Bodenmais. Die Situation ist gewiss nicht einfach, um nicht zu sagen dillemmatisch: Seit etwa zwei Wochen sind die Bayerischen Staatsforsten am Kleinen Arber – nur ein paar Höhenmeter oberhalb der Chamer Hütte – mit der Aufarbeitung eines Windwurfs beschäftigt. Dort, wo die Landkreise Regen und Cham aneinander grenzen, besteht seit den 90er Jahren ein Auerwildschutzgebiet. Der Forstbetrieb setzt bei den Arbeiten schweres Gerät ein, um das Holz vom Berg ins Tal zu befördern. Der Maschinenlärm ist von Weitem vernehmbar. Dabei befinden sich die Auerhühner gerade in der Aufzucht- und Brutzeit, in der sie nicht gestört werden dürfen…
![](https://www.hogn.de/wp-content/uploads/2018/06/Kleiner-Arber_Chamer-Hütte-600x450.jpg)
Kleiner Arber mit Schutzhaus „Chamer Hütte“. Die Arbeiten finden vor allem auf der Oberpfälzer Seite des Schutzgebietes im Landkreis Cham statt, wie das Landratsamt Regen auf Anfrage mitteilt. Foto: da Hog’n/Facebook
„Die Arbeiten mussten umgehend durchgeführt werden, um einen Befall durch Borkenkäfer zu verhindern“, teilt Heiko Langer, Pressesprecher am Landratsamt Regen, auf Hog’n-Anfrage mit. Eine Information, die dieser nach Rücksprache mit Jürgen Völkl, Forstbetriebsleiter der Bayerischen Staatsforsten am Forstbetriebs Bodenmais, erhielt.
Forstbetrieb-Rücksichtnahme „im Rahmen seiner Möglichkeiten“
Normalerweise ist es laut der Neufassung der landkreisüberschreitenden Verordnung „über das Wildschutzgebiet für Auerwild ‚Arber‘ im Bereich Mühlriegel/Großer Arber/Bretterschachten“, die am 1. November 2015 in Kraft trat, verboten, das Wildschutzgebiet „während der Zeit vom 1. November eines Jahres bis zum 30. Juni des nächsten Jahres zu betreten oder zu befahren“. Ausnahmen werden unter Paragraph 4 zusammengefasst, wo es unter anderem heißt: „Unberührt von dem Verbot bleibt die Nutzung markierter Wander- und Fahrradwege sowie markierter Loipen, Schneeschuhrouten und Skitouren.“ Ebenso unberührt von dem Verbot bleibe „die ordnungsgemäße land- und forstwirtschaftliche Bodennutzung“.
Friedrich Schuhbauer vom Landratsamt Cham erläutert dazu: „Die in der Verordnung enthaltenen Ausnahmen ergeben sich u.a. aus den grundgesetzlich garantierten Eigentumsrechten oder aus der Abwägung gleichrangig gegenüberstehender Rechts- und Schutzgüter. So ist ein Waldbesitzer zum Beispiel gesetzlich verpflichtet, Windwurf wegen drohender Borkenkäferkalamität unverzüglich aufzuarbeiten.“ Größere Bewirtschaftungsmaßnahmen würden mit den Bayerischen Staatsforsten als Waldeigentümer so abgesprochen, dass die Maßnahmen in den unkritischen Monaten August bis Oktober stattfinden.
„Die Verordnung wurde zusammen mit fachkundigen Personen entwickelt und stellt einen realistischen Kompromiss dar, um einen wesentlichen Störfaktor für das Auerwild in den Griff zu bekommen“, heißt es dazu aus dem Landratsamt Regen. „Wenn man weitere Einschränkungen – etwa hinsichtlich der forstlichen Nutzung machen wollte – müsste man ein Naturschutzgebiet ausweisen. Dies fällt aber nicht in unsere Zuständigkeit, hier wäre die Regierung von Niederbayern zuständig.“ Der Forstbetrieb, so Langer weiter, nehme generell „im Rahmen seiner Möglichkeiten“ Rücksicht auf das Auerhuhnvorkommen.
Dies bestätigt auf Hog’n-Anfrage auch der Bodenmaiser Forstbetriebleiter Jürgen Völkl, der für das mehrere Tausend Hektar große Waldgebiet zwischen Mitterfels und Grafenau verantwortlich zeichnet. Seit dem Schneeabgang rund um Ostern seien er und seine Männer in dem Gebiet mit der Aufarbeitung der „üblichen Winter-Windwürfe“, verursacht durch vereinzelte Stürme, beschäftigt. „Obervater Sturm hat die Bäume umgelegt“, wie Völkl es nennt. Einen einzelnen größeren Windwurf habe es nicht gegeben. Die allgemeinen Aufräumarbeiten sollen der schnellen Ausbreitung des Borkenkäfers, gerade bei den aktuell auftretenden Höchsttemperaturen von bis zu 30 Grad, entgegenwirken.
Weiterer Störfaktor: Sanierungsarbeiten an der Chamer Hütte
Die abzuwägende Entscheidung lautet demnach: Den Borkenkäfer frühzeitig bekämpfen und somit in Kauf nehmen, dass der Lebensraum der Auerhuhn-Population gestört wird? Oder: Das Auerwild auf keinen Fall stören, das Borkenkäfer-gefährdete Windwurf-Holz erst zu einem späteren Zeitpunkt entfernen – und somit Gefahr laufen, dass sich der Schädling ungezügelt vermehren kann? Vor Jahren, so Völkl, als es galt, mehr als 150.000 Festmeter Holz aus dem Auerwildschutzgebiet zu räumen, sei man mit dem damaligen Leiter der höheren Naturschutzbehörde der Regierung von Niederbayern und dem heutigen Leiter des Nationalparks Bayerischer Wald, Dr. Franz Leibl, überein gekommen, dass die Käferbekämpfung in den höheren Lagen Vorrang habe. „Es gilt: Käferholz vor Auerhuhn“, sagt Jürgen Völkl. „Wir nehmen in Kauf, das Auerwild kurzfristig zu stören und den Käfer zu bekämpfen, um das Gesamtgebiet in Takt zu halten“.
![](https://www.hogn.de/wp-content/uploads/2018/06/Auerwildschutzgebiet_Karte.jpg)
Das Auerwildschutzgebiet hat eine Größe von 2.755 Hektar und erstreckt sich vom Mühlriegel über den Kleinen und Großen Arber bis hin zum Bretterschachten. Grafik: Naturpark Bayerwald
Neben den Aufräumarbeiten durch die Bayerischen Staatsforsten gab es in den vergangenen Wochen einen weiteren potenziellen Störfaktor für das Auerwild: An der Chamer Hütte sind Renovierungsarbeiten durchgeführt worden, das Blechdach wurde erneuert – „ebenfalls über Wochen lautstark“, wie Augenzeugen berichten. „Diese Arbeiten sind nicht genehmigungspflichtig und vermutlich aus praktischen Überlegungen während der Schließzeiten der Hütte durchgeführt worden“, erläutert Pressesprecher Langer dazu. Die Hütte ist seit dem 9. April geschlossen und öffnet am 15. Juni wieder ihre Pforten. Der Grund für die jährlich wiederkehrende Schließung: die Brutzeit der Auerhühner. Heiko Langer beschwichtigt jedoch: „Der Bereich im unmittelbaren Umgriff der Hütte wird ohnehin von den Auerhühnern weitgehend gemieden, da hier ja immer Störungen bzw. Beunruhigungen durch die Vielzahl der Gäste gegeben sind.“
Warum die Chamer Hütte – trotz der offensichtlich jährlich stattfindenden, lärmverusachenden Windwurf-Beseitigungen sowie der heuer zusätzlich durchgeführten Sanierungsarbeiten, die ebenfalls beeinträchtigende Wirkung auf das Auerwild haben können – erst zu einem relativ späten, vom Landratsamt Regen festgelegten Zeitpunkt öffnet (15. Juni), stößt indes bei einigen Wandererfreunden aus dem Bayerischen Wald auf Unverständnis. „Dass die Hütte aus Naturschutzgründen bei dem, was jedes Jahr da oben los, nicht öffnen darf, ist totaler Quatsch und einfach nur absurd“, heißt es da etwa in den sozialen Medien.
„…und damit das Auerwild im Bayerischen Wald zu erhalten“
Auf der Internetseite naturpark-bayer-wald.de steht in Sachen Wildschutzgebiet für Auerwild geschrieben: „Zweck des Wildschutzgebietes ist es, das vor allem durch den nicht gesteuerten Besucherverkehr in seinem Bestand gefährdete Auerwild vor Störungen während des Winters sowie während der Balzzeit und der Brut- und Aufzuchtzeit zu bewahren und damit das Auerwild im Bayerischen Wald zu erhalten.“
da Hog’n