Passau. In ihrem Song „Ich sehe was, was Du nicht siehst“ prangert Schauspielerin und Kaberettistin Lisa Fitz die Herrschaft der Finanzoligarchie an, kritisiert Banken, Geheimdienste und Militär dafür, die Menschheit zu verraten und zu hintergehen. Anfang Mai soll Fitz im Rahmen einer Veranstaltung des Passauer ScharfrichterHauses auf der Bühne stehen. Der Münchener Journalist Felix Balandat, selbst regelmäßiger Besucher der Passauer Kleinkunstbühne, bat Inhaber Matthias Ziegler diesen Auftritt „zu überdenken“. Fitz, so die Kritik Balandats, bediene sich antisemitischer Codes – eine Umgangsform, die auf der Bühne des ScharfrichterHauses (und auf allen anderen Bühnen) nichts verloren habe. Das Problem jedoch steckt nicht in Fitz‘ etwaigem Antisemitismus – sondern darin, dass sie als medienerfahrene Frau ganz genau wissen dürfte, auf was sie sich hier einlässt.
Dass es so etwas wie Antisemitismus hierzulande immer noch existiert, ist ein interessantes Phänomen: Zum einen gibt es in unseren Breitengraden kaum Juden, im Jahr 2016 zählte die deutsche jüdische Gemeinde rund 98.000 Personen. Zum anderen ist es aufgrund der deutschen Geschichte – zum Glück – immer noch so, dass antisemitisches Verhalten gesellschaftlich aufs Schärfste verurteilt wird. Während es zumindest in CSU-Kreisen salonfähig ist, dem Islam die Zugehörigkeit zu Deutschland abzusprechen, wäre eine solche Aussage bezüglich des Judentums – zum Glück – unvorstellbar. Wir haben es derzeit also mit einem „Antisemitismus ohne Juden und ohne Antisemiten“ zu tun.
Aus dem „Geldjudentum“ wird „Rothschild“
Judenfeindliche Rhetorik hat sich aufgrund dieser Entwicklung grundlegend verändert. Es ist nicht mehr der Jude, der (klar erkennbar mit Kippa) auf offener Straße beschimpft wird. Die heutige Argumentation zielt darauf ab, dass der Jude angeblich im Verborgenen agiere, quasi-unsichtbar für die Übel dieser Welt verantwortlich sei und in geheimen Hinterkämmerchen die Fäden dieser Welt ziehe – zu seinem eigenen Vorteil, versteht sich. Um sich nicht des gesellschaftlich scharf sanktionierten Antisemitismus schuldig zu machen, verwendet man daher kein offen judenfeindliches Vokabular mehr, sondern bedient sich gewisser „Codes“. Wie immer in solchen Fällen wissen „Eingeweihte“ sehr genau, was mit diesen Codes gemeint ist. Für Außenstehende erscheinen sie oft als harmlose, unproblematische Äußerung. So wettert man in judenfeindlichen Kreisen nicht mehr gegen das „Geldjudentum“, sondern eben gegen „Rothschild“.
Das Video mit dem Songtext, veröffentlicht auf dem Youtube-Kanal „SchrangTV“:
https://www.youtube.com/watch?v=XT8rb56jn8s
Gemäß ihrem Songtext fühlt sich Fitz „umzingelt von Staatsmacht und Intrigen“ – und fragt sogleich: „Die Welt wird fieser und an wem mag’s liegen?“ Auch die Schuldigen sind nur ein paar Zeilen weiter ausgemacht: „Der Schattenstaat, die Schurkenbank, der Gierkonzern. Wer nennt die Namen und die Sünden dieser feinen Herrn? Rothschilds, Rockefeller, Soros & Konsorten, die auf dem Scheißeberg des Teufels Dollars horten.“
„Tiefe Weisheiten in einer volksnahen Sprache“?
Nicht nur Balandat sieht darin klar antisemitische Codes versteckt, auch diverse andere Medien berichten über diesen Verdacht. Giulia Silberger, Expertin für Verschwörungstheorien, kritisierte gegenüber der Welt, Fitz bediene sich antisemitischer Verschwörungstheorien. Auf ihrer Facebook-Seite sowie in einem Interview mit der Passauer Neuen Presse distanzierte sich Fitz daraufhin von jeglichen Formen des Antisemitismus. Ihr gehe es lediglich um „das Recht, auch jüdische Familien der Hochfinanz zu kritisieren, wenn sie sich falsch verhalten“.
Dieses Recht spricht ihr auch keiner ab. Doch ihre Argumentationslinie, sie selbst wolle doch nur die Wahrheit ans Licht bringen, habe als eine von Wenigen eben einfach den Mumm dazu, die Missstände dieser Welt aufzuzeigen, und sie werde nun zu Unrecht von dieser „depperten Baggage [sic]“ als Antisemitin hingestellt – diese Argumentationslinie hinkt gewaltig. Dass Fitz sich hier als Opfer einer Verschwörung sieht, lässt eigentlich nur zwei Schlüsse zu: Entweder sie hat von der ganzen Thematik weniger verstanden als sie vorgibt zu verstehen und wäre daher gut damit beraten, in ihren Songs andere Dinge zu thematisieren. Oder aber: Fitz weiß, dass antisemitische Inhalte ein mediales Echo nach sich ziehen – und nutzt dies, um ihre eigene, mehr und mehr nachlassende Popularität wieder zu steigern.
Offenbar muss ich blank ziehen: Ich habe mich wiederholt + sehr deutlich von Antisemitismus distanziert. Im Song „Ich sehe was“ gehts um Finanzmacht. Zwei Gscheithaferl unterstellen Schwachsinn, der Rest schreibt ab. Aber: Mein Hirn schlägt schneller als deins. Depperte Baggage!
— Lisa Fitz (@LisaFitz2020) February 18, 2018
Betrachten wir zunächst erstere Option: Wenn Frau Fitz den Schrecken dieser Welt so genau studiert hat und sich nun dazu berufen fühlt, in ihren Texten dazu aufzurufen gegen all diese Ungerechtigkeiten etwas zu tun, dürfte ihr wohl aufgefallen sein, dass die Wörter „Rothschild“ und „Goldman Sachs“ gewisse öffentliche Reaktionen hervorrufen. Wenn es ihre Stärke ist, wie es auf ihrer eigenen Homepage heißt, „tiefe Weisheiten mitunter in einer volksnahen Sprache zu verstecken“, reichte diese Weisheit offensichtlich nicht aus, um zu erkennen, dass Verschwörungstheoretiker und Antisemiten sehr, sehr ähnlich argumentieren…
Aus dem Standard-Repertoire der Verschwörungstheorie
Alles nur Zufall? Laut Twitter will Fitz ihre Lieder nicht für sich selbst nutzen, „sondern als politische Kraft“. Nun ist gegen politisches Engagement gegen Ungerechtigkeit, Hunger, Leid und Tod grundsätzlich nichts einzuwenden. Auch darf man die herrschende globale Finanzoligarchie gut und gerne an den Pranger stellen – auch wenn deren Mitglieder jüdisch sind. Aber von einer Person, die mit ihren Videos auf YouTube mehrere Hunderttausend Menschen erreicht und als Kabarettistin durch Deutschland tourt, wünscht man sich bzw. erwartet man als geneigter Kabarett-Besucher dann doch etwas mehr Reflexionsvermögen.
https://twitter.com/lisafitz2018/status/966998398535700480
Auf den zweiten möglichen Fall bezogen, ist es wahrscheinlich gerade der Vorwurf des Antisemitismus, den Fitz mit ihren Sprechgesang medial erwirken wollte. Dass Fitz hier Opfer einer „Meinungsdiktatur“ wird, sie doch eigentlich nur das Gute wolle und jetzt von den „Systemmedien“ in die Verschwörer-Ecke gedrängt werde, hat – beim besten Willen – einen mehr als faden Beigeschmack.
Fitz unterteilt die Welt in ihrem Song in zwei Gruppen: „die Elite“ auf der einen Seite, „dumme Schranzen“ auf der anderen. Mittels geheimer Machenschaften im stillen Hinterzimmer ziehen die mächtigen Männer dieser Welt die Fäden, während sich der Pöbel ein ums andere Mal hinters Licht führen lässt: „Die Puppenspieler sitzen ganz wo anders – ein illustrer Kreis, oh ja, der kann das“. Was Fitz in ihrem Songtext beschreibt, ist das Standard-Muster verschwörungstheoretischer Argumentationen: Ein zu komplex erscheinendes Weltbild wird auf ein paar einfache Mechanismen und Ursachen reduziert. Hier das Problem, da die Ursache – die Lösung ist nicht weit. Gäbe es eine Ausgabe „Verschwörungstheorien für Dummies“, fände sich diese Funktionslogik in den ersten paar Kapiteln sicher wieder.
Liebe Frau Fitz, diese Welt ist komplizierter!
Genau solche monokausalen Erklärungen, die ein einfaches Weltbild transportieren und eine simple Unterscheidung in Freund-Feind propagieren, sind es, die Verschwörungstheorien überhaupt erst attraktiv machen. Genau solche monokausalen Erklärungen, die ein einfaches Weltbild transportieren und eine simple Unterscheidung in Freund-Feind propagieren, sind es, die in so vielen Fällen zu Katastrophen und Millionen von Toten geführt haben. Liebe Frau Fitz, diese Welt ist komplizierter!
Natürlich dürfte sie ganz genau wissen, auf was sie sich hier einlässt. Seit sie zehn Jahre alt ist, steht sie auf diversen Bühnen und hoppelt durch TV-Shows, war unter anderem bei der ersten Staffel des RTL-Dschungelcamps vertreten und moderierte bis 2004 sogar eine Fernsehsendung des Saarländischen Rundfunks. Kurz (und nochmals): Fitz dürfte ganz genau wissen wie Medien funktionieren. Was sie mit ihrem Song anstrebt, ist maximales Gehör, maximale Reichweite: Ein kleiner „antisemitischer Pep“, gepaart mit einer Prise Verschwörungstheorie inklusive medialem Echo kann da einer sich dem Ende zuneigenden Karriere schon mal ganz dienlich sein. Als sie auf ihrer eigenen Facebook-Seite ihren neuen Song teilte, trug dieser nicht den eigentlichen Titel „Ich sehe was, was Du nicht siehst“, sondern war mit „Neu: Lisa Fitz brisanter Song zensurgefährdet?“ übertitelt. Hochgeladen wurde er auf den Youtube-Kanal „SchrangTV„, dessen Betreiber Heiko Schrang einschlägig bekannt ist.
„Die Stimme des Intellekts ist leise“
Ob Lisa Fitz tatsächlich Antisemitin ist und auf diverse Verschwörungstheorien abfährt, soll und kann an dieser Stelle nicht beurteilt werden – und mag auch ziemlich unerheblich sein. Fakt ist jedoch, dass sie sich im Falle ihres Songs „Ich sehe was, was Du nicht siehst“ hinlänglich bekannter antisemitischer Codes und Verschwörungstheorien bedient oder diese zumindest billigend in Kauf nimmt. Dass sie sich im Nachhinein medienwirksam davon distanziert, erklärt sich von selbst. Dass sie die Vorwürfe von Felix Balandat öffentlich als „gequirlte Kacke“ bezeichnet, muss dann wohl selbstverständlich auch Teil dieses Klamauks sein.
Am Ende bleibt wohl festzuhalten, dass man sich von einer Frau, die vorgibt „tiefe Weisheiten mitunter in einer volksnahen Sprache zu verstecken“, etwas mehr Kreativität, Feingefühl und Hintersinnigkeit erwarten könnte. Die humanistische Message, verpackt in einer simplen Freund-Feind-Unterscheidung, wie es der Teufel halt so will, die rein zufällige (?) Nähe zu Verschwörungstheorie und Antisemtismus, eine kreischende Distanzierung, Meinungsdiktatur! – Alles schon gehabt, alles schon gesehen, die Logik dahinter ist immer dieselbe. „Tiefe Weisheiten“ sehen anders aus…
„Die Stimme des Intellekts ist leise“, wusste schon Freud. Schade an dieser Sache ist nur, dass das renommierte Passauer ScharfrichterHaus, das Frau Fitz eine Bühne bieten will, wohl als Verlierer aus der Sache hervorgehen wird…
Kommentar: Johannes Greß
Titelbild: Lena Busch/lisa.fitz.de/bildergalerie
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Kabarettistin Lisa Fitz hatte auf den Kommentar von Johannes Greß mit einem E-Mail-Schreiben an die Hog’n-Redaktion reagiert. Dieses wird im Folgenden im Wortlaut wiedergegeben:
„Sehr geehrte Redaktion,
Herr Hörhammer & Herr Weigerstorfer.
Bitte sind Sie so freundlich und stelllen meine Antwort an Herrn Gress online:
Zuerst eine Frage: Schrieb diesen Artikel Johannes Gress, 23 Jahre, der eben noch Praktikant war? Der mit der Ahnung vom großen Leben, der mir erzählen will, dass „die Welt komplizierter ist“, als ich denke …? Au weia.
Also, Herr Gress, erstens, Sie müssen mehr lesen, auch Zeitung. Ihnen fehlt es an politischem Hintergrundwissen, i.Ü. auch an Wissen über meine Arbeit. Denn dann wüssten Sie, dass sich hier nichts „dem Ende zuneigt“, sondern dass ich aktuell ca. 100 mal im Jahr in drei Ländern auf Tour bin und regelmäßig in Satire-Sendungen (aktuell SWR Spätschicht). Ein Blick auf meine Homepage hätte schon genügt. Bitte seriöser recherchieren.
Nun, zweitens, zur Politik und zur Welt und zur Schattenmacht, nur ein paar von unzähligen Beispielen:
- Millionen Tonnen Schrott werden seit Jahren nach Ghana verschickt (PC-& Elektroschrott) und als „Entwicklungshilfe“ deklariert, die Bodenverseuchung kommt retour in der Nahrungskette („Schöner Schrott“, arte)
- „Amerikas Drohnenkrieger“ (ARD) – ein erschütternder Beitrag einer mutigen Ex-Drohnen-Spezialistin, voller aufgedeckter Lügen des Pentagons. (Anschauen!)
- Finanzminister Scholz stellt einen Goldman-Sachs-Banker als Staatssekretär an – das ist, als mache man den Fuchs zum Aufseher vom Hühnerstall. Nicht nur die „Heute-Show“ hatte das ebenfalls in ihrer Satire-Sendung.
- Goldman Sachs hat übrigens auch kräftig mitgeholfen, die Griechenland-Bilanzen zu manipulieren, um den EU Eintritt zu befördern (arte)
- Die zdf Sendung „Neues aus der Anstalt“ behandelte die globalen Finanz-&-Politik-Verflechtungen von Goldman Sachs ausführlich in einem langen Beitrag. Kaum eine Finanzmacht hat weltweit so viel Einfluss auf die Politik.
- Zwei Mega Autokonzerne – VW & BMW – betrügen mit gefälschten Abgas-Werten die halbe Welt; die Umrüstung zahlt wer? Na, wir!
- Kanzlerin Merkel hat nachweislich mehrere Lügen erzählt – siehe dazu auch Jahresrückblick von Urban Priol.
- Nicolas Sarkozy kam in Untersuchungshaft wegen des Vorwurfs, 50 Millionen Parteispenden von Gaddafi erhalten zu haben.
- Helmut Kohls Spendenskandal wurde nie aufgeklärt.
- Über das dubiose FDP-Firmengeflecht gab es diverse TV- Sendungen.
- Colin Powells Iraklüge (vor dem gesamten UN-Weltsicherheitsrat) wurde von Tony Blair mitgetragen. Die Toten, auch Kinder, sind nicht zu zählen, das Land verseucht und verwüstet.
Da muss man nicht zu Cäsar und Brutus oder Armenius versus Römer zurückgehen – über Verbrechen gegen die Menschen, die Natur und die Wirtschaftskriminalität kann man sich aktuell und kontinuierlich informieren.
- Zbigniew Brezinski (Mastermind hinter 4 bis 5 US Präsidenten) rühmt sich, die Russen damals nach Afghanistan hineingetrickst zu haben (das Zitat ist mittlerweile sehr schwer zu googeln).
- George Friedman (Stratfor) beschreibt dezidiert, aus welchem geostrategischen Gründen heraus die USA eine Annäherung von Europa und der Russischen Föderation verhindern muss. Zitat: „Wir wollen die Russen nicht töten, nur ein bisschen verletzen…“ (Er grinst dazu, Gelächter ist zu hören)
Was ist das alles für Sie? Für mich ist das Verschwörungspraxis und keine -theorie. Das ist nur ein Mikroauszug, aus Zeit- und Platzgründen. Und mir wird da kotzschlecht – Ihnen nicht??
Sind Sie so unbelesen, so naiv? Oder wollen Sie sich einfach nur profilieren mit dem Artikel? Die Welt ist komplizierter, wohl wahr, Herr Gress, und Menschen in Machtpositionen sind wie die Raupe Nimmersatt – und ja, das Volk wird hinters Licht geführt, seit jeher, und Sie wollen es irgendwie nicht sehen. Blase, würde ich sagen. Genau davon handelt das Lied und es richtet sich an Menschen, die keine Ahnung, aber eine Meinung haben.
Das politische Lied steht in der Tradition von Wolf Biermann und Francois Villon – die kennen Sie wahrscheinlich gar nicht – und es ist kein politisch-philosophisches Traktat von Peter Sloterdijk (siehe auch „Sei wachsam“ von Reinhard Mey, der dafür ebenfalls angegriffen wurde). Man muss die Kritik in einem Lied in 4 bis 5 Minuten auf den Punkt bringen und verdichten. In einem Helene-Fischerisierten Land kann man das Verständnis dafür wohl nicht voraussetzen.
Sie schauen vielleicht am besten weiterhin die „Sendung mit der Maus“ an (dies als Retourkutsche auf Ihre Häme). Und der Kollege Balandat mit seinem unreflektierten Aktionismus sollte ebenfalls das ScharfrichterHaus, in dem ich 1985 meinen ersten Auftritt hatte und das die Verantwortung wohl selbst übernehmen kann, in Frieden lassen.
Mit freundlichen Grüßen
Lisa Fitz“