Fürholz/Freyung. Wie sah sie aus, die Kindheit in Bayern? Welche Kindheitsmomente waren prägend für den restlichen Verlauf des Lebens? Und: Gibt es dazu Film- und Fotomaterial, die jene Momente widerspiegeln? Diese und noch viele weitere Fragen haben sich das niederbayerische Autorenpaar Julia und Robert Grantner in ihren Fernsehdokumentationen aus der BR-Reihe „Unsere Kindheit in Bayern“ gestellt.
Über das Onlinemagazin da Hog’n hatten die beiden Filmemacher einen großen Aufruf gestartet. Gesucht worden sind dabei Menschen aus der Region, die sich noch lebhaft an ihre Kindheit erinnern können und die über private Filmaufnahmen aus ihren jungen Tagen verfügen. Zahlreiche Rückmeldungen wurden ausgewertet, am Ende schafften es gleich zwei Geschichten in die Dokumentation: die von von Inge Artinger aus Hengersberg und deren Bruder Gerhard Cerny, der mittlerweile in München lebt, sowie die von Erwin Blumenstingl aus Fürholz in der Gemeinde Grainet.
„Und dann haben wir Winnetou abgedreht – nach Drehbuch!“
Auch er hatte sich bei den beiden BR-Autoren gemeldet. Er habe eine ganze Menge alter Filmrollen – und sogar noch ein Abspielgerät. Als Julia und Robert Grantner wenige Wochen später bei ihm und seiner Frau Bärbel auf der Couch sitzen und sich die alten Aufnahmen anschauen, ist schnell klar: Das muss in den Film!
Erwins Vater betreibt in den 60er Jahren eine Bäckerei in Fürholz. Das Geschäft läuft gut, es gibt viel zu tun. Der Papa hat zwar selten Zeit für seine beiden Söhne – aber wenn, dann hält er oft richtig schöne Erlebnisse für sie parat. So kam es auch dazu, dass aus dem kleinen Erwin ein echter Winnetou wurde. Aber der Reihe nach…
Als Anfang der 60er Jahre die Winnetou-Filme mit Pierre Brice und Lex Barker gerade die Kinos erobern, ist Erwin noch ein kleiner Bub. Zusammen mit seinem Bruder bekniet er seinen Vater schließlich so lange, bis der ihnen zwei Ponnys kauft. Und was macht man, wenn man schon zwei Ponnys hat? Richtig! Man spielt die berühmten Film-Szenen einfach nach. Und so kam es, dass zwei kleine Bayerwald-Buam verkleidet auf ihren Pferden über die Fürholzer Wiesen geritten sind.
„Und dann haben wir Winnetou abgedreht – nach Drehbuch! Dann hat es einen Kampf geben müssen, weil Friede Freude Eierkuchen ist beim Winnetou auch nicht. Und dann haben wir gekämpft; und einmal hat der den abgeführt und einmal der den anderen – damit es ja keine Streitereien nicht gibt! Dass keiner beleidigt ist! Das sind die Geschichten, die meine Eltern, wenn sie sich Zeit genommen haben, dann auch wirklich Zeit hatten – und solche Sachen auf die Füße gestellt haben.“
„Fürholz hatte damals 7 Wirtshäuser – und jedes hatte sein Auskommen“
Doch das war bei Weitem nicht das einzige Schmankerl in Erwin Blumenstingls Filmesammlung. Wie lustig es in dem kleinen Dorf damals zugegangen sein mag, belegen zwei weitere Beispiele: Einmal sieht man die halbe Dorfgemeinschaft in der Wohnstube bei Erwin zuhause sitzen. Sie feiern, singen und tanzen, als ob es kein Morgen gäbe.
„Fürholz hatte damals 7 Wirtshäuser! 200 bis 250 Einwohner, aber 7 Wirtshäuser! Und jedes hatte sein Auskommen. Und wenn die Wirtshäuser dann doch mal zusperrten, dann brannte bei uns in der Bäckerei natürlich schon Licht, dann ging es bei uns weiter.“
Gefeiert wurde praktisch alles. Erst recht, wenn einer aus der Dorfgemeinschaft zur Bundeswehr einrücken musste. In fescher James-Dean-Frisur sieht man die jungen Burschen auf den alten Aufnahmen aus einem Holzhaus kommen – Arm in Arm, einer mit der Ziehharmonika. Und dann zieht auch schon ein Bulldog samt Anhänger ums Eck: Biertischgarnitur darauf, ein paar Kästen Bier – und so ging es dann auf nach Waldkirchen, wo damals noch ein aktiver Bahnhof war.
„Wir Buben sind mit den Rädern hinterher… War halt mal wieder etwas Abwechslung im Dorf, wenn ein Ladewagen mit einer Musik durchs Dorf zieht. Uns Buben ist im Dorf nichts entgangen.“
Man wäre selbst gerne dabei gewesen, wenn man die alten Aufnahmen so sieht…
da Hog’n
Über die Autoren: Julia und Robert Grantner haben beide beim Bayerischen Rundfunk volontiert und arbeiten dort als feste freie Autoren für verschiedene Redaktionen. Julia stammt aus Vilsbiburg bei Landshut, Robert aus Zenting. Gemeinsam wurden sie 2015 mit dem Förderpreis für junge Journalisten des bayerischen Genossenschaftsverbands ausgezeichnet. 2018 erhielten sie für ihre Dokumentation „Mobben bis einer durchdreht? Der Amoklauf am OEZ“ den ersten Preis beim Sozialcourage-Medienpreis der Caritas.