Passau. Sonntagmittag, strahlender Sonnenschein. Zunächst Blindheit beim Hineintreten in den Zauberberg, gleich neben dem alten Uni-Copy-Shop am Klostergarten, im Erdgeschoss des Nikola-Wohnheims. Vom Hellen ins Dunkle. Von der Galerie geht es ein paar Stufen hinab, Bühne, Bar, Sofas, Sessel, Stühle, Tische. Über der Bühne ein blinkendes Schild: „Zauberberg“. Wieder eine Treppe hinauf in den künftigen Loungebereich. So sieht er aus, der neue Live-Club in Passau, der am 28. April ganz offiziell seine Pforten öffnen wird, während andernorts ähnliche Stätten schließen. Marlies Resch, Geschäftsführerin der Zauberberg gUG, und Christoph Danböck vom Musikförderverein Passau erzählen dem Hog’n von der kniffligen Reaktivierung der Location, reden über Pop- und Subkultur und philosophieren darüber, warum Livemusik der Bioapfel im Obstregal ist…
Draußen lässt es sich gut sitzen, während die Band vom Vorabend ihre Siebensachen in den Bus packt. „Wir haben schon lange eine Location gesucht, wo auch mal was unter der Woche möglich ist“, sagt Christoph. In der Zentrale des Musikfördervereins, der Tabakfabrik, ist das nicht möglich. Aus Lärmschutzgründen werden nur 18 Veranstaltungstage im Jahr von der Stadt genehmigt. Und im Zeughaus geht auch nichts mehr. Jährlich erreichen den Verein aber rund 1.500 Anfragen von Bands, die gern dort auftreten würden. Unmöglich, diesem Andrang gerecht zu werden. Bis, ja, bis Christoph und Marlies den Zauberberg entdeckten. Anfang 2016 machten die beiden den Vermieter ausfindig, der ihnen die einstige Discothek zeigte.
„Ein Live-Club ist keine Vergnügungsstätte“
„Uns blieb beiden der Mund offen stehen“, sagt Marlies und lacht. „Alles war da, die Infrastruktur hat gepasst.“ Ganze 20 Jahre lang war dort drinnen: nichts. Kaum vorstellbar, mitten in Passau. Damals, im Jahr 1996, musste die Disco schließen – aus Lärmschutzgründen. Die zulässigen 90 Dezibel wurden locker überschritten. „Eigentlich war das Gebäude für Büros geplant – aber mit der Zeit waren Wohnungen offenbar lukrativer“, sagt Christoph. Und damit wurde der „Lärm“ zum Problem. Ein Problem, das auch das ambitionierte Paar auf Trab halten sollte.
„Die Stadtverwaltung hat gleich ablehnend reagiert“, sagt Christoph. „Da hat es an grundlegendem Verständnis gefehlt: Ein Live-Club ist ein kulturelles Angebot und keine Vergnügungsstätte wie eine Diskothek.“ Also keine feuchtfröhliche Party bis in die Puppen, sondern Konzertgenuss, der spätestens um ein Uhr früh endet. „Der Zweck des Clubs ist ganz klar, die Nachwuchskulturszene zu fördern“, sagt Marlies. „Wir haben der Stadtverwaltung gesagt, dass wir – wie das Scharfrichter oder die Redoute – behandelt werden wollen.“ Ein frommer Wunsch…
Im Dezember 2016 mietete der Musikförderverein den Zauberberg für eine dreimonatige Testphase und beantragte in diesem Zeitraum Einzelveranstaltungen, um die „Lärmbelästigung“ auf den Prüfstand zu stellen. „Wir haben im Haus für die Bewohner einen Aushang mit der Bitte um Feedback gemacht. Es kamen gerade mal drei Leute – und die waren positiv eingestellt“, erzählt Christoph. Bis zum Impuls-Festival, bei dem die Band „Turbobier“ die Trommelfelle der Anwohner dann doch etwas überstrapazierte. Weitere Testkonzerte wurden seitens der Stadt gestrichen – ein Beschwerdebrief mit 31 Unterschriften verlangte die nächsten Schritte: Jetzt mussten bauliche Maßnahmen umgesetzt werden, um einem Lärmschutzgutachten standhalten zu können.
Test, Test – der Lärmschutz sitzt!
„Wir haben über 6.000 Euro investiert“, sagt Christoph. „Das war schon ein ziemliches Risiko.“ Aber eins, dass sich rechnen würde. Im August 2017 wurde das Gutachten erstellt, im September das Ergebnis präsentiert: Der Lärmschutz war nun doppelt so gut wie vorgeschrieben. „Das Ordnungsamt zeigte sich überrascht“, sagt Marlies. „Und hat uns nochmal eine Reihe Testkonzerte aufgebrummt.“
Warum das? Die beiden zucken mit den Schultern und ziehen die Augenbrauen bedeutungsschwer nach oben. Anstatt der drei verlangten Testkonzerte legten sie fünf vor – allesamt mit Top-Ergebnis. Also beantragte der Musikförderverein die Konzession – die Erlaubnis, den Club offiziell betreiben zu dürfen.
„Da hat die Stadt tatsächlich nochmal ein paar Testkonzerte verlangt“, sagt Christoph. „Das Impuls-Festival stand wieder an – und das wird von der Stadt gefördert. Da haben wir gesagt, wir machen nicht mit, wenn wir keine Konzession bekommen.“ Plötzlich ging alles schnell, plötzlich stellte sich ein „Missverständnis“ heraus. Marlies lacht und sagt: „Am Morgen des Festivalfreitags haben wir die Konzession abgeholt. Kein Witz.“ Seit Januar 2018 hat der Zauberberg also eine offizielle Daseinsberechtigung in Passaus kultureller Landschaft.
16.000 Euro per Crowdfunding – und „gutes Karma instantly“
Das Programmheft ist schön voll: An den Wochenenden – aber auch während der Woche – rührt sich was auf der Bühne. „Derzeit planen wir feste Öffnungszeiten“, sagt Marlies. „Die meiste Werbung läuft über Facebook und über die Homepage.“ Beide sind mit der Entwicklung in puncto Gäste und Bands zufrieden. „Wir bekommen viele Anfragen und positives Feedback von anderen Bookern, die unsere Crowdfunding-Aktion mitverfolgt haben“, sagt Marlies.
Die Crowdfunding-Aktion! Noch vor der Erteilung der Konzession hat die 29-Jährige diese ins Leben gerufen, weil sie das „schon immer mal machen wollte. Und es war super. Es kamen 16.000 Euro rein – von 120 Spendern“. Weitere 40 haben sich offline beteiligt. Für einen Fünfer gab es „gutes Karma instantly“, für höhere Beträge T-Shirts, Taschen, Freibier, freien Eintritt und VIP-Tickets mit Fahrservice. „Wir danken allen Unterstützern“, sagt Christoph und denkt schon an eine weitere Crowdfunding-Aktion: „Eine professionelle technische Ausstattung fehlt uns noch. Momentan behelfen wir uns noch mit Musik und Licht aus der Tabakfabrik.“
Das Hin- und Herschleppen wird auf Dauer jedoch keine Lösung sein. Und langfristig sollen bezahlte Jobs entstehen – bisher läuft alles ehrenamtlich, von der gesamten Organisation im Vorfeld bis hin zur Arbeit bei den Veranstaltungen. Das Kernteam besteht aus gut zehn Leuten, dazu kommen 30 sporadische Helfer.
„Die Stammgäste sind für Überraschungen zu haben“
„Wir wollen nicht reich werden damit – weil wir das als gemeinnützige UG auch gar nicht dürfen“, stellt Marlies klar. Darum sind die Eintrittspreise mit 8 Euro moderat. Wer will, kann mit einem Supporter-Ticket zu einem Zehner etwas mehr geben – und damit die Ermäßigungen ausgleichen. Auch die Getränkepreise sind fair. „Der Getränkeverkauf finanziert die Location, der Eintrittspreis die Veranstaltung“, fasst Christoph zusammen. Von den acht Euro pro Nase hat nicht nur die Band was, auch für Gema, Künstlersozialkasse und Mehrwertsteuer fällt was weg.
Dem Publikum ist das alles oft nicht bewusst. Aber es kommt – und das ist gut so. Vom Studenten bis zum Rentner ist alles vertreten, weil es keine bestimmte Zielgruppe gibt. Verlass ist auf die Stammgäste, „die gehen auf jedes Konzert und sind für Überraschungen zu haben“, sagt Christoph. Manchmal passiert es, dass wenig los ist, dann gilt es, die Veranstaltung zu überdenken. „Je länger die Vorlaufzeit ist, desto besser ist ein Konzert besucht“, sagt Marlies. „Wichtig ist es gerade bei unbekannten Bands, ein Konzept zu erstellen, bei dem vor allem das Genre angepriesen wird.“
Und Christoph ergänzt: „Fremde Bands ergänzen wir gern mit einer lokalen Supportband. Dadurch entstehen neue Kontakte und jeder hat was davon. Und wir wollen regionalen Bands die Möglichkeit für Austauschgigs geben – das war in der Vergangenheit mangels Spielort nicht möglich.“
Kultur als harter Standortfaktor – Konzerthaus vs. Live-Club
Marlies und Christoph erzählen weiter und irgendwann geht’s um Kultur und Subkultur. „Als Kultur wird das wahr- und ernstgenommen, was im Feuilletonteil der Zeitung steht“, sagt Christoph. „Und so werden auch die Fördergelder verteilt. Die so genannte Hochkultur kann aber ohne Subkultur nicht existieren.“ Darum stört er sich an diesen Begrifflichkeiten. „Nennen wir es lieber Popkultur – da geht es um die populäre Kultur, die sich durchgesetzt hat.“ Im Zusammenhang mit dem rechtlichen Hickhack bis zur erteilten Konzession hat ihn auch der Begriff „Lärmschutz“ gestört. „Kultur macht keinen Lärm“, sagt Christoph trocken.
Marlies stimmt ihm zu. Die gebürtige Vornbacherin und Sängerin der Band Flokati hat mit dem Verein Kunstwerk e.V. nicht nur das Rosa-Laub-Festival ins Leben gerufen, sondern schon in Rosenheim und Wien studiert. Kulturell hatte die österreichische Hauptstadt gewiss mehr zu bieten, zurückgekommen ist Marlies aber trotzdem: „Das Großstadtleben ist mir zu anonym – und die Lebensqualität stimmt hier in Passau einfach.“
Sie zitiert den Kulturwirtschaftsbericht, der Kultur als harten Standortfaktor nennt – dort, wo das kulturelle Angebot stimmt, leben die Leute also gern und sind eher dazu bereit, hierherzuziehen. „Die Politik denkt dabei aber zuerst an den Bau eines sündteuren Konzerthauses anstatt an die Unterstützung eines Live-Clubs“, sagt sie und lacht.
Handgemachte Musik oder Konserven-Blabla?
Auch Christoph war 15 Jahre weg, weiß, wie es anderswo läuft. Passau ist für den 40-Jährigen lebenswert, „weil man da alles hat, was man braucht. Die Förderung der Musikkulturszene hat halt noch Nachholbedarf“. Als einstiges Vorstandsmitglied des Musikfördervereins und Schlagzeuger der Bands Flokati und Cone weiß er, wovon er spricht.
Mit der Eröffnung des Zauberbergs sieht Christoph eine große Chance für die Bands aus Passau und dem Umland gekommen. Hier können sie ihr Können präsentieren. Er bringt das Beispiel Nashville: „Das ist eine Scheißstadt im Nirgendwo – aber hier musst du als Countrymusiker gewesen sein, wenn du was werden willst.“ Es liegt also nicht an der Geografie, sondern am Geschehen.
Ach – und die Livemusik überhaupt. Marlies und Christoph werden philosophisch, sprechen von Gratis-Bandschweiß und der musikalischen Prägung. Was kommt nach den Benjamin-Blümchen-Kassetten? Handgemachte Musik oder Konserven-Blabla? Sie vergleichen die Livekulturszene mit dem fleckigen Bioapfel im Obstregal – jedes Konzert ist ein Unikat. Demnach dürften die Aktien gut stehen – die Nachfrage nach Bio steigt seit Jahren. Genau wie die Mitgliederzahl des Musikfördervereins, die sich innerhalb weniger Jahre verdoppelt hat und jetzt bei gut 300 liegt. „Kauf lokal“, sagt Marlies. „Livemusik gibt’s nur, wenn man zu den Konzerten geht.“
Eva Hörhammer
–> Hier geht’s zu den Tickets für die große Zauberberg-Opening-Party am 28. April.