„Es allen Menschen recht getan, ist eine Kunst, die keiner kann.“ Dieses alte Sprichwort mag in der unendlichen Vielfalt, die die Musik uns bietet, eigentlich gar nicht so richtig greifen – möchte man meinen. Schließlich kann man sich aus dem Angebot – manche würden es schon Überangebot nennen – ja genau das aussuchen, was einem gefällt. Der geschmacklichen Vielfalt sind scheinbar keine Grenzen gesetzt. Umgekehrt wird allerdings dann doch ein Schuh draus: Wenn man es als Musiker (respektive Band) nämlich schafft, eigentlich gegensätzliche Stilrichtungen so zu verknüpfen, dass alle Beteiligten glücklich gemacht werden, dann ist das durchaus eine nicht leicht zu erlernende Kunst. Man hat’s, oder man hat’s eben nicht, sozusagen…

Die Amis von Spock’s Beard sind seit über einem Vierteljahrhundert ein Beispiel für eben diese Kunst. Ähnlich wie Rush oder Marillion schaffen sie es nämlich scheinbar spielerisch, hochanspruchsvolle Progressive-Rock-Epen so zu komponieren, dass auch der eher unbedarfte Pop-Nebenbeihörer Gefallen daran finden kann.

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Zwölf Songs, die zur Dauerrotation einladen

Gegründet wurde die Band 1992 von den Brüdern Neal und Alan Morse. Alleine die Geschichte von Neal Morse würde Seiten füllen – und es bleibt zu hoffen, dass jemand sich mal hinsetzt, um das Leben dieses Ausnahmemusikers aufzuschreiben. Nicht nur prägte er die ersten zehn Jahre der Band mit seinen Kompositionen, sondern legte auch nach seiner Bekehrung zum Christentum, die mit der Trennung von der Band und einer – Gott (jawoll!) sei Dank – vorübergehenden Musikabstinenz einherging, eine immens große Produktivität auf einem schwindelerregend hohen Niveau an den Tag. Man denke nur an den Transatlantic-Hammer „The Whirlwind„, einer 80-Minuten-Komposition aus dem Jahr 2009, die er mit den hochkarätigen Kollegen Roine Stolt (Gitarre, The Flower Kings), Mike Portnoy (Schlagzeug, ex-Dream Theater), Pete Trewawas (Bass, Marillion) und Daniel Gildenlöw (Keyboards und Percussion, Pain Of Salvation) ein Jahr später auch auf einem gigantischen Live-Album konservierte.

„Spock’s Beard“ mit Alan Morse (v.l.), Ted Leonard, Ryo Okumoto und Neal Morse. Foto: InsideOut Music

Aber es soll an dieser Stelle ja nicht um Neal Morse gehen. Denn der Rest von Spock’s Beard mit Bruder Alan Morse (Gitarre, Gesang), Dave Meros (Bass, Gesang, Keyboard), Ryo Okumoto (Keyboards, Gesang) und Ted Leonard (Gesang, Gitarre) legt mit seinem 13. Album, der Doppel-CD „Noise Floor“, dieser Tage via InsideOut Music eine echte Sternstunde des anspruchsvollen Prog-Rocks mit Pop-Appeal vor. Die zwölf Songs, von denen nur der großartige Abschlusstrack „Armageddon Nervous“ mit seinem völlig abgespacetem Keyboard und dem zum Titel passenden, hektischen Rhythmus unter der Marke von vier Minuten ins Ziel geht, laden trotz der XXL-Spielzeit von etwa 70 Minuten zur Dauerrotation ein.

Und das Album ist voller weiterer Höhepunkte. Etwa der angenehm flotte und sehr eingängige Opener „To Breathe Another Day“ oder die mit einem verspielten Orgel-Gitarren-Riff und den Jethro-Tull-Akustik-Anleihen – eigentlich fehlt da nur noch die Ian-Anderson-Gedächtnisflöte – versehene Welt-Zustandsbeschreibung „Have We All Gone Crazy Yet“. Der Track „What Becomes Of Me“ schnuppert mit seinem leicht dramatischen Beginn tatsächlich James-Bond-Titellied-Luft – auch wenn sich im Strophen- und Refrainteil alles in harmonisches Wohlgefallen auflöst.

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Eine einzige, wohlschmeckende und zuckersüße Sahneschnitte

Einige klassische Einflüsse gibt’s im Intro von „Somebody’s Home“ mit Akustikgitarre und einem Fagott aus dem Keyboard zu vernehmen, während „So This Is Life“ eine absolut relaxte Wohlfühlballade mit Zurücklehnfaktor zehn ist. „So ist das Leben eben“, möchte man da seufzen und sich mit einem Kaltgetränk entspannt zurücklehnen. Der Gesang ist leicht verfremdet, was aber eher so in die experimentelle Beatles-Richtung geht und zudem durch die Eagles-artigen Twin-Gitarren und den Harmoniegesang gleich wieder im positiven Sinne aufgeweicht wird. Weitere Glanzpunkte sind „Box Of Spiders“ mit seiner dann doch mal extrem verschachtelten Struktur und das wiederum supereingängige „Bulletproof“.

Und so geht es auf „Noise Floor“ – warum eigentlich „Noise“? Lärm oder Geräusch gibt es auf dem Album nun wirklich nicht zu hören – weiter. Ehe man es sich versieht, ist die gute Stunde rum und man möchte gleich wieder zu „To Breathe Another Day“ zurückgehen und die Prog-Runde mit Wohlfühlfaktor auf ein Neues hören. Das Album ist wirklich eine einzige, wohlschmeckende und zuckersüße Sahneschnitte. Von vorne bis hinten.

Gut gemacht, Jungs! Und jetzt vereinigt euch endlich wieder komplett mit Neal, denn man traut sich gar nicht auszudenken, welche Göttergaben aus dieser Kombination noch entstehen könnten…

Wolfgang Weitzdörfer

 

Spock’s Beard: Noise Floor
  • VÖ: 25. Mai 2018
  • Label: InsideOut Music
  • Songs: 12
  • Spielzeit: 68:58 Minuten
  • Preis: ca. 18 Euro


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