Österreich hat es getan, unlängst auch Kanada. Beide Staaten änderten den Text ihrer Nationalhymne ab und formulierten ihn geschlechtsneutral. In einem internen Brief an das Bundesfamilienministerium brachte Kristin Rose-Möhring (SPD), ihres Zeichens Gleichstellungsbeauftragte des genannten Ressorts, diesen Vorschlag auch für das Deutschlandlied ins Spiel. Das „Vaterland“ solle zum „Heimatland“ werden, statt „brüderlich“ solle „couragiert“ gesungen werden. Beim Koalitionspartner sties man dabei auf wenig Verständnis.

Die CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer hält von der Forderung „überhaupt nichts“. Sie sagt: „Ich habe bisher – und ich gelte ja durchaus als eine emanzipierte Frau – noch nie den Eindruck gehabt, dass ich mit dieser Hymne nicht gemeint wäre oder nicht angesprochen werde.“ Statt auf Wortklaubereien besinne man sich auf substanzielle Forderungen wie jener nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit. Auch Angela Merkel sehe laut Regierungssprecher Steffen Seibert keinen Grund für eine Änderung. Die Kanzlerin sei „sehr zufrieden“ mit dem derzeitigen Text.
Von BürgerInnen und Aktivist*Innen…
Österreich und Kanada haben, wie gesagt, an dieser Stelle bereits nachgebessert. Seit 2012 singen die Nachbarn aus der Alpenrepublik nicht mehr von „Brüderchören“, sondern von „Jubelchören“; ihre Heimat ist – gemäß Hymne – nicht nur mehr diejenige „großer Söhne“, sondern nun die Heimat „großer Töchter und Söhne“. Und mit dem Beschluss von Ende Januar ist auch in Kanada nicht mehr von „True patriot love in all thy sons command“ die Rede: „True Patriot love“, so die neue, geschlechtsneutrale Formulierung, „in all of us command“.
Auch bei diversen Parteien, Behörden, Organisationen und Institutionen setzt man mittlerweile auf Formulierungen, die beide Geschlechter miteinbeziehen. Mit der Anrede „Liebe BürgerInnen…“, sollen so explizit auch Frauen angesprochen werden. Und die Tageszeitung „taz“ spricht in ihren Artikeln zumeist nicht mehr von Aktivisten, Politikern, Lehrern oder Demonstranten, sondern von Aktivist*Innen, Politiker*Innen, Lehrer*Innen oder Demonstrant*Innen. Mit dem Sternchen will man neben Mann und Frau auch noch Personen ansprechen, die sich keinem der beiden Geschlechter zuordnen wollen. Das Bundesverfassungsgericht hat unlängst den Eintrag eines dritten Geschlechts im Geburtenregister gefordert. Der Gesetzgeber muss bis Ende 2018 ein entsprechendes Gesetz verabschieden, das intersexuellen Menschen erlaubt, die eigene Identität „positiv“ in das Register eintragen zu können.
Aber zurück zur bundesdeutschen Hymne. Eine Änderung könnte so aussehen, dass der Bundestag die Hymne einfach durch ein formelles Gesetz bzw. einen einfachen Parlamentsbeschluss abändert. Bereits Anfang der 90er Jahre wurde die deutsche Nationalhymne einmal abgeändert. Damals einigte man sich darauf, dass Strophe eins und zwei zwar nicht verboten werden, aber nur noch die dritte Strophe als offizielles Deutschlandlied erklingen soll. Eine klare Abgrenzung vom Nationalsozialismus war damals treibende Kraft hinter der Debatte.
Wortklauberei oder Wegbereiter der Gleichstellung?
Nun soll in der deutschen Hymne aus dem „Vaterland“ das „Heimatland“, aus „brüderlich“ ein „couragiert“ werden. Sowohl „Heimatland“ als auch „couragiert“ hätten – genau wie ihre vermeintlicher Vorgänger – drei Silben, das Versmaß bliebe von der ganzen Aktion also verschont. Doch handelt es sich bei der Frage um eine geschlechtsneutrale Hymne tatsächlich nur um bloße Wortklaubereien? Ist implizit ohnehin jeder – und jede! – gemeint, wenn es heißt „brüderlich“ und „Vaterland“? Und selbst wenn nicht – sollten Forderungen nach gleichen Rechten, gleicher Entlohnung nicht Vorrang gegeben werden? Zwei Männer, die Hog’n-Redakteure Helmut Weigerstorfer und Johannes Gress, haben da ihre ganz eigene Sicht auf die Dinge…
Weigerstorfer: Frauen verdienen – im Jahr 2018 wohlgemerkt – in Deutschland rund 21 Prozent weniger als ihr männliches Pendant. Das kann und darf nicht sein, vor allem in einem Land wie Deutschland nicht. Aber was die Debatte um eine gegenderte Nationalhymne daran ändern soll, erschließt sich mir nicht ganz…
Gress: An der tatsächlichen Situation von erwerbstätigen Frauen ändert eine geschlechtsneutrale Hymne erst einmal gar nichts. Genau so wie ein Internationaler Frauentag, der alljährlich am 8. März stattfindet, an der Lohnungleichheit per se erstmal nix ändert. Aber darum geht’s auch nicht…
Weigerstorfer: … es geht um die symbolische Repräsentation von Frauen, ich weiß. Aber meiner Meinung nach gäb’s aktuell definitiv wichtigere und brisantere Themen als das Wort „Vaterland“ durch „Heimatland“ zu ersetzen. In einem 220 Jahre alten Text…
Gress: Ein Text aber, den jedes Kind, das einmal eine deutsche Grundschule besucht, auswendig lernen muss. Es ist ja nicht irgendein verstaubter Text, sondern unsere Bundeshymne. Und genau so wie andere Schriftdokumente gewissermaßen mit der Zeit gehen und entweder ein „Binnen-I“ etabliert haben oder sowohl die weibliche als auch die männliche Form verwenden, kann ja auch unsere Hymne etwas modernisiert werden. In den 1990ern hat man sie ja auch „modernisiert“, indem man sich von den Nationalsozialisten abgrenzen wollte…
Ein gefundenes Fressen für die populistische Rechte?
Weigerstorfer: Natürlich, aber wir sind uns doch hoffentlich darüber einig, dass es derzeit wichtigere Themen gibt, was die Gleichstellungspolitik betrifft. Es ist ja nicht nur so, dass Frauen strukturell weniger verdienen, sie zahlen damit ja auch weniger ins Rentensystem ein. Zudem sind es immer noch Frauen die einen Großteil der Hausarbeit, der Kindererziehung und Pflegearbeit übernehmen – alles unbezahlt! Frauen sind massiv von Altersarmut bedroht, viel mehr als Männer. DAS sind die Probleme, die angesprochen gehören! Ein Plädoyer für eine gegenderte Nationalhymne ist allerhöchstens ein gefundenes Fressen für die populistische Rechte – eine schöne Vorlage, dass man sich bei AfD und Co. mal wieder über den „linksversifften Genderwahn“ erbosen kann – mehr aber auch nicht!
Gress: Natürlich ist das ein gefundenes Fressen. Auf der Rechten hat sich mittlerweile eine Argumentationskette entwickelt, deren Gleichung lautet: „Gender = Feminismus = links = böse“! Aber ich lass mir nur ungern von jemand anderem die Spielregeln diktieren. Und auch wenn von Rechts bei der Frage um eine geschlechtsneutrale Hymne sofort die „Genderwahn-Glocken“ zu bimmeln anfangen, ich persönlich finde trotzdem, dass das ein Thema ist, bei dem nachgebessert werden soll. Und auch nachgebessert wird, wie die Beispiele Österreich und Kanada zeigen…
Weigerstorfer: Mit dieser Debatte sammelst Du Pluspunkte bei jenen Leuten, die ohnehin dafür sind, sowohl Frauen als auch Männer in der Bundeshymne standesgemäß zu repräsentieren. Doch in der „Genderwahn-Fraktion“ streust Du mit so einer Aktion nur noch mehr Salz in die Wunde. Dort gelten die Worte „Gender“ und „Feminismus“ mittlerweile ohnehin als Schimpfwort. Aber tatsächlich für Deine Idee gewinnen, kannst Du mit dem Vorschlag keinen. Der dient höchstens dazu die politischen Gräben noch etwas zu vertiefen…
Seit 200 Jahren: Forderungen nach gleicher Bezahlung
Gress: Ja! Und Nein! Natürlich eignet sich die Gender-Debatte herrlich dazu, um politische Gräben zu schaufeln. Aber die Diskussion um geschlechtersensible Schreibweise darf ja auch nicht als für sich isoliert betrachtet werden. Wie Du schon sagst: Was bringt’s, wenn am Ende immer noch dasselbe auf dem Lohnzettel steht? Dass Sprache Auswirkungen darauf hat, wie wir denken und auch handeln, ist mittlerweile jedoch eine anerkannte Tatsache. Und ich finde, da muss in beide Richtungen nachgebessert werden: Zum einen braucht es eine bessere Entlohnung, eine Anpassung der Sozialsysteme etc. Und zum anderen aber auch eine bessere Repräsentation von Frauen, in dem man zum Beispiel in einer Hymne explizit beide Geschlechter anspricht. Das eine kann nicht ohne das andere!
Weigerstorfer: Ich lehne mich mal ein Stück weit aus dem Fenster und behaupte: Wenn wir Probleme wie die Gender-Pay-Gap in den Griff bekommen, ist es 90 Prozent der Frauen egal, ob wir nun „Vaterland“ oder „Heimatland“ singen. Gäbe es eine angemessene, geschlechtergerechte Bezahlung – inklusive adäquater sozialer Sicherungssysteme – müssten wir diese Debatte gar nicht führen.
Gress: Erstens haben wir de facto eine Gender-Pay-Gap – und die wird eher größer als kleiner. Da können wir jetzt diskutieren warum… Die Forderungen nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit halte ich zwar für richtig, aber diese Forderungen gibt es schon seit über 200 Jahren. Um sie effizient durchzusetzen, geht es meiner Meinung nach auch darum, Frauen sichtbar zur repräsentieren. Und zweitens würde ich die Gleichberechtigung nicht nur auf den Lohnzettel reduzieren. Gleichberechtigung umfasst ja nicht nur das Geldverdienen, sondern ein partizipierender Teil der Gesellschaft zu sein, wahrgenommen zu werden, ein Mensch mit eigenen Lebensvorstellungen zu sein. Eine genderneutrale Hymne würde nicht all‘ diese Probleme auf einen Schlag lösen – aber es wäre ein Schritt in die richtige Richtung.
Worte, Denken, Handeln und Gefühle
Weigerstorfer: Deine Argumentation mag zwar richtig sein und in einem akademischen Umfeld irgendwie Anklang finden, aber mit Argumenten wie „Sprache kreiert unsere Realität“ und „Geschlecht ist nur ein soziales Konstrukt“ löst Du bei den meisten Menschen halt nicht unbedingt große Begeisterungsstürme aus. Ich stimme Dir irgendwie zu, ja, eine geschlechtsneutrale Hymne wäre ein Schritt in die richtige Richtung – aber ich denke, das Timing für eine solche Forderung ist denkbar schlecht.
Derzeit habe ich das Gefühl unsere Gesellschaft teilt sich irgendwo entlang der Konfliktlinien „Wir sind das Volk“ und „Refugees Welcome“. Und das resultiert zu einem großen Teil daraus, dass viele das Gefühl haben, abgehängt zu werden oder nicht genug vom gesellschaftlichen Kuchen abzubekommen. Und ich denke, dem kann man entgegenwirken, indem man den gesellschaftlichen Wohlstand wieder ordentlicher verteilt. Mit Argumenten wie „auch die symbolische Repräsentation von Frauen ist wichtig“ magst Du zwar im Grunde genommen Recht haben, wirst aber in Gefilden, in denen „Gender“ sich als Schimpfwort etabliert hat, keinen für Dich gewinnen können.
Gress: Dass „Gender“ bzw. sogar „Feminismus“ in vielen Kreisen – übrigens auch weiblichen – mittlerweile als Schimpfwort gilt, finde ich höchst bedenklich. Aber es ist doch ein schönes Beispiel dafür, welche Funktion Sprache in unserer Gesellschaft einnimmt. Worte sind nicht nur einfach Worte, sondern rufen Emotionen und Gefühle in einem Menschen hervor, nach welchen diese wiederum ihr Handeln ausrichten…
Und jetzt seid ihr gefragt! Wie ist Eure Meinung zum Thema? Ist eine Nationalhymne, die beide Geschlechter berücksichtigt, der richtige Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit – oder bloße Wortklauberei? Wir sind gespannt und freuen uns auf Eure aussagekräftigen Meinungen in unserer Kommentarleiste.
da Hog’n
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