Es ist spätabends, dunkel. Sie biegen in eine schlecht beleuchtete Gasse ein, ein paar zwielichtige Gestalten mustern Sie auffällig. Einer davon folgt Ihnen mit etwas Abstand. Sie beschleunigen Ihren Schritt, ihr Verfolger tut es Ihnen gleich. Ihr Puls wird schneller, das Herz klopft.
Viele Menschen kennen solche oder ähnliche Situationen, vor allem Frauen. Doch so eine dunkle Gasse ist für viele Frauen ein weitaus sicherer Ort als das eigene Zuhause. Das geht aus der kürzlich veröffentlichten „kriminalstatistischen Auswertung zur Partnerschaftsgewalt“ des Bundeskriminalamts (BKA) hervor. Jeden dritten Tag wird in Deutschland demnach eine Frau von ihrem Partner oder ihrem Ex getötet. Erschossen, erschlagen, erdrosselt, erwürgt.
Die kriminalstatistische Auswertung des BKA zeigt: Im Berichtsjahr 2017 gab es insgesamt 138.893 Fälle partnerschaftlicher Gewalt*. In 82 Prozent der Fälle waren die Opfer Frauen. Mindestens jede vierte Frau erlebt in ihrem Leben mindestens einmal körperliche Gewalt, die vom (Ex-)Partner ausgeht. In Zweidrittel der Fälle handelt es sich um schwere bzw. sehr schwere Fälle körperlicher oder sexueller Gewalt. Vor allem frisch-getrennte Paare oder Beziehungen, die zu zerbrechen drohen, münden oftmals in tätlichen Übergriffen. Was vielfach als „Familiendrama“ oder „Beziehungstat“ betitelt wird, ist in den allermeisten Fällen schlichtweg „Männergewalt“.
Zwischen Mord und Totschlag
Rechnet man zum Tatbestand „Mord“ auch den „Totschlag“ hinzu, kamen im Berichtsjahr 455 Menschen durch Gewalteinwirkung ihres (ehemaligen) Partners ums Leben. Körperverletzungen mit Todesfolge fließen dabei nicht in die Statistik mit ein. In vielen Fällen werden Täter nicht des Mordes schuldig gesprochen, weil Gerichte hinter einer Beziehungstat oftmals keine sogenannten „niedrigen Beweggründe“ erkennen (wollen). Eine wirkliche „Tötungsabsicht“, die Voraussetzung dafür ist, um den Tatbestand des „Mordes“ zu erfüllen, wird nur wenigen Straftätern unterstellt. Häufig stufen Gerichte Motive wie Trennungsangst, verletzte Gefühlte oder Eifersucht als Beleg für eine emotionsbasierte Überreaktion ein – für Totschlag, nicht für Mord.
Einen anderen Maßstab scheint man bei sogenannten „Ehrenmorden“ an den Tag zu legen. Wer seine Frau erwürgt, erschlägt oder ertränkt, weil er sich als Mann in seiner „Ehre“ verletzt fühlt, wird meistens des „Mordes“ schuldig gesprochen. Richter sehen hinter solchen Taten kulturell motivierte Tatabsichten und demnach – seit einem Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2002 – „niedrige Beweggründe“.
So wird eine Gewalttat, deren Auslöser eine etwaige Verletzung von Gefühlen eines Mannes war, als Totschlag gewertet. Eine Gewalttat, deren Auslöser die etwaige Verletzung der Ehre eines Mannes war, als Mord. Ersterer wird als „Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft, Letzterer wird eine lebenslängliche Freiheitsstrafe absitzen. Die weit verbreitete Annahme, dass es patriarchale Strukturen, die systematische Herabwürdigung und institutionelle Benachteiligung von Frauen ohnehin nur „anderswo“ gebe, schlägt sich zum Teil auch in Gerichtsurteilen nieder.
Statistik: Jeder liest, was er will
Wie hoch der Anteil Nicht-Deutscher, wie es im BKA-Bericht heißt, an partnerschaftlicher Gewalt ist, sei ohnehin ein schwieriges Thema. Und ein schönes Beispiel dafür, dass sich aus manchen Statistiken jeder das herauspicken kann, was gerade die eigene Weltsicht bestätigt. In Zahlen: Knapp 68 Prozent der Tatverdächtigen der kriminalstatistischen Auswertung waren Deutsche. Nachdem nur knapp ein Viertel der in Deutschland lebenden Menschen einen Migrationshintergrund hat, sind Ausländer demnach leicht überdurchschnittlich stark vertreten. Doch ist nicht gesichert, ob zwischen Herkunft und Anzahl der begangenen Straftaten tatsächlich eine Kausalität besteht, weil zu viele andere Einflussfaktoren, das Ergebnis verzerren.
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Zum Beispiel spielt das Alter in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle. In Sachen häuslicher Gewalt ist die Altersgruppe der 30- bis 39-Jährigen überproportional vertreten – genau jene Altersgruppe, in die auch die meisten Nicht-Deutschen fallen. Ob nun ein Zusammenhang zwischen Gewaltbereitschaft und Herkunft oder zwischen Gewaltbereitschaft und Alter besteht, lässt sich nur schwer belegen. Hinzu kommen dutzende weiterer Parameter. Dasselbe Spielchen lässt sich in Sachen „Einkommen“, „Bildung“ oder „sozialer Status“ durchspielen. Fakt ist: Statistiken wie diese lassen immer eine Vielzahl möglicher Interpretationen zu. Und besonders diese Statistik zeigt deutlich: Das Problem geht quer durch alle gesellschaftlichen Schichten.
Frauenhäuser in Bayern: Jede zweite Frau wird abgewiesen
Umso wichtiger ist es, dass insbesondere Frauen besser vor ihren Partnern geschützt werden. 350 Frauenhäuser und 600 Fachberatungsstellen gibt es bundesweit. Es sind weit weniger als benötigt: In Bayern wird jede zweite Frau, die in einem Frauenhaus um Hilfe ansucht, abgewiesen, weil zu wenig Plätze zur Verfügung stehen. 2019 will Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) deshalb ein Förderprogramm für Frauenhäuser auf den Weg bringen, um eine bessere und langfristigere Finanzierung der Einrichtungen zu sichern. Besorgniserregend sei in diesen Belangen, dass bei Gewalt an Frauen die Dunkelziffer enorm hoch sei, nur in etwa 20 Prozent der Fälle Übergriffe auch tatsächlich gemeldet werden, wie Giffey bei der Vorstellung des BKA-Berichts in Berlin erklärte.
Gesamtheitlich betrachtet hat dieses Thema einen faden Beigeschmack. Deutschland, selbsternannter Exportweltmeister „westlicher Werte“, sonnt sich nur allzu gerne im Licht der Gleichstellungsbeauftragten, Quotenregelungen und Gendersternchen. Gleichzeitig bleibt ein so markantes Problem wie die tätliche Gewalt an Frauen größtenteils unterbelichtet. Ein Problem, das es nicht zu geben scheint, kann auch nicht adäquat thematisiert wären. Das jedoch wäre der erste Schritt in Richtung Lösung.
Kommentar: Johannes Gress
* Das ist in Zahlen ausgedrückt ein deutlicher Anstieg gegenüber 2016 (133.080 Fälle). Dieser Anstieg ist allerdings durch veränderte Erhebungsverfahren begründet. Insgesamt konnte gegenüber dem Vorjahr ein Rückgang von rund 0,8 Prozent festgestellt werden.
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