Perlesreut. Die Marktgemeinde Perlesreut stellt eine Fläche, auf der ein Wohngebiet entstehen soll, zur Verfügung – und die Bürger entscheiden, wie das Ganze umgesetzt werden soll. Auf den ersten Blick klingt diese Idee gleichermaßen einfach und gut. Auf den zweiten Blick sind für das Projekt „Neues Wohnen Perlesreut“ (wir berichteten) jedoch viele Gespräche, Termine und ein langer Planungszeitraum vonnöten, um alle Interessen unter einen Hut zu bekommen. Nachdem die Phase I, die unmittelbare Miteinbeziehung der Bürgerschaft, inzwischen abgeschlossen ist, spricht Katharina Forster vom zuständigen Architekturbüro nonconform über die bisherigen Erkenntnisse, über das weitere Vorgehen – und vergleichbare Projekte.
Frau Forster, die Bürgerbeteiligung in Sachen „Neues Wohnen Perlesreut“ ist abgeschlossen. Können Sie uns mitteilen, welche Ideen gesammelt werden konnten bzw. wie sich die Perlesreuter Ihr neues Wohngebiet am Friedhof vorstellen?
Beim Prozess „Neues Wohnen in lebendiger Nachbarschaft“ in Perlesreut ging es darum, Rahmenbedingungen für ein Grundstück zu entwickeln und diese als Grundlage für den Entwurfsprozess einfließen zu lassen. Die Bevölkerung von Perlesreut und alle interessierten Menschen waren eingeladen, an mehreren Terminen die Bedingungen für eine Mehrfachbeauftragung mitzuentwickeln und dadurch den Verlauf und das räumliche Ergebnis der Entwürfe zu beeinflussen.
„Unsere Aufgabe: Zur richtigen Zeit die richtigen Fragen stellen“
Zu den formulierten Rahmenbedingungen zählten beispielsweise eine ausgewogene soziale Durchmischung, ein Angebot an kleineren und größeren Wohneinheiten, eine für den Ort Perlesreut angemessene Wohndichte, Gemeinschaftsflächen als Treffpunkte für soziales Leben am Areal, leistbares Wohnen für Menschen in allen Lebenslagen, Reduktion der Stellplätze pro Wohneinheit durch die Möglichkeit der Etablierung von Carsharing-Konzepten für das Zweit- oder Drittauto, Förderung eines lebendigen Austauschs bei gleichzeitiger Möglichkeit des privaten Rückzugs, Flexibilität der Grundrisse sowie eine gewisse Nutzungsoffenheit der Gemeinschaftsflächen.
Die Aufgabe unseres Büros im Prozess war es, die richtigen Fragen zur richtigen Zeit zu stellen, den Prozess kurzweilig zu moderieren und Impulse zum miteinander Weiterdenken zu geben sowie die Diskussionen zusammenzufassen und transparent zu gestalten. Weiters war es wichtig, den beteiligten Architekturteams die Rahmenbedingungen zu vermitteln sowie zwischen Architekturteams und Bevölkerung bei Bedarf zu übersetzten und Diskutiertes immer wieder zusammenzufassen und weiterzuentwickeln.
Wie blicken Sie generell auf die Termine zurück, an denen die Perlesreuter Ihre Ideen einbringen konnten?
Die Termine waren jeweils sehr gut besucht, das Projekt ist auf großes Interesse gestoßen. Die Diskussionen waren sehr fokussiert und wertschätzend sowie kurzweilig und unterhaltsam. Die Möglichkeit zur Beteiligung wurde rückblickend also gut angenommen. Die formulierten Rahmenbedingungen der Bevölkerung wurden von den Architekturbüros aufgegriffen und in die Entwürfe eingearbeitet. Das gekürte Siegerprojekt deckte die formulierten Bedürfnisse gut ab.
„Durch ungewöhnliche Aktionen ins Gespräch kommen“
Wie schwierig ist es, Bürger zu motivieren, ein derartiges Projekt in Ihrer Gemeinde umzusetzen?
Ein breiter Mix an Aktivierungsmaterialien ist notwendig, wie z.B. Banner, Flyer und Postwurfsendungen sowie persönliche Einladungen. Begleitend haben wir auch Bierdeckel in den Perlesreuter Gasthäusern verteilt, auf denen einige statistische Fakten zum Wohnen in Bayern kommuniziert wurden. Das Um und Auf ist es, durch ungewöhnliche Aktivierungsaktionen bei den Menschen ins Gespräch zu kommen.
Ebenso unerlässlich ist jedoch auch das Commitment des Gemeinderates zum Projekt und die Mitarbeit der Menschen vor Ort, aktiv zu den Terminen einzuladen und eine Beteiligung als Chance des Mitgestaltens zu vermitteln.
Wie geht es nun weiter?
Es gibt jetzt einen räumlichen Entwurf für das Projekt. Nun fehlt noch die Organisationsform für die zukünftige Bewohnerschaft. Es braucht also einen organisatorischen Entwurf. Mitte Juli wird es dazu ein erstes öffentliches Treffen geben. Bis zum Jahresende soll die Organisationsform der Gruppe feststehen – also Verein, Genossenschaft, etc. Die konkreten Bedürfnisse der Gruppe fließen dann wieder in die weitere Ausarbeitung des Siegerentwurfs ein. Auf dieser Basis wird dann auch die Entscheidung zu einer Finanzierungsstrategie erfolgen.
Gibt es bereits einen Zeitplan bis zur Fertigstellung?
Anfang/Mitte Juli werden als nächster Schritt nun mögliche Organisationsformen vorgestellt. Bis September soll darüber auch eine Entscheidung getroffen werden. Im Herbst erfolgt basierend darauf auch die weitere Ausarbeitung der Entwurfsplanung. Mit Jahresende wird die Finanzierungsstrategie in den Blick genommen.
„Im südbayerischen Raum ist dieses Projekt einzigartig“
Apropos Geld: Wie wird das Projekt finanziert?
Der bisherige Prozess zur Findung des räumlichen Entwurfes sowie zur Vermittlung und Aktivierung vor Ort wurde von der Obersten Baubehörde (Bauministerium) gefördert. Einen Teil der Kosten trug die Gemeinde Perlesreut selbst. Die Finanzierungsstrategie der Umsetzung wird nun begleitend entwickelt und ist natürlich abhängig von der Organisationsform und weiteren Entscheidungen.
Gibt es vergleichbare Projekte wie in Perlesreut? Wie haben sich diese entwickelt?
Zumindest im südbayerischen Raum ist dieses Projekt bisher einzigartig. Die Idee, gemeinschaftlich zu Bauen und zu Wohnen ist jedoch nicht neu und wurde bereits in vielen anderen Regionen und Städten angewandt. Derzeit gibt es z.B. in Pressbaum bei Wien ein Projekt namens B.R.O.T., ein Bewohner dieses Projektes war auch beim Prozess der Ideenfindung in Perlesreut dabei. Die Nachfrage nach einem Wohnumfeld, das auch sozialen Mehrwert schafft und das Potenzial zum Ressourcenteilen nutzt, steigt jedoch immer mehr.
Eindrücke von der Ideenfindung im Markt Perlesreut (Fotos: nonconform)
Die Belebung und die tatsächlich gelebte soziale Durchmischung in vergleichbaren Projekten ist natürlich neben räumlichen Gegebenheiten auch immer stark von der sozialen Organisationsform abhängig. Die Aufbauphase braucht andere Kompetenzen und teilweise auch viel Pioniergeist. Ein Kümmerer und eine Organisationsstruktur sind hier sehr zu empfehlen. Die Phase, in der die ersten Bewohner einziehen ist dann wiederum zu unterscheiden von Phasen, in denen es Bewohnerwechsel geben wird. Empfehlenswert hierfür sind klare Organisationsstrukturen und verteilte Kompetenzen sowie Transparenz.
„Solide Grundstruktur für ein lebendiges Zusammenleben“
Viele Baugruppen haben beispielsweise die Soziokratie als Organisationsprinzip gewählt, um die Mitverantwortung des Einzelnen im jeweiligen Wohnprojekt zu stärken. Diese Entscheidungen werden nun ebenfalls in der weiteren Phase thematisiert, um eine solide Grundstruktur für ein lebendiges Zusammenleben in Perlesreut zu entwickeln.
Vielen Dank für das Gespräch. Wir wünschen dem Projekt und Ihnen weiterhin alles Gute.
Interview: Helmut Weigerstorfer