Augsburg/Waldkirchen. Musik ist für ihn nicht nur ein harmonisches Zusammenspiel verschiedener Akkorde und Stimmen, das im besten Falle die Zuhörer in eine andere, nicht greifbare Welt entführt. Musik ist für ihn auch ein Mittel, um den eigenen Vorstellungshorizont zu erweitern. Spielt jemand Klavier, Geige oder Trompete, steigert dieser seine Kreativität und seine koordinativen Fähigkeiten. Er lernt gleichzeitig loszulassen, um etwas Neues, bisher nicht für möglich Gehaltenes zu erreichen. Davon ist Tom Jahn überzeugt. Der gebürtige Waldkirchener hat sich als Jazzmusiker einen Namen gemacht, der die Grenzen zwischen Techno, Pop, Volksmusik und Jazz verwischt und zu Neuem fusioniert. Der 38-Jährige beschäftigt sich aber nicht nur mit Noten und Klängen, sondern auch mit der Wirkung von Musik. Eine Erkenntnis, die der Exil-Waidler auch erst über die Jahre erlangt hat…
Eine Schlüsselrolle bei dieser Selbstfindung nahm die Freyungerin Gundi Willeitner ein. Hineingeboren in eine musikalische Beamtenfamilie – der Großvater war Berufsschullehrer in Wegscheid und begeisterter Cello-Spieler, die Eltern ebenfalls im Schuldienst tätig – klimperte Tom Jahn auf dem heimischen Piano. Autodidaktisch lernte er die Grundlagen des Instruments schon früh kennen. Zu diesem Zeitpunkt jedoch ohne jeglichen Hintergedanken, irgendwann einmal als professioneller Musiker auf der Bühne zu stehen. Vielmehr strebte der junge Mann eine Profikarriere als Mountainbiker an, trat bei dem ein oder anderen Rennrad-Marathon in Erscheinung. „Das war damals einfach mein Ding“, erinnert sich der heute 38-Jährige. „Musik war zwar noch nebensächlich, doch trotzdem immer da und wichtig. Louis Armstrong und Frank Sinatra waren wohlbekannt im Hause Jahn. “
Gundi Willeitner und ihre Schlüsselrolle für Toms Zukunft
Musiklehrerin Gundi Willeitner, die Tom Jahn ab der 8. Klasse unterrichtete, schaffte es jedoch, den jungen Mann zu bekehren. „Ihr war es nicht nur wichtig, dass ich die Noten exakt wiedergebe. Ihr war es auch wichtig, wie ich die Stücke spiele“, erzählt der Waldkirchener. Die Freyungerin vermittelte ihm dies alles nicht mit Druck, sondern auf ihre ganz eigene Art und Weise – durch ihre Wertschätzung einer tiefgründigen Interpretation. Sie ließ nicht locker, animierte Tom Jahn in einer überzeugenden Regelmäßigkeit und mit stoischer Ruhe dazu, sein Klavierspiel zu verfeinern. „Ich habe zudem gelernt, dass in der Musik ein Konkurrenzdenken kontraproduktiv ist. Denn dann geht das Ganze nicht in die Tiefe, sondern brodelt an der Oberfläche weiter.“
U.a. arbeitete Tom Jahn bereits mit LaBrassBanda zusammen:
Tom Jahn betrachtet Musik in gewissem Maße nicht nur als Kunstform, sondern auch als Wissenschaft. Seine tiefgründigen Erklärungen, sein analytischer Blick auf das Gespielte lassen diesen Schluss zu. Trotzdem gibt es gewisse Dinge in der Musik, die nicht erklärbar sind. Die Geschmäcker sind eben unterschiedlich. „Gute Musik polarisiert“, weiß der 38-Jährige. „Ich habe meine Aufgabe erfüllt, wenn sich die Leute nach einem Konzert mit meinen Stücken beschäftigen.“ Er vergleicht einen Auftritt mit Bergsteigen ohne Sicherung. Man geht ein gewisses Risiko ein, hat aber gleichzeitig mehr Freiheit. Und dadurch entstünden neue Wege, also neue Klänge und Songs. „Wenn du zweifelst, spielst du dich selbst ins Aus.“
Außenseiter, weil „ich nicht Fußball gespielt habe“
Neben seinem Musikerdasein ist der gebürtige Waldkirchener als begeisterter Klavierpädagoge aktiv, gibt Workshops und leitet zahlreiche Nachwuchsensembles. Die von ihm geleitete „Bigband Dachau“ wurde im letzten Juli sogar zum international bekannten Jazzfestival Montreux eingeladen. „Ich liebe Kinder und arbeite auch gerne mit ihnen. Doch ein großer Teil der Woche bleibt der musikalischen Arbeit vorbehalten. Denn nur, wenn ich frei bin, kommt die Energie ungebremst auf mich zurück – und ich kann kreativ sein.“ Worte, die hochgeistig klingen, fast auch ein bisschen esoterisch. Erklärungen, die man sich nicht bildlich darstellen kann. Eine Einstellung, die Tom Jahn während der Schulzeit zum Außenseiter hat werden lassen. „Klar war ich das“, gibt er zu. „Aber nicht nur wegen der Musik, sondern auch, weil ich nicht Fußball gespielt und Hochdeutsch gesprochen habe.“
Diese Erfahrungen brachten ihn jedoch nicht von seinem Weg ab. 2000 begann er sein Musikstudium („das war alternativlos“) – zunächst in München, dann in Würzburg. Angetrieben von der prägenden Willeitner-Zeit wusster er genau, wohin er wollte – ins professionelle Musikgeschäft. „Natürlich waren meine Eltern, ein typischer Beamtenhaushalt, besorgt, weil ihr Sohn freiberuflicher Künstler werden will. Dennoch haben sie mich immer unterstützt.“ Und es hat sich – zumindest aus Sicht von Tom Jahn – gelohnt. Er hat sich – inzwischen in Augsburg lebend – mehrere Standbeine aufgebaut, gibt Konzerte, schreibt Musiklehrbücher und gibt auch Unterricht im Umkreis von München. Der Aufwand ist groß, der Verdienst im Vergleich dazu eher gering. „Um in der Musik erfolgreich zu sein, muss man 150 Prozent geben, damit man 100 Prozent kommunizieren kann.“
Nur richtige Typen können Musik machen
Eine „Kosten-Nutzen-Rechnung“, die auf den ersten Blick mehr als unrentabel erscheint. Für Tom Jahn jedoch spielt das Materielle nur eine untergeordnete Rolle. Er ist davon überzeugt, dass er durch seine Musik „die Welt um einen Promilleanteil verbessern“ kann, indem er die Menschen zum Nachdenken anregt. „Musik berührt, wühlt auf, stellt Fragen, tröstet, nervt, macht verliebt oder lässt einen tanzen. Und genau diese Gefühle, abseits des industrialisierten Retortenpops, sind in der heutigen, schnelllebigen Zeit wichtig.“ Eine Oase der Ruhe, ein Kraftquell ist dabei für ihn immer der Bayerische Wald geblieben. Hier, in seiner Heimatregion Waldkirchen, kann er abschalten, seinen Gedanken freien Lauf lassen. Deshalb sei es für ihn auch eine große Versuchung, ganz zurückzukehren. „Es hat sich was getan im Woid. Immer mehr kreative Leute kommen hier zu Wort. Die Strukturen sind besser geworden. Die Kultur ist im Aufschwung.“
Eines seiner Projekte: Die Bigband Dachau:
Kultur bedeute für Tom Jahn sowohl handfeste Volksmusik, die auf dem Volksfest und im Biergarten für Stimmung sorgt, als auch hypnotischer Techno und auskomponierte (Jazz-)Musik, die fragil und komplex ist – und eben auf dieser Ebene Gefühle übermittelt. Musik, zu der es immer Typen braucht, Individualisten und Visionäre, Begeisterte und welche, die sich trauen „einfach mal rumzuspinnen“- kurz: mutige, kreative Menschen. „Und davon sind im Woid genügend vorhanden“, wie Tom Jahn findet. Er selbst ist der beste Beweis dafür.
Helmut Weigerstorfer