35 Kandidatinnen und Kandidaten treten im „Hog’n-Land“ zur Bezirks- und Landtagswahl am 14. Oktober an. Darunter Rechtsanwältinnen, Lehrer, Unternehmerinnen und Landwirte. Erfahrene Politikerinnen und Quereinsteiger. Männer und Frauen aller Couleur. Nur eine Gruppe muss man in der hiesigen Kandidatenliste mit der sprichwörtlichen Lupe suchen: Genau einer der 35 Kandidaten ist jünger als 25. Nur vier sind jünger als 30 – darunter keine einzige Frau. Genau jene Generation also, die die Zukunft noch vor sich hat, ist von deren Gestaltung größtenteils ausgeschlossen. Genau deshalb haben wir uns umgehört, was unsere vier Jungkandidaten in der Region über ihr eigenes politisches Engagement zu sagen haben…
Zunächst die gute Nachricht: Die Stimmkreise Regen/Freyung-Grafenau und Passau-Ost bilden in Sachen Jungpolitiker-Dichte keine Ausnahmen. In anderen Wahlbezirken sieht es ganz ähnlich aus. Und auch im Bundestag ist der Anteil der unter 30-Jährigen verschwindend gering – zwölf von 709 Abgeordneten. Im Parlament der Europäischen Union waren nach der Wahl 2014 gar nur zwölf der 751 Mandatsträger jünger als 30 Jahre – das sind 1,5 Prozent.
Dabei haben die unter 30-Jährigen ein besonders großes Interesse daran, ihre Zukunft in die eigene Hand zu nehmen: Wie die unlängst veröffentliche Studie „Strukturierter Dialog“ darlegt, wünschen sich 89 Prozent der europäischen Jugendlichen mehr politische Mitbestimmung in ihrer unmittelbaren Umgebung. Die Studie, bei der rund 50.000 Personen im Alter von elf bis 30 Jahren befragt wurden, widerspricht offenbar deutlich der vielzitierten „Politikverdrossenheit“ der jüngeren Generation. Fakt ist: Junge Menschen treten immer weniger in Parteien ein (Stichwort: Parteienverdrossenheit). Aber: Sie betätigen sich mehr denn je an Demonstrationen, Sit-Ins, Protest- und Unterschriftenaktionen, Konsumboykott oder sind Mitglied in NGOs. Wenn dann, sind die Jüngeren unter uns also parteiverdrossen, aber sehr politisch!
Auch Politik in Parlamenten und Parteien ist immer noch Politik
Irgendwie logisch, wenn man bedenkt, dass so ein Sit-In oder eine gut inszenierte Protestaktion etwas hipper und aktiver als ein Parteibuch wirken. Parteien haben schon länger mit ihrem verstaubten Image zu kämpfen. Angesichts teils verkrusteter Strukturen und eher altmodisch anmaßenden Umgangsformen steckt in diesem Vorwurf zumindest ein Körnchen Wahrheit. Aber Tatsache ist: Auch in und vor allem mit Parteien wird Politik gemacht. Sehr viel sogar. Und sehr viel davon betrifft unsere junge Generation.
Soll heißen: Auch wenn eine Parteimitgliedschaft nicht mehr ganz so trendy zu sein scheint, täte die junge Generation sehr gut daran, sich auch in diesen Sphären politisches Gehör zu verschaffen. Oder umgekehrt: Täte unsere ältere Generation gut daran, ihren Nachkömmlingen mehr Spielraum zu bieten. Schließlich sind in unseren Abgeordnetenhäusern keine NGOs vertreten – und es werden auch keine Sit-Ins veranstaltet.
Dazu kommt, dass die jüngere Generation schlichtweg anders tickt, andere Prioritäten setzt und andere Weltbilder mit sich trägt. Menschen im jüngeren Alter sind in einem geeinten Deutschland aufgewachsen, in einer Europäischen Union, die weit mehr an einen Staatenverbund erinnert als sie das noch vor 50 Jahren tat. Bei der Umfrage „strukturierter Dialog“ gaben 93 Prozent der europäischen Jugendlichen an, es sei ihnen wichtig, stärker gegen die Diskriminierung von Frauen und Mädchen vorzugehen. 85 Prozent fordern eine bessere Unterstützung für Geflüchtete, neun von zehn eine bessere Einbindung von Randgruppen, wie Menschen mit Beeinträchtigung, ethnische Minderheiten oder Homo- und Intersexuelle. Die EU als Ganzes genießt bei den U-30ern weit besseres ansehen als bei den Ü-30ern. Vergleicht man diese Haltungen mit dem aktuellen politischen Kurs, wird die Diskrepanz deutlich, die zwischen Jung und Alt besteht.
„Beschweren kann sich jeder. Werdet selber aktiv!“
Mit Matthias Weigl schicken die Grünen im Stimmkreis Passau-Ost den einzigen Kandidaten ins Feld, der jünger als 25 Jahre ist. Der erst 19-jährige Abiturient kandidiert bei den anstehenden Wahlen für sein erstes politisches Mandat – er will in den Landtag einziehen. Weigl erklärte unlängst dem Hog’n gegenüber, dass ihm vor allem bildungspolitische Inhalte am Herzen liegen – anständige Bildungspolitik lasse sich ihm zufolge nur auf Landesebene gestalten.
Seiner Meinung nach solle „das Parlament ein Querschnitt der Gesellschaft sein“, bestehend aus Alt und Jung. „Das Alter“, so der erst 19-Jährige, „ist nicht das entscheidende Kriterium, ob ein Politiker gut oder schlecht ist“. Um wieder mehr Pepp in den Politalltag zu bringen, müsse man aber auch die Jungen zunehmend motivieren, sich parteipolitisch zu engagieren. Dabei sei nicht nur seine eigene Partei gefragt. Geht es nach Weigl, müsse man hier auch „parteiübergreifend aktiv werden und die Jugend dazu animieren, sich wieder mehr mit Politik zu beschäftigen“. Dass „die dominierende Partei in Bayern hauptsächlich Männer aufstellt, die entweder graue oder gar keine Haare mehr haben„, mache dieses Unterfangen nicht gerade einfach.
Johannes Spielbauer, 25, hält es durchaus für ein Problem, dass maßgeblich betagtere Politiker das Geschehen hierzulande bestimmen. „Ältere Kandidaten haben vielleicht mehr Lebenserfahrung – die Jungen dafür oft die innovativeren Ideen“, findet der Direktkandidat der Linken für den Landtag und den Bezirkstag im Stimmkreis Regen/Freyung-Grafenau. Seiner Meinung nach ist die Erfahrung und der Rat der etablierten, älteren Generation sehr wichtig, „es sollten aber auch junge Leute die Möglichkeit haben, ihre Probleme und Ängste vorzutragen und Lösungen hierzu auszuarbeiten“. Dabei bemängelt der Straubinger Student vor allem, dass jungen Menschen aufgrund fehlender finanzieller Mittel die Ausbildung oder das Studium ihrer Wahl verwehrt bleibt. Dass dies vom Geldbeutel des Elternhauses abhängt, hält er für einen unhaltbaren Zustand: „Jeder und jede soll die Ausbildung machen oder das Studium aufnehmen können, die bzw. das er oder sie will!“ Hier müsse die Politik deutlich nachbessern, fordert der 25-Jährige.
Mit- und nicht gegeneinander – so lautet für den FDP-Bezirkskandidaten David Berends das Gebot der Stunde. In seinem Wahlkreis Passau-Ost wolle er seiner eigenen „Generation eine starke Stimme geben, ohne die Generationen gegeneinander auszuspielen“, erklärt der 26-Jährige. Dabei sei es wichtig, dass mehr Junge den Schritt in die Politik wagen, aber „genauso müssen auch Parteien die Strukturen schaffen, die junge Menschen fördern – auch aus eigenem Interesse“. Jugendorganisationen, so Berends, spielen hier eine wichtige Rolle, um den Zugang zur Politik zu erleichtern. Doch der FDP-Kandidat fordert auch mehr Eigenengagement: „Beschweren kann sich jeder. Mein Appell: Sprecht mit den Politikern vor Ort, werdet selber aktiv, geht wählen! Nur so können wir alle gemeinsam für eine gute Zukunft sorgen.“
Auch Berends‘ Parteikollege Mathias Baur hat die 30er-Marke noch nicht überschritten. Der 28-Jährige kandidiert im Stimmkreis Regen/Freyung-Grafenau um den Einzug ins Bezirksparlament. Die Interessen der jüngeren Generation sind auch seiner Meinung nach in der Politik viel zu wenig vertreten. Er fragt sich: „Kann ein Politiker oder eine Politikerin mit über 60 Jahren die Interessen und Bedürfnisse eines 20-Jährigen verstehen?“
Wenn er sich in seinem Freundeskreis umhöre, sei es deshalb kein Wunder, wenn da einige politikmüde behaupten: „Die machen eh was sie wollen.“ Mit Blick in die Zukunft solle vor allem in Sachen Digitalisierung endlich mal etwas vorangehen. „Wenn es um den Ausbau digitaler Infrastruktur geht“, so Baur, sei „Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern Entwicklungsland“. Neben der Digitalisierung beschäftigt ihn vor allem ein weiteres großes Zukunftsthema: die Altersvorsorge. Auch hier bestehe deutlich Nachholbedarf. Er habe selbst beruflich viel damit zu tun und mache sich hierbei „große Sorgen“ darüber, „von was diese Generation später leben soll“.
Sollen 16-Jährige schon wählen dürfen?
Eine andere Möglichkeit die Jugendlichen besser in politische Prozesse mit einzubinden, wird etwa in Baden-Württemberg erprobt. Dort dürfen auf kommunaler Ebene Personen bereits ab 16 Jahren wählen – eine Art Herantasten an die „großen Wahlen“ auf Landes- und Bundesebene. Ähnlich geht man auch in Berlin, Brandenburg oder Thüringen vor. In Schleswig-Holstein dürfen die 16-Jährigen sogar bei den Landtagswahlen schon ran an Wahlurnen. Und in Bayern gibt’s aktuell zumindest die Möglichkeit zum Probewählen: Vom 1. bis 5. Oktober führt der Kreisjugendring Freyung-Grafenau (KJR) in der Kreisstadt, in Waldkirchen, Röhrnbach und Grafenau eine U-18 Wahl durch. Auch hier ist es das erklärte Ziel, das politische Interesse von Jugendlichen zu wecken, wie KJR-Geschäftsführer Martin Wagner im Hog’n-Interview erklärt.
Parteien links der Mitte – wie die SPD, die Grünen und Die Linke – fordern schon seit langem eine Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre. Jene Parteien sind es auch, die bei Jungwählern eher beliebt sind als beispielsweise konservative und wirtschaftsliberale Parteien. Vorreiter in dieser Causa ist Österreich: Als erstes EU-Land überhaupt senkte es das Wahlalter 2007 von 18 auf 16 Jahre ab – auch auf Bundesebene. Dort waren es ebenso die Sozialdemokraten der SPÖ, die sich für eine Senkung des Wahlalters stark machten. Die Konservativen waren zunächst strikt dagegen, lenkten aber dann doch ein.
Die entscheidende Frage, die um die die Wahlalter-Debatte kreist, lautet: Ab wann ist man reif genug für politische Mitbestimmung? Die Gegenfrage lautet: Kann man Reife am Alter festmachen? So manch interessierte 14-Jährige hat politisch mehr auf dem Kasten als der ein oder andere 21-Jährige. Erstere ist vom Wahlrecht ausgeschlossen, Letztgenannter darf ein Kreuzchen auf dem Wahlzettel hinterlassen. Ist das gerecht? Laut Wahlrecht: ja…
Johannes Gress
Hintergrund unserer Serie:
„Unsicherheit“ ist das Schlagwort unserer Generation. Wie umgehen mit den zahlreichen Herausforderungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft? Unsere Welt ist im Wandel begriffen, dreht sich immer schneller. Wir möchten wissen: Wie damit umgehen? Dabei sollen nicht nur unsere Leserinnen und Leser zu Wort kommen, sondern auch Experten, Wissenschaftler, Politiker und Ökonomen. Was sagt eigentlich ein Zukunftsforscher über seinen Forschungsgegenstand? Wie wird sich der Klimawandel auf den Bayerischen Wald auswirken? Wie sicher ist unsere Rente? Im Rahmen der Serie „Generation Y: Was bringt die Zukunft?“ soll das Thema „Zukunft“ aus verschiedensten Blickwinkeln betrachtet werden, sollen Akteure und Betroffene zu Wort kommen, Standpunkte und Meinungen analysiert werden. Gerne auch mit Deinem Beitrag!