Freiheit, so hieß es zu Beginn des 20. Jahrhunderts, ist die Freiheit der Andersdenkenden. Heute bedeutet Freiheit, am Weihnachtsmarkt zwischen 14 verschiedenen Glühwein-Sorten aussuchen zu dürfen. Wahlweise mit Schuss, Orangen oder Nelken. Apfel-Himmbeere oder veganer Eierpunsch (ja, den gibt’s!). Freiheit, das ist die Wahl zwischen Bratwurst „scharf“ und Bratwurst mit Senf, vegan, glutenfrei oder fettarm. Und Freiheit, ja, ist nicht zuletzt das Recht, jedes Jahr aufs Neue unterm Lametta-Gestrüpp eine neue Schachtel mit einem Apfel darauf hervorziehen zu dürfen. Freiheit, das ist unbegrenztes Datenvolumen – und zwölf statt bisher zehn Megapixel!!
Aber halt! Unsere zivilisierte Welt besteht nicht nur aus Konsum! Auch gespendet wird von uns ach so selbstlosen Wohltätern jedes Jahr um diese Zeit. Für die Armen und Minderprivilegierten. Für die Ausgestoßenen und Zurückgebliebenen. 20 Euro für die Caritas! Bereits das fünfte Jahr in Folge. Löblich, nicht wahr!?
„Wenn die Regale voll und die Herzen leer sind, wenn äußerer Wohlstand innere Verwahrlosung bedeutet, dann bleiben wir Gefangene unserer selbst“, schrieb Philip Kovce unlängst an dieser Stelle. Wie praktisch, dass mittlerweile auch dieses Dilemma, diese elende, diese quälende Leere mit etwas List behoben werden kann. Denn auch für dieses Vakuum ist die Füllung nicht weit – und quasi käuflich erwerblich: Sinnvoll schenken, sinnvoll spenden, wie praktisch. Für den motivierten Wohltäter gibt’s gar den Charity-Guide „Besser Spenden!“ für „nachhaltiges Engagement“ – zu kaufen.
Heute im Angebot: Die Rettung des Pandabärs!
Und so wühlen wir dann weiter, an jedem Arm zwei Taschen, Ellbogen seitlich rausgestemmt, durch die Fußgängerzonen und Shoppingmalls dieser Welt rudernd. Irgendwie gestresst – in dieser „geruhsamen“ Adventszeit. Auf der Suche nach Freiheit, die wohl irgendwo zwischen H&M und Apple-Store versteckt sein muss. Oder auf Amazon. Die besten Erfolgsaussichten – das ist fix – hat das gemeine Konsum-Subjekt am sog. Black Friday – jenem Feiertag des Kaufrausches, dem Walhalla der Konsum-Abstinenz, an dem selbst den Knausrigsten unter uns der Reiz des Merkantilismus durch die Glieder zuckt. Rabatte, Rabatte und Sale, Sale! Nicht zwecks Zweck – zwecks Verfügbarkeit und Niedrigpreis! Freiheit eben – ich darf, weil ich kann.
Fast etwas frevelhaft wirkt da dieses kleine Negerlein, das – ausgerechnet auf dem Weg von Saturn zu Media Markt – so erbärmlich dreinschauend auf dieser Plakatwand durch den Dreck wühlen muss. Versaut einem – so ist man zumindest fast geneigt zu denken – etwas das zuvor mühevoll präparierte Einkaufsgemüt. Ein Schelm, wer so denkt! Der Weggesandte des schlechten Gewissens, vulgo der Spendensammler, steht – wie praktisch! – dann auch schon ums Eck und klingelt mit der Kasse. Heute im Angebot: Die Rettung des Pandabärs, Blindenstöcke für Waise in Ost-Burundi und – ganz neu – eine Unterstützungserklärung für den „Verein kariesgeplagter Sinti – Sektion Ostpommern“. Für jeden was dabei!
Man muss wohl neidlos anerkennen, dass es ein Kapitalismus schafft, selbst das eigene Unwohlsein, den Verlust der Authentizität, die Suche nach dem verloren gegangen Sinn, zu befrieden – und am Markt feilzubieten. Und dann wird ein Yoga-Kurs gebucht – oder ein Buch über Achtsamkeit im Alltag gekauft. Ganz weit vorne dran: Lebensberater à la „Nimm das Leben in die Hand – Sich selbst coachen, beraten und in die Freiheit führen“. Dieses Unbehagen, das da beim munt’ren Rumgeshoppe oder der Ausübung täglicher Schaffenskraft zumindest für Sekundenbruchteile durchs eigene Gewissen huscht, selbst das kann – mit dem passenden Kurs, dem richtigen Buch oder der rechten Spende – locker-flockig beseitigt werden. Bezahlt werden will es halt. Aber die leere Hülle des Konsums mittels Konsum mit Sinn zu füllen – das hat eben seinen Preis.
600 Milliarden Dollar jährlich für Diäten
Das Gegenteil von gut, so schreibt der Soziologe Daniel Rössler, ist immer noch gut gemeint. Nicht die mangelnde Spendenbereitschaft ist das Problem (diese ist ohnehin eine deutsche Königsdisziplin). Vielmehr diese Unwilligkeit auch nur mal einen Moment inne zu halten, um über die eigene Lebensweise nachzudenken. Oder warum gibt es einen „Black Friday“ und keinen Konsumabstinenz-Thursday? Jeden zweiten Samstag eine „Lange Nacht des Shoppings“, aber Bürgerkriegsstimmung beim Gedanken an einen „Veggie-Day“. Nur mal als Beispiel, als kleine gedankliche Anregung: Knapp 195 Milliarden Dollar würde es benötigen, um den derzeit rund 800 Millionen Hungernden auf dieser Welt zu helfen. Knapp 600 Milliarden jährlich geben wir für Diäten aus. Nicht gerade ein Zeichen dafür, dass wir uns auf dem Weg der Erleuchtung befinden.
In einer sogenannten Wohlstandsgesellschaft wie der unsrigen ist die Konsum-Souveränität eine heilige Kuh. Sich mal etwas gönnen, einmal etwas leisten, weil man es sich verdient hat. Wahrhaft glücklich sein kann doch ohnehin nur jener, der beim Kauf eines Apfels zwischen acht Sorten aussuchen darf.
Doch so ein leichtes Unwohlsein beschleicht einen dann doch bei all‘ dem Konsumwahn. Das hemmungslos Materialistische, das kann’s doch auch nicht sein. Wo bleibt da der Sinn? All‘ die Waren, all‘ die Güter, die reinste Materialschlacht. Mag da einer am anderen Ende der Weihnachtsgans hervornuscheln…
Maria, Josef und die befleckte Unempfägnis
Gewiss, gewiss. Doch auch derlei Gewissensbisse können – Akkumulationsmaschinerie sei Dank! – dieser Tage effizient behoben werden. Weiter wie bisher, nieder mit moralistischen Hemmungen aller Couleur! Auch Gewissensbisse werden mittlerweile am Markt feilgeboten. Nachhaltig konsumieren, so mag man zunächst denken, trage etwas Oxymoronartiges in sich. Nein, werte Kunden! Dieser Apfel aus Chile ist fair, nachhaltig und nicht zuletzt biozertifiziert! Koffeinfreier Kaffee, zuckerfreie Torten, alkoholfreies Bier: Indem man die Produkte ihrer Essenz beraubt, ist auch die letzte Hürde in Richtung Immer-Mehr aus dem Weg geräumt.
Die gewalttätigen Strukturen, die eine solche konsum-fetischisierende Gesellschaft am Leben erhalten, werden dabei nur allzu gern in einen Mantel des Schweigens gehüllt. Trotz diverser Labels, Zertifikate und garantiertem Seelenheil will so eine Ware (billig) hergestellt und (um den Globus) transportiert werden. Dieses Regime der Ungerechtigkeit im Nachhinein mit chirurgischen Eingriffen zu kaschieren, ist so etwas wie der Ablasshandel des Spätkapitalismus. Mit dem Unterschied, dass das Paradies doch nach Möglichkeit schon im Diesseits erreicht werden möchte…
Vor 2018 Jahren kam ein Kindlein in einem Stall zur Welt. Darf man der Story mit der unbefleckten Empfängnis Glauben schenken, kann man nur sagen: Respekt, Maria! Trotz aller Widrigkeiten! Ehrlich, im Jahr 2018 wäre Jesus nie geboren worden. Ganz getreu dem Motto unserer Zeit „Erstmal richtig austoben und hinterher nachbessern“ wäre das Christentum nie über Samengröße hinausgekommen: Das ganze Unterfangen wäre bereits an der Pille danach gescheitert. Der gute Josef hätte anschließend noch 15 Euro an „Vier Pfoten“ gespendet, sich mit den Heiligen Drei Königen ein paar Becher veganen Eierpunsch reingegossen – und im Jahr 4018 wird man sich an dieses Happening als die befleckte Unempfängnis erinnern – oder auch nicht.
Johannes Gress