvater nicht einfacher wurde.
Er erzählt davon, wie die Musik ihn gerettet hatte. Zumindest zeitweise, denn da dieser neue, wilde und verrückte Musikstil, der New York Hardcore, nicht für den erhofften finanziellen Erfolg sorgte, musste er sich gezwungenermaßen auf die schiefe Bahn begeben, um die Familie zu unterstützen. Was den einen oder anderen Gefängnisaufenthalt, viele Schlägereien und jede Menge anderer Konflikte zur Folge hatte. Man mag es sich nicht vorstellen, wie es für den jungen Mann zuging, in diesem New York, das wie aus einem Film von Martin Scorsese wirkt. Und doch wird es lebendig, was auch durch die gute Übersetzung von Andreas Diesel ermöglicht wird, der einen sehr angenehm und schnell zu lesenden Stil hat.
Die Frage aller Biografie-Fragen: Wie viel davon stimmt?
Abgerundet wird das Buch, das sich tatsächlich flott und in einem Rutsch lesen lässt, durch jede Menge Fotos im Text sowie einen Block von Hochglanzaufnahmen in der Buchmitte – und nicht zu vergessen: durch zwei Vorworte, die ebenfalls sehr lesenswert sind. Das eine ist von Al Barr von den Boston-Irish-Punks „Dropkick Murphys„, das andere von „Hatebreed‚“-Chef Jamey Jasta.
Bleibt zum Schluss nur eines – und zwar eines, was ich mich bislang bei jeder Musiker-Biographie gefragt habe, die ich gelesen habe. Sei es die von Max Cavalera (Sepultura) oder auch die von Al Jourgensen (Ministry): Wie viel davon stimmt wirklich – und wie viel davon ist der Phantasie der Beteiligten entsprungen? Warum ich mich das frage? Weil so viele der Stories einfach zu abgedreht klingen, um wirklich passiert zu sein – und weil so oft Drogen oder Alkohol mit im Spiel gewesen sind, zumindest der Erzählung nach, dass man sich zurecht fragen darf, wie um alles in der Welt es da noch einen Funken von Erinnerung geben kann! Aber gut, wenn man das alles berücksichtigt, kann man sich mit „United & Strong“ ein paar sehr amüsante Stunden machen.
Wolfgang Weitzdörfer
- Autoren: Roger Miret mit John Wiederhorn
- Verlag: Iron Pages Books
- Seiten: 288
- ISBN: 978-3-940822-12-3
- Preis: 19,90 Euro