Aufgeschürfte Knie, blaue Flecken, mal eine Beule am Kopf. Das gilt gemeinhin als Standardrepertoire kleinerer Blessuren und Wehwehchen von Kindern und Jugendlichen. Was man halt von Spiel- und Sportplatz so mitbringt. Ein paar Jahre später dann mal ein verstauchter Knöchel vom Fußball spielen, eine Schulterverletzung beim Tennis. Oder die ein oder andere Folgeerscheinung exzessiven Alkoholkonsums. Soll ja auch vorkommen. Doch Jugendliche wie Orthopäden quält mittlerweile ein ganz anderes Problem: Immer mehr Heranwachsende leiden unter chronischen Rücken- und Nackenschmerzen – der sogenannte „Smartphone-Nacken“ und der „SMS-Daumen“ geißelt die Jugend von heute weit mehr als ein paar Schürfwunden…
Sage und schreibe 99 Prozent der 15 bis 24-Jährigen besitzen mittlerweile ein Smartphone. Und sie benutzen es durchschnittlich zwei Stunden pro Tag – eine Stunde für Soziale Medien, eine Stunde für diverse andere Tätigkeiten wie Videos gucken, Minigames zocken usw. Hinzu kommen bis zu 30 Stunden pro Woche, die manch Pubertierender vor einer Spielekonsole verbringt. Aus diesen Zahlen ergeben sich nicht nur eklatanter Bewegungsmangel und zunehmende Fettleibigkeit.
Wenn, dann lieber einhändig
Normalerweise, in aufrechter Haltung, lasten rund zwei Kilogramm auf unserer Halswirbelsäule. Durch das Vorneigen des Kopfes, also die klassische Smartphone-Nutzer-Pose, verzehnfacht sich dieser Druck – unsere Wirbelsäule hat somit rund 20 Kilogramm zu stemmen. Kurzfristig sei dies kein Problem. Doch „eine Vorneigung von 30 Minuten am Stück kann schon zu viel sein“, warnt Orthopäde Ronald Dorotka, Präsident des Berufsverbands der Orthopäden Österreich (BVdO). Vor allem bei einer schwach ausgeprägten Rücken- und Nackenmuskulatur führe dies schnell zu Verspannungen und Überlastungserscheinungen – bis hin zu Kopfschmerzen. Werden beim Tippen mit dem Handy beide Hände verwendet, ist die Belastung der Muskulatur noch einmal um einiges höher als beim einhändigen Gebrauch.
Diese Problematik sei jedoch schon seit Jahrzehnten bekannt – „noch lange bevor die ersten Smartphones im Umlauf waren“, weiß Dorotka. „Flache Tische“ in Klassenzimmern, dazu das permanente Vorneigen beim Lesen und Schreiben über mehrere Stunden hinweg seien schon seit jeher ein Problem, erklärt der Orthopäde. „Wenn die Bänder ständig auf Zug sind“, führe das zu Verspannung, Rückenschmerzen und in weiterer Folge oftmals zu Kopfschmerzen. Permanente Fehlhaltungen am Schul- oder Schreibtisch können ähnlich dem „Smartphone-Nacken“ bei schwerwiegenden Fällen zu „unwiderruflichen Schäden“ führen. Betroffene hätten im Extremfall gar mit Strukturproblemen in der Halswirbelsäule zu rechnen, was im Alter auch zu Lähmungserscheinungen führen kann, warnt Dorotka.
Weniger Smartphone: Leichter gesagt als getan
Der BVdO-Präsident ist kein Anhänger des „Früher-war-Alles-besser“-Dogmas. Smartphones und Soziale Medien brächten durchaus Positives mit sich. Sie können bei Jugendlichen zu einer erhöhten Aufmerksamkeit führen, Koordination und strategisches Denken fördern oder das Gedächtnis stärken. Sie können. Müssen aber nicht. Bei exzessivem Gebrauch könne ebenso das Gegenteil der Fall sein. Wie bei so Vielem sei die „Dosis“ entscheidend, so Dorotka.
Die einfachste und offensichtlichste Lösung dieser Problematik – weniger Smartphone – klingt zwar einfach und offensichtlich, sei aber kaum praxistauglich. Nicht nur Eltern wissen wie hoch die Erfolgschancen für ein solches Unterfangen sind. Zu wichtig, zu unverzichtbar ist das tägliche Getippe auf den Touchscreen mittlerweile geworden: Egal, ob zum Kommunizieren, Pizza bestellen, Snapchatten oder Bezahlen – das Smartphone macht’s! Das rechteckige Ding mit Touchscreen ist für Jung und Alt schon längst zum ständigen Begleiter geworden.
Wie unverzichtbar ein Smartphone für Jugendliche ist, erfährt der Orthopäde Dorotka tagtäglich in seiner Praxis. Jugendliche, die wegen Rückenbeschwerden zu ihm kommen, würden die Zeit im Wartezimmer in den allermeisten Fällen damit verbringen, in ihre Apparatur zu starren. Es komme auch vor, dass Patienten während der Behandlung fragen, ob sie nicht kurz ihre WhatsApp-Nachrichten beantworten könnten. Nicht oft, aber „auch sowas kommt vor“, berichtet der Experte.
„Teufelskreis aus Bewegungsarmut, Übergewicht und Lichtmangel“
Dabei werde vom ständigen Tippen nicht nur der Rücken strapaziert: Eine weitere Folgeerscheinung unseres „digitalen Zeitalters“ sei der „SMS-“ oder „Text-Daumen“. Durch den „exzessiven Gebrauch von Smartphones“, etwa das permanente Schreiben von WhatsApp-Nachrichten und dergleichen, komme es nicht selten zu „Überlastungserscheinungen wie Gelenksentzündungen“. Als Alternative empfehle sich der Umstieg auf den Zeigefinger – oder das zeitweilige Beiseitelegen der Gerätschaft.
Zwar könne der „Smartphone-Nacken“ oder der „Texter-Daumen“ kurzfristig behandelt werden – etwa mit Physio- und Bewegungstherapie oder Massagen“ – langfristige Lösungen seien dies jedoch nicht. Wer, wie zahlreiche Jugendliche derzeit, seine Freizeit damit verbringe, täglich dutzende Nachrichten zu schreiben, stundenlang vor Spielekonsolen zu hocken oder ins Tablet zu starren, der laufe Gefahr in einen Art „Teufelskreis“ zu geraten, erklärt Dorotka weiter. „Bewegungsarmut, Übergewicht und Lichtmangel“ würden sich quasi gegenseitig verstärken – mit negativen Auswirkungen auf den Bewegungsapparat. Wer viel Zeit vor Bildschirmen verbringe, bewege sich tendenziell weniger, werde in aller Regel leichter übergewichtig und habe damit eine weniger gut trainierte Muskulatur.
Neben einem verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Geräten könne eine trainierte Bewegunsapparatur eine gute Präventivmaßnahme sein. An regelmäßigem Sport und ausreichend Bewegung führe deshalb kein Weg vorbei. Für Kinder und Jugendliche empfehle sich insbesondere Schwimmen und Klettern – und ganz generell „alles, was den Kindern Spaß macht“, erläutert Dorotka. Auch die Schulen seien hier gefordert: Neben der – längst überfälligen – Beschaffung verstellbarer Tische, wäre beispielsweise die „tägliche Turnstunde“ im Unterricht durchaus eine Überlegung wert.
Johannes Gress
Hintergrund unserer Serie:
„Unsicherheit“ ist das Schlagwort unserer Generation. Wie umgehen mit den zahlreichen Herausforderungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft? Unsere Welt ist im Wandel begriffen, dreht sich immer schneller. Wir möchten wissen: Wie damit umgehen? Dabei sollen nicht nur unsere Leserinnen und Leser zu Wort kommen, sondern auch Experten, Wissenschaftler, Politiker und Ökonomen. Was sagt eigentlich ein Zukunftsforscher über seinen Forschungsgegenstand? Wie wird sich der Klimawandel auf den Bayerischen Wald auswirken? Wie sicher ist unsere Rente? Im Rahmen der Serie „Generation Y: Was bringt die Zukunft?“ soll das Thema „Zukunft“ aus verschiedensten Blickwinkeln betrachtet werden, sollen Akteure und Betroffene zu Wort kommen, Standpunkte und Meinungen analysiert werden. Gerne auch mit Deinem Beitrag!