Passau. Ein Musterbeispiel dafür, dass sich politisches Interesse und jugendliches Alter nicht grundsätzlich ausschließen, ist Matthias Weigl aus Passau. Der 19-Jährige ist Spitzenkandidat der Grünen im Stimmkreis Passau-Ost und somit einer der jüngsten überhaupt, die am 14. Oktober ein direktes Mandat für den bayerischen Landtag anstreben. „Bisher war ich nur in der Schule, Beruf habe ich noch keinen“, gibt der junge Mann unumwunden und auf offene Art und Weise zu.
Mit dieser Frische und Unbekümmertheit beantwortet der Grünen-Kreisvorsitzende Passau-Stadt auch die Fragen im Rahmen des Interviews mit dem Onlinemagazin da Hog’n. Dabei geht der baldige Student der Staatswissenschaften auf seine Chancen bei der Landtagsabstimmung ein, blickt auf das veränderte Image seiner Partei und spricht über den aktuellen Rechtsruck innerhalb der Gesellschaft.
„Am 15. Oktober beginnt mein Studium, aber…“
Herr Weigl: Ist es heutzutage eigentlich „unnormal“, dass man mit 19 Jahren bereits politisch engagiert ist?
Ja, absolut. Darauf werde ich auch immer wieder angesprochen. Gerade bei uns auf dem Land ist es eher eine Seltenheit, dass junge Menschen politisch engagiert sind. Bei anderen Parteien wäre es vor allem schwer möglich, so jung schon Kandidat zu werden. Bei uns Grünen ist das wohl noch eher möglich – wir sind ja bekannt dafür, gerne mal etwas zu probieren. Bei anderen Parteien wäre ein solch junger möglicher Mandatsträger unvorstellbar. Gewissermaßen bin ich also unnormal, ja.
Hand aufs Herz: Wie realistisch ist es tatsächlich, dass Sie bereits heuer in den Landtag einziehen?
Diese Bewerbung ist durchaus ernst gemeint. Unser großes Ziel ist es, niederbayernweit zwei Mandate für die Grünen zu erobern. Mein Vorteil dabei: In der Stadt Passau, die ja auch zu meinem Stimmkreis gehört, hatten wir bei den letzten Wahlen vielerorts zweistellige Ergebnisse. Dennoch ist es schwer einzuschätzen, ob es am Ende tatsächlich für den Landtag reicht. Insofern ist meine Kandidatur auch ein kleiner Versuch hinsichtlich der Frage, wie viele Leute ich als 19-Jähriger überzeugen kann. Ich rechne damit, dass ich am 15. Oktober mit meinem Studium in Passau beginnen kann – lasse mich aber auch gerne überraschen…
Wäre es vielleicht nicht sinnvoller gewesen, etwas weiter unten einzusteigen – als Stadtrat, Kreisrat oder Bezirksrat?
Das sind durchaus Gremien, die mich reizen würden. Die Kommunalpolitik ist ein sehr spannendes Feld – gerade was hier im Raum Passau die Themen Verkehr und Hochwasserschutz betrifft. Zeitlich hat sich aber – vor dem Hintergrund, dass ich den Bezirkstag eher nicht so spannend finde – nun mal die Landtagswahl angeboten. Als ehemaliger Landesschülersprecher bin ich in dieser Hinsicht auch etwas vorbelastet, denn: Während dieser Zeit im Landesschülerrat war ich mehrmals im Landtag zugegen und habe mitbekommen, was dort gut und eher nicht so gut läuft. Ich habe Lust, Bildungspolitik zu machen – und das geht am besten im bayernweiten Parlament.
„Wie schaffen wir es, den ÖPNV zu stärken?“
Es gibt durchaus junge Politiker, die vormachen, dass man nicht graue Haare haben muss, um gute Arbeit in einem Parlament zu leisten. Das Alter ist nicht das entscheidende Kriterium, ob ein Politiker gut oder schlecht ist. Ich scheue keinesfalls Auseinandersetzungen mit älteren CSU-Herren, die vielleicht ein Problem damit haben, dass man bereits in so jungen Jahren und ohne akademische Grade mitmischen möchte. Im Gegenteil. Das Parlament soll ja praktisch ein Querschnitt der Gesellschaft sein – und dazu gehören eben nicht nur Männer im fortgeschrittenen Alter, sondern auch junge Menschen, und übrigens auch mehr Frauen, die im Moment genauso unterrepräsentiert sind.
Welche Rolle spielt bei den Themen, die im Landtag bearbeitet werden, die Lebenserfahrung?
Auch mit 19 Jahren kann man durchaus schon auf einen großen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Wie bereits vorher erklärt, ist vor allem Bildung ein Bereich, in dem ich mich wohl fühle. Ich war zum Beispiel bei den Arbeitskreissitzungen zum neuen G9 im Ministerium dabei und oft frustriert, weil die endgültigen Entscheidungen und Weichenstellungen dann doch im Landtag beschlossen werden. Darüber hinaus habe ich mich mit Integration, Flucht und Asyl intensiver beschäftigt. Im Herbst 2015 war ich am Bahnhof in Passau als Helfer mit dabei, habe dort viele Menschen mit unglaublichen Geschichten und prägenden Schicksalen erlebt. Seitdem habe ich einige Integrationsprojekte unterstützt und konnte erfahren, vor welchen Herausforderungen Geflüchtete und mittlerweile auch Helferkreise stehen, wo der Schuh drückt und Richtungsänderungen in der Landespolitik dringend notwendig wären.
Und als Passauer interessiert mich natürlich das Verkehrsthema. Wie schaffen wir es, die bekannten Staus am Morgen und nach Feierabend weg zu bringen? Wie schaffen wir es, den ÖPNV zu stärken? Der Radverkehr in Passau ist schwierig, außerdem müssen wir die E-Mobilität voranbringen. Hier gibt es einige Aufgaben, die abgearbeitet werden müssen. Vor allem die Grünen haben sich diese Zukunftsthemen auf ihre Fahne geschrieben, weshalb ich mich vor drei Jahren auch dazu entschlossen habe, dieser Partei beizutreten.
„Viele Bereiche der großen Politik sind zu abstrakt“
Hierbei handelt es sich aber eher um kommunalpolitische Angelegenheiten – und nicht um Dinge, die im Landtag entschieden werden…
Das stimmt so nicht, nein. Viele Themen, die auf Kommunalebene aktuell sind, sind auch für ganz Bayern interessant – z.B. Tierheime, Flächenfraß, ÖPNV. Meiner Meinung nach sind viele Bereiche der großen Politik inzwischen ohnehin zu abstrakt. Hier sollte man sich wieder mehr auf die Kerngebiete konzentrieren. Jeder Landes- und Bundespolitiker soll einen verstärkten Fokus darauf werfen, was in seinem Wahlkreis aktuell und auf der Tagesordnung ist. Denn diese kleinen Probleme werden irgendwann zu großen. Und um das zu erkennen, ist es egal, ob ich jung oder alt bin.
Was denken Sie: Gibt es im Politikgeschäft zu wenig Leute in Ihrem Alter?
Ja. In den wenigsten Parlamenten sitzen Politiker, die jünger sind als 40 Jahre. Und das ist einfach schade.
Worin liegen die Gründe für diesen hohen Altersschnitt?
Der Grund hierfür ist, dass die dominierende Partei in Bayern hauptsächlich Männer aufstellt, die entweder graue oder gar keine Haare mehr haben. Der Frauenanteil der CSU-Landtagsfraktion lag in dieser Legislatur bei 20 Prozent. Das ist weit entfernt von Generationengerechtigkeit und Gleichberechtigung.
Aber gerade die CSU hat doch mit der JU eine hervorragende Jugendorganisation…
Was die Mitgliederzahl betrifft, ja. Aber bei der JU geht es meiner Wahrnehmung nach eher um Präsenz auf Volksfesten, Freibier und Biermarkerl als um politische Diskussionen. Und wenn dann Listen aufgestellt werden, landen vielversprechende Leute – übrigens auch bei der SPD – sehr selten auf aussichtsreichen Plätzen, wie ja die aktuelle Besetzung in der Politik erkennen lässt. Man würde ja meinen, dass die Wähler entscheiden, wer gewählt wird, aber in erster Instanz tun das die Parteien – und bremsen den Nachwuchs oft aus.
Fatal ist in diesem Zusammenhang auch, dass viele junge Menschen, die vielleicht das Zeug dazu hätten etwas zu erreichen, überhaupt kein Interesse mehr an politischen Vorgängen haben. Um das zu ändern, müsste man parteiübergreifend aktiv werden und die Jugend dazu animieren, sich wieder mehr mit Politik zu beschäftigen.
„Wir wurden belächelt, obwohl wir gute Ideen hatten“
Schön gesagt, aber: Wie schafft man es konkret, diese Begeisterung wieder zu entfachen?
Bestimmt nicht dadurch, dass man auf Volksfesten Feuerzeuge verkauft. Man muss die Menschen in deren Lebensbereichen abholen. Mein Aufgabenbereich wäre etwa die Bildung, weil meine Schulzeit noch nicht lange zurückliegt. Genau das habe ich vorher damit gemeint, dass Politik nicht zu abstrakt werden darf. Langwierige Debatten über großen Themen sorgen dafür, dass sich die Basis immer mehr von der Politik entfernt. Die Menschen müssen vielmehr erkennen, dass sich die Bundes- und Landtagsmitglieder mit Dingen beschäftigen, die sie unmittelbar betreffen.
Ein konkretes Beispiel: Im Sozialkundeunterricht lernen viele Schüler etwa stumpf auswendig, wie unser Staat aufgebaut ist – und kassieren dafür gute Noten. Ein absoluter Irrsinn. In diesem Fach wäre es angebrachter, wenn regelmäßig neben Inhalten aus den Lehrbüchern aktuelle politische Themen diskutiert würden. Nur so schafft man es, die jungen Menschen für diese Vorgänge zu begeistern. Stures Auswendiglernen und Frontalunterricht ist hier absolut kontraproduktiv.
Generell gefragt: Hat es ein Grüner schwerer bei der Themenvermittlung als ein Vertreter anderer Parteien?
Früher wohl schon, ja. Da wurden wir belächelt, obwohl wir gute Ideen hatten, die andere dann aber munter kopiert und als ihre Errungenschaft ausgegeben haben. Mittlerweile hat sich das Image der Grünen gewandelt. Wir werden respektiert für unsere Arbeit, ernster genommen und auch mehr wertgeschätzt.
„Wir sind der Gegenpol zum Rechtsruck“
Was sich ja auch in aktuellen Umfragewerten wiederspiegelt. Die Grünen stehen in Bayern so gut da wie noch nie.
Ja, das stimmt. Das liegt denke ich an unseren Themen. Dinge wie Mobilität, Artensterben, Flächenfraß und Klimawandel sind drängende Herausforderungen unserer Zeit, die den Menschen unter den Nägeln brennen. Die Leute verstehen, dass die Grünen nötig sind, um bei diesen Entwicklungen voranzukommen. Wir sind in den Augen der von immer mehr Bürgern kein politisches Unkraut mehr.
Im Gegensatz zur CSU haben wir auch eine klare Haltung. Wir wollen für den Zusammenhalt der Gesellschaft kämpfen, statt sie zu spalten. Und wir stehen für ein menschliches Bayern, für Herz statt Hetze. Wir sind der Gegenpol zum Rechtsruck und das erkennen immer mehr und unterstützen uns dabei.
Welche Rückschlüsse lassen die aktuellen Umfragewerte auf den tatsächlichen Ausgang der Wahlen am 14. Oktober zu?
Die aktuelle zweistellige Prozentzahl ist eine schöne Momentaufnahme – mehr aber auch nicht. Dennoch stehen wir wohl vor dem besten Ergebnis der Grünen in Bayern seit unserem Bestehen. Und es wäre ja auch traurig, wenn die AfD bei ihren ersten Wahlen gleich die stärkste Oppositionspartei im Landtag wird – vor allem, wenn man bedenkt, welche Menschen dieser Partei angehören.
Man hört raus: Eine schwarz-grüne Regierung ist ausgeschlossen…
Macht die CSU so weiter, ist diese Koalition wohl auch rechnerisch gar nicht mehr möglich (lacht). Klar ist: Die aktuelle CSU mit ihrem Kurs und ihrem Personal ist in Bayern nicht unser Traum-Koalitionspartner. Das Spektrum innerhalb der Christsozialen ist einfach zu groß – da gibt es durchaus einige vernünftige Köpfe, aber auch welche am rechten Rand, die eine Zusammenarbeit mit der AfD präferieren würden. Und das geht gar nicht.
Sind die Grünen in der Opposition vielleicht nicht generell besser aufgehoben?
Auf gar keinen Fall. Als Oppositionspartei bringt man höchstens kleine Sachen voran – aber nicht das Große und Ganze. Landespolitische Forderungen der Opposition landen leider größtenteils im Papierkorb oder werden von anderen Parteien als deren Ideen verkauft.
„Freyung-Grafenau ist am rechten Rand anzusiedeln“
Bereits kurz angeschnitten, aber noch einmal explizit nachgefragt: Wie groß ist die Gefahr eines Rechtsrucks in Bayern?
Das ist wohl eine der schwierigsten Fragen, vor allem weil sich die Entwicklungen nach rechts auch weit in andere Parteien hineinziehen. Aber das Hauptproblem ist der verlängerte Arm der Rechtsradikalen, der wohl auch bald im Landtag sitzt – und der heißt AfD. Diese Partei insgesamt zu bewerten, ist schwierig. Hier lohnt denke ich wieder der Blick auf die lokale Ebene. Der örtliche Kreisverband Freyung-Grafenau-Passau beispielsweise ist am rechten Rand anzusiedeln.
Wer rassistische, menschenverachtende Beiträge unkommentiert auf seiner Facebookseite stehen lässt, selbst massive Hetze gegen Geflüchtete betreibt, Angela Merkel als „Reichskanzlerin“ bezeichnet, skurrile Drohbriefe an den Passauer Landrat versendet und sich trotzdem in die Opferrolle wirft und als politisch verfolgter Oppositioneller darstellt, der kann sich auf keinen demokratischen Grundsatz mehr berufen. Das Erstarken dieser teils rechtsradikalen und antidemokratischen Partei und der Rechtsruck in Bayern, aber auch in Europa, ist eine enorme Gefahr.
Und dazu brauchen wir einen starken Gegenpol, ein gemeinsames Aufstehen für Europa, Humanität, unsere Grundrechte und christlichen Werte. Zu letzteren gehören nämlich weder Abschottung noch Ausgrenzung, sondern Nächstenliebe und Zusammenhalt. Ich würde mir wünschen, dass sich auch im ländlichen Niederbayern die überwältigende Mehrheit dazu bekennt und den Rechten eine klare Absage erteilt.
Vielen Dank für das Gespräch – und alles Gute für die Zukunft.
Interview: Helmut Weigerstorfer