Ich esse gern Fleisch. Es schmeckt mir. Ein rosa gebratenes Steak. Ein gut paniertes Pfannenschnitzel. Ein zarter Schweinsbraten mit rescher Kruste. Ein saftiger Gickerlhax im eigenen Bratenfett mit Petersilkartoffeln. Fleischpflanzerl, gebraten in Butterschmalz. Oder ein Rinderbraten in sämiger Rotweinsoße. Da läuft mir glatt beim Schreiben die Spucke im Mund zusammen. Dir auch? Ich hör schon auf…
Ja, ich hör auf. Wirklich. Und zwar mit dem Fleischessen. Bei mir geht das schrittweise. Mittlerweile bin ich an dem Punkt angelangt, dass ich kein Fleisch mehr aus konventioneller Tierhaltung esse. Damit meine ich Rinder und Schweine, die ihr Leben lang im Stall stehen, denen oft kein Platz zum Umdrehen zugestanden wird, die auf Spaltenböden stehen, die Fertigfutter und Silage fressen müssen. Die schnell mastreif gefüttert werden und dann in Schlachthöfe gefahren werden. Dazu werden sie auf Viehwägen getrieben. Das läuft nicht sachte und friedlich ab, tut es nicht, nein. Und im Schlachthof werden die gestressten Tiere, die insgesamt ein beknacktes Leben hatten, dann getötet. Dann landen sie als Lebensmittel in der Metzgerauslage, abgepackt im Supermarkt, abgefüllt in Hundefutterdosen – und natürlich auch auf dem Teller in der Gastronomie.
Wir heißen Tierleid nicht gut – trotzdem essen wir Fleisch
Wir kennen mittlerweile alle diese Bilder. Besser gesagt – wir müssten mittlerweile alle diese Bilder eigentlich kennen. Das Fernsehen ist voll davon. Voller traurig dreinblickender Schweineaugen, voller geprügelter Rinder, die nicht in den Viehtransporter steigen wollen, voller fliegengesprenkelter Ferkelchen, die tot neben ihrer Muttersau liegen, voller nach vorn kippender Truthähne, die ob ihrer überzüchteten Brüste das Gleichgewicht nicht mehr halten können. Wir kennen diese Bilder – die flauschigen Küken, die am Fließband aussortiert werden, die nur halb geschossenen, weil schlecht getroffenen Rinder im Schlachthof, die panisch quiekenden Schweine, von denen so manches den Viehtransport nicht überleben wird. Kennen wir alles. Kann ich nicht sehen! sagt da so mancher. Aha! Und weil? Weil dann das Würstel braun gebraten auf dem Teller liegt und so rein gar nichts mit all dem Elend zu tun hat. Es duftet einfach nur – und wir wollen es essen.
Psychologen nennen dieses Phänomen Fleisch-Paradox. Wir wissen um die Zustände in der Massentierhaltung bzw. der konventionellen Tierhaltung. Wir heißen Tierleid nicht gut. Und trotzdem essen wir weiterhin Fleisch von eben diesen Tieren. Das eine wird mit dem anderen nicht unmittelbar in Verbindung gebracht. Dabei hängt es natürlich unmittelbar zusammen: Entscheide ich mich als Konsument für Fleisch und Wurst aus konventioneller Tierhaltung, unterstütze ich auch die Missstände, die damit unweigerlich einhergehen.
Ein anderes psychologisches Phänomen von uns Fleischessern ist der sogenannte Karnismus – die tief in unserer Kultur verwurzelte Ideologie, Fleisch zu essen. Und zwar Fleisch von bestimmten Tieren – nicht vom süßen Kätzchen oder vom treu dreinschauenden Dackel. Das ist bäh, das geht doch nicht! Ferkel und Kälbchen – zwar auch süß, kann man aber essen. Dem Begriff des Karnismus bin ich zum ersten Mal im Dokumentarfilm „Hope for all„ begegnet. Es war der zweite Film in meinem Leben, der es tatsächlich verändert hat.
Wo sind die Schweine und Rinder und das ganze Geflügel – wo?
Angefangen hat alles mit Erwin Wagenhofers „We feed the World“ aus dem Jahr 2005. Vor also rund 13 Jahren sah ich unter anderem, wie es in der Hähnchen-Massentierhaltung zuging. Maschinell, schnell, dreckig, Antibiotika, zack, zack. Und wir wissen es: Kein Platz, völlige Überfüllung, kleine Fressmaschinen, die sich aus Langeweile und nicht-artgerechter Haltung gegenseitig anpicken, denen die Füße in der eigenen Scheiße abgeätzt werden. Und das, um dann als magere, eiweißhaltige, figurfreundliche Streifen auf Salat zu landen? Nicht mit mir. Seitdem habe ich kein Hähnchen und keinen Gickerl mehr gegessen, der in solchen Zuständen sein Leben verbrachte. Bekannte meiner Eltern füttern Gickerl selbst – und zwar nicht zu Hauf. Die laufen draußen herum, picken Grünzeug und Gewürm, scharren und tun, was sie als junges Geflügel tun müssen – und werden dann durch die Hand des Herrchens geschlachtet. So einen Gickerl lasse ich mir ab und zu schmecken. Dass er deswegen auch sterben muss, steht außer Frage.
Und nun also „Hope for all“. Hoffnung auch für mich? Definitiv! Die Dokumentation von Nina Messinger aus dem Jahr 2016 zeigt sehr eindrucksvoll, wie es Tieren in konventioneller Haltung ergeht – und wie ungesund unser extremer Fleischkonsum für uns selbst ist. Und auch: Wie viel Leid hinter unserer Milchwirtschaft steckt. Ich hab mich eingelassen auf den Film, konnte dennoch nicht immer hinschauen. Und ich hab geweint wie schon lange nicht mehr. Danach war mir klar: Ich nicht mehr. Ich esse kein Fleisch aus herkömmlicher Tierhaltung mehr. Und nur, weil wir auf dem Land leben, brauchen wir nicht glauben, dass hier die Tiere anders gemästet werden. Wo sind sie denn, die Tiere? Wo sind die Schweine und Rinder und Kälber und das ganze Geflügel – wo? Genau. Im Stall. Weil es nicht anzuschauen ist, wie konventionelle Tiermast funktioniert. Und – ob große oder kleine Metzgerei – das Fleisch stammt in der Regel aus gewöhnlicher Tierhaltung.
Hier könnt Ihr die Dokumentation „Hope for all“ in voller Länge anschauen:
Das ist nun gut zwei Monate her. Ich habe meine Konsequenzen endlich gezogen. Jahrelang habe ich mich mit dem Gedanken herumgeschlagen: Eigentlich müsste ich Vegetarier werden. Doch manchmal funktioniert es eben nur schrittweise. Vegetarier bin ich immer noch keiner. Aber fast. Bislang haben wir einen Bauern gefunden, der seine Rinder auf der Weide hält und selbst schlachtet. Und von ebensolchen „Freiland-Schweinen“ habe ich nun auch schon öfters gehört. Darum gekümmert habe ich mich noch nicht. Weil ich gar nicht so viel vermisse. Freilich steigt mir besonders im Sommer der Grillduft verführerisch in die Nase. Gerade beim Essengehen merke ich, was eigentlich los ist: Noch viel zu oft finden sich keine akzeptablen fleischlosen Alternativen auf den Speisekarten der Wirte. Immer nur Salat und Käsespätzle? Bittschön! Fleisch, Fleisch, Fleisch. Geh, leck…
Die kollektive Schuld, die wir uns als Menschen aufladen
Ich möchte weitergehen und weiterdenken. Wie kann es denn sein, dass wir so sehr trennen zwischen essbar und niedlich? Dass wir keinen Bezug zwischen dem Schnitzel in der Auslage und dem eingepferchten Tier im Stall herstellen (können)? Weil er uns eben fehlt, dieser Bezug. Weil wir Menschen ziemlich visuell ausgerichtet sind. Was wir nicht sehen, berührt uns nicht. Was wir nicht sehen, wissen wir nicht. Und wenn wir es doch sehen, bringen wir es oft dennoch nicht in Einklang mit unserem alltäglichen Handeln. Ich denke, der Grund liegt darin, dass wir in unserem Leben ganz grundsätzlich derart abgetrennt sind von unserem Erleben und unserer (Mit-)Gefühlswelt.
Wenn ich daran denke, wie viele Tiere tagtäglich leiden und sterben müssen, nur weil wir es so wollen – weil wir eben so oft Fleisch essen wollen –, dann wird mir ernsthaft schwer ums Herz. Dann flimmern all diese Bilder vor meinem Auge, dann wird mir diese riesige Menge an Tieren so bewusst, um die es da geht. Und um die kollektive Schuld, die wir uns damit als Menschen aufladen. Weil wir eben machen, was geht…
Ich denke an all die Bewegungen unserer Zeit, auch an all die damit einhergehenden Extreme. Und dann denke ich mir, dass eine echte Veränderung zunächst immer extrem sein muss, um zu gelingen. Wenn ich den Leuten erzähle, was ich selbst für mich verändert habe, reagieren sie ganz unterschiedlich. Viel nachgefragt wird da nicht. Der Vegetarier ist schon angekommen in unserer Gesellschaft. Und der Veganer ist auch gut dabei. Vielleicht wird aber auch nicht so viel nachgefragt, weil das aufkeimende schlechte Gewissen halt eine unangenehme Sache ist. Weil denken und reden halt immer einfacher ist als machen. Ich weiß es nicht – und ich möchte wahrlich nicht die „Frau Doktor Moralis“ hier mimen. Jedenfalls möchte ich mich nicht überhöhen, nur weil ich für mich selbst und mein eigenes Leben gewisse Entscheidungen getroffen habe.
Bis man sich die Gefühle irgendwann selbst „abtrainiert“ hat
Und zwar komplizierte Entscheidungen. Immerhin lasse ich mich nicht eindeutig in eine Schublade schieben. Ich bin ja kein Vegetarier. Da es aber auf dieser Welt nicht an Begrifflichkeiten mangelt, gibt es durchaus eine Bezeichnung für jemanden wie mich: Flexetarier. Teilzeit-Vegetarier sozusagen. Übrigens spreche ich auch mit meiner Familie über die Veränderung. Mein Sohn ist dreieinhalb Jahre alt und ein gewiefter Kerl. Noch überwiegt das Lustprinzip – er isst gern Fleisch und Würstl, obwohl er theoretisch weiß, dass dafür Tiere sterben müssen. Das darf er auch. Ich bin keine, die irgendwem was vorschreiben möchte.
Die Sache mit dem Tod fasziniert meinen Sohn aber sehr – die Endgültigkeit, die dahinter steckt, kann er wohl noch nicht erfassen. Was er aber durchaus kann, ist Mitgefühl haben. Und da sind wir wieder beim Mitgefühl, also dem Gefühl, das wir anderen Lebewesen entgegenbringen. Weg vom Ich und hin zum Du. Ein Gefühl, das in uns allen lebt, weil es zutiefst menschlich ist, weil es die Liebe zum Lebendigen bezeugt. Und dieses Gefühl fängt – wie es mit allen Gefühlen so ist – bei uns selbst an. Nun ist es so ein Kreuz mit den Gefühlen, weil sie als unpraktisch und sentimental abgetan und darum allzu oft nicht ernstgenommen werden – bis man sie sich irgendwann selbst „abtrainiert“ hat.
Nein, ich schweife nicht ab. Denn ohne Gefühl und ohne Mitgefühl fällt es leicht, Fleisch zu essen. Wie es mit mir weitergeht, kann ich noch nicht sagen. Wahrscheinlich esse ich irgendwann gar kein Fleisch mehr. Noch bin ich auf der Suche nach Alternativen.
Zum Bauern, der seine Schweine auf der Weide leben lässt und anschließend selbst schlachtet und direkt vermarktet, werde ich demnächst Kontakt aufnehmen. Ich kann gut leben damit, wenig Fleisch zu essen. Auf Wurst kann ich gut und gerne verzichten. Die Sache mit der Direktvermarktung finde ich übrigens ziemlich gut. Regional und so – muss nicht mal „bio“ sein. Und wer auf dem Land lebt, findet mit ein bisschen gutem Willen auch eine gute Eierquelle – und kann sich Supermarkt-Massen-Eier sparen. Momentan experimentiere ich übrigens gerade mit Milchersatz. Schwieriges Thema. Manches schmeckt mir überhaupt nicht, manches kommt von weit her und wird aufwändig hergestellt. Ja, noch esse ich auch Käse und Butter. Aber die Sache mit den Kälbern und Kühen gefällt mir überhaupt nicht…
Ja, es kostet Zeit, Nerven, Tränen und Gewohnheiten…
Was? Da dürfte man ja gar nichts mehr essen! Kann ich nicht mehr hören, den Satz. Gilt nicht! Ausrede! Ja, es kostet Zeit, Nerven, Tränen und lieb gewonnene Gewohnheiten, sein Essverhalten zu verändern. Allerdings ist es das wert. Ich zumindest möchte zunehmend glaubwürdiger handeln – für mich. Ich schaff das einfach nicht mehr – gewisse Dinge zu wissen und zu verstehen und dennoch gegenläufig zu handeln. Word. „Frau Doktor Moralis“ hat gesprochen…
Eva Hörhammer
Liebe Eva Hörhammer,
diesen Bericht habe ich mit großem Interesse gelesen. Ich glaube, dass diese Frage, nämlich ob wir weiterhin Fleisch essen sollten/ dürfen, obwohl wir wissen, welches Leid oftmals dahinter steckt, sehr viele Menschen bewegt.
Natürlich spielen da Emotionen mit und das ist gut so. Ich selbst habe mich in der Jugend fast 10 Jahre lang fleischlos ernährt – damals war Makrobiotik eine Alternative.
Immer wieder habe ich mich gefragt, ob man das Thema nicht auch „irgendwie rational“ angehen müsste, um mehr Klarheit zu gewinnen. Ich habe es mal versucht im Dialog mit einigen Bloggern, habe das Experiment dann wieder abgebrochen. Vielleicht lohnt es sich, es weiter zu führen? Hier der Beginn:
https://tierethiksite.wordpress.com/2017/07/23/tierethik/
Danke dafür, dass Sie dieses komplexe Thema öffentlich angesprochen haben.
Lieben Gruß
Nadia aus Bad Birnbach
Sehr geehrte Frau Hörhammer,
ich teile ihre Kritik in Bezug auf unser Verhältnis zu Fleisch. Ich denke die meisten Schweine müssten an Altersschwäche sterben, wenn jeder seine Sau persönlich stechen, ausbluten, ausnehmen und zerlegen müsste. Diesen unangenehmen Job dürfen bei uns gerne osteuropäische Arbeiter machen.
Aber eins stört mich immer an der Berichterstattung und zwar das Wort Massentierhaltung. Was ist Massentierhaltung? Geht es einer Kuh die mit 150 anderen in einem modernen Laufstall untergebracht ist schlechter als einer Kuh die in einem finsteren Loch mit fünf anderen an der Kette hängt? Geht es einem Tier besser, weil es mit fünf anderen auf 5qm untergebracht ist, als mit 50 anderen auf 50qm?
Ich glaube es nicht und finde daher die pauschale Kritik „Massentierhaltung“ unangemessen und nicht zielführend. Meines Wissens war z. B. den Bio Landwirten die Anbindehaltung noch lange erlaubt als konventionelle schon viel höhere Auflagen hatten.
PS: Ich bin kein Landwirt, aber auf dem Land aufgewachsen und kenne alte und neue Ställe.